»Wer Visionen hat, kann sie in Köln unterbringen«
Stadtrevue: Herr Sterck, bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: »Wer Visionen hat, sollte…«
Ralph Sterck: (lacht) Da kommt einem natürlich der Spruch von Helmut Schmidt in den Sinn. Aber für Köln würde ich sagen: Wer Visionen hat, soll versuchen, sie in Köln unterzubringen. Ich bin ja viel in anderen Städten unterwegs. In Rotterdam etwa ist man viel mutiger als wir. Wenn man in Köln ein Hochhaus bauen will, heißt es: »Dafür müssen wir erst die Hochhausverordnung überarbeiten.« Da winken die meisten Investoren doch sofort ab.
An Visionen haben Sie aber auch ein privates Interesse. Sie sammeln Kölner Bauvorhaben, die nie umgesetzt wurden.
Die Sammlung ist eigentlich ein Nebenprodukt meiner Tätigkeit als Ratsmitglied. Ich habe mich in den letzten 20 Jahren mit vielen Projekten beschäftigt. Man ist in Wettbewerben, in Sitzungen. Was glauben Sie, wie viele Stunden ich mich mit der am Ende gescheiterten Erweiterung des Stadtmuseums auseinandergesetzt habe?
Haben Sie ein Lieblingsprojekt, das nicht realisiert wurde?
Ein Lieblingsprojekt nicht unbedingt. Aber der Neubau von Oper und Schauspielhaus wäre spektakulär geworden. Ich bin mit der jetzigen Lösung, der Renovierung, aber auch nicht unzufrieden. Aber man muss auch sehen: Da ist ein zweistelliger Millionenbetrag an Planungskosten angefallen, der Architekt hat gegen die Stadt geklagt, um das Geld zu bekommen. Es entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden und zusätzlicher Aufwand für Politik und Verwaltung. Tragisch ist die gescheiterte Erweiterung des Stadtmuseums in den Nuller Jahren. Da wurde ein Grundstück gekauft, der Architekt hat mit der Verwaltung alles bis ins Detail durchdekliniert. Dann hat der Rat gesagt: »Das entspricht nicht unserer Planungskultur«. Und das Projekt war beerdigt. Stattdessen soll es die Neue Historische Mitte geben, auf deren Fertigstellung ich bei meinem Londoner Buchmacher aber kein Geld setzen würde.
Was müsste passieren, um bei solchen Bauprojekten Kontinuität herzustellen?
Die großen Fraktionen müssen sich hinter solchen Ideen versammeln. Es kann nicht sein, dass mit jedem Mehrheitswechsel im Rat neue Planungen beauftragt werden. Man hat Millionenbeträge für Planung ausgegeben, dann kommen Kommunalwahlen und jemand sagt: »Das ist jetzt so teuer geworden, da machen wir nicht mehr mit.« Die meisten Unternehmen gehen nicht pleite, weil sie die falschen Entscheidungen, sondern weil sie gar keine Entscheidungen treffen.
Volksvertreter werden abgewählt, die Verwaltung arbeitet weiter. Fehlt ein institutionelles Gedächtnis?
Ich wundere mich manchmal, dass man sich an frühere Prozesse so wenig erinnert. Ich würde mir wünschen, dass man zurückblickt: Was hat es schon gegeben? Warum ist es nicht realisiert worden? Warum hat es sich anders entwickelt? Das passiert selten, aber es würde helfen.
In Köln melden sich oft Architekten oder die IHK mit Vorschlägen zur Stadtplanung zu Wort, zuletzt der Architekt Paul Böhm mit seiner »High Line«. Wann sollte sich die Politik mit diesen Ideen beschäftigen?
Jeder in der Politik hat die Möglichkeit, Ideen aufzugreifen. Wenn Herr Böhm sagt, er möchte den Kölner Hauptbahnhof verlegen, und wunderschöne Bilder macht, wie Leute auf Grünflächen auf der Hohenzollernbrücke sitzen, dann soll er das. Das ist ein freies Land. Aber ich bin auch so frei, zu sagen, dass ich zu einer Veranstaltung zur Verlagerung des Hauptbahnhofes nicht hingehe, weil das verschenkte Zeit ist. Das sagt mir meine Erfahrung aus 53 Jahren Köln und 20 Jahren Stadtrat.
Viele Städte setzen auf den »Bilbao-Effekt«. Sie wollen sich mit spektakulärer Architektur aufwerten.
Köln hätte die Chance gehabt, wenn man sich entschieden hätte, die Oper neu zu bauen. Das haben die Hamburger mit der Elbphilharmonie toll gemacht. Auch wenn es finanziell und bei der Bauzeiten eine Katastrophe war, wie übrigens bei der Oper in Sydney auch, am Ende sind sie glücklich damit. Vielleicht gehört das bei solchen Projekten dazu. Wenn man nach Köln guckt, gibt es nicht viele Filetgrundstücke, an denen so was möglich ist. Den Breslauer Platz, wo der Musical Dome jetzt steht. Vielleicht das Grundstück in Deutz, auf dem das Casino gebaut werden sollte. Und sicherlich die Deutzer Werft. Die schreit in den nächsten 20, vielleicht auch 50 Jahren nach dem großen Wurf. Man hat nur selten die Chancen, in zentraler Lage noch mal so was zu gestalten. Wenn man es macht, muss das Ding auch sitzen.
Manche Städte haben ihre besondere Qualität aber ohne große Bauvorhaben erreicht, Kopenhagen etwa. Wäre es nicht sinnvoller, auf die langweilige, funktionale Lösung zu setzen?
Natürlich ist es eine große Aufgabe, Schulen zu bauen oder Straßen zu sanieren. Bernd Streitberger wollte das als Baudezernent so machen und hat dafür 100 Millionen gefordert. Das Geld hat er nicht bekommen. Denn das ist die Pflicht, das ist Brot und Butter. Es steht einer Stadt gut, wenn man noch ein bisschen Kür oben draufsetzt, mit der man bundesweit Aufmerksamkeit erzeugen kann, vielleicht sogar weltweit. Streitberger wollte die Kranhäuser im Rheinauhafen nicht, aber Harry Blum hat das durchgesetzt — trotz seiner kurzen Amtszeit. Als Oberbürgermeister hat man vielleicht fünf plus fünf Jahre Zeit, als oberster Bauherr die Stadt mitzugestalten. Da geht es auch um die Frage: Wo will man sichtbare Spuren im Stadtbild hinterlassen? Ich finde schade, dass die letzten drei Oberbürgermeister so wenig angestoßen haben.
Ralph Sterck war 15 Jahre lang Hauptgeschäftsführer der FDP-NRW und ist Vorsitzender der FDP-Fraktion im Rat der Stadt Köln. Der gebürtige Kölner ist seit fast 20 Jahren Mitglied im Stadtentwicklungsausschuss und Experte für Kulturbauten.