Streit um Religion und Tod: »Fatwa«

Seltene Chance auf Vielfalt

Das Afrika Film Festival beschäftigt sich mit »Fundamentalismus und Migration«

Nur noch wenige Wochen trennen die Freundinnen Asma, Hibo und Deka von ihrem Schulabschluss. In der Schule werden sie mit Hinweisen auf Bewerbungsfristen für Universitäten, Berufsberatung und Prüfungsvorbereitungen überhäuft. In dieser Lage müssen die drei jungen Frauen Entscheidungen treffen, die ihr Leben prägen werden. Lula Ali Ismaïls »Dhalinyaro« (»Jugend«) ist der erste Spielfilm, der in Dschibuti produziert wurde. Er wird im September das Afrika Film Festival in Köln eröffnen.

Im Zentrum des Programms stehen aktuelle Produktionen. Wie »Dhalinyaro« stammt auch Joël Karekezis »The Mercy of the Jungle« aus dem Programm des diesjährigen Festivals Fespaco in Ouagadougou, dem wichtigsten Festival für den frankophonen afrikanischen Film. Karekezis Film spielt 1998 kurz nach Beginn der Kampfhandlungen des zweiten Krieges zwischen Ruanda und dem Kongo. Zwei Soldaten einer ruandischen Armeeeinheit werden bei einem nächtlichen Aufbruch zurückgelassen und müssen sich durch den Dschungel der Grenzregion den Weg zurück zu ihrer Einheit bahnen. Auf dem Weg kommen die verdrängten Gräuel des Kriegs an die Oberfläche.

Eine Aufarbeitung ganz anderer Art zeigt Kassim Sanogo in »Gao, la résistance d’un peuple« (»Gao, der Widerstand eines Volkes«). Gao, historische Hauptstadt des Nordens von Mali, wurde wie ein Großteil der Region Anfang 2012 von einer Allianz aus dschihadistischen Milizen und Tuareg-Nationalisten besetzt. Schon wenige Tage später beginnt die Bevölkerung der Stadt, Widerstand gegen die Besatzer zu leisten. Sie organisieren nächtliche Patrouillen, um für Sicherheit zu sorgen und überzeugen die Besatzer, dies zu dulden, sammeln Blutspenden, um das Hospital arbeitsfähig zu halten, verhindern öffentliche Rachejustiz und demonstrieren für ein Ende der Besatzung. Regisseur Sanogo befragt Protagonistinnen und Protagonisten des Widerstands. »Die Geister dieser Leute haben die Stadt nie verlassen«, sagt eine der Befragten. Die Stadt ist nicht mehr dieselbe wie zuvor.

Der südafrikanische Dokumentarfilmer und Aktivist Rehad Desai kehrt nach seiner ANC-Dokumentation »The Giant is Falling« in diesem Jahr mit »Everything Must Fall« zurück, einem Blick auf die gesellschaftskritische Studierendenbewegung, die sich 2015 als Reaktion auf die Erhöhung der Gebühren an südafrikanischen Universitäten formierte. Die Forderungen der Studierenden gingen schnell weit über die Gebühren hinaus und kritisierten das Fortbestehen weißer Eliten sowie die ungebrochenen Bildungstraditionen der Kolonialherrschaft und der Zeit der Apartheid. Sie verbündeten sich mit den Arbeiterinnen und Arbeitern auf dem Campus. Als die Universitätsführung die Polizei ruft und diese mit großem Aufgebot anrückt, eskaliert die Situation. Die Proteste greifen auf das gesamte Land über. In der Folge kommt es zu Auseinandersetzungen, an deren Ende drei Menschen tot sind und mehr als 800 verletzt. »Everything Must Fall« ist ein beeindruckendes Dokument einer Welle von Protesten, wobei der Kampf um faire Chancen auf Bildung zum Ausgangspunkt einer Gesellschaftskritik wurden.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf dem Thema »Fundamentalismus und Migration«. In diesem Kontext läuft auch der Spielfilm »Fatwa« des tunesischen Regisseurs Mahmoud Ben Mahmoud. Der tödliche Motorradunfall seines Sohnes bringt Brahim Nadhour nach Jahren zurück nach Tunesien. Schon bei der Diskussion über die Beerdigung beginnt der Streit mit seiner Frau, von der er getrennt lebt. Sie verbittet sich jedweden Bezug auf Religion. Brahim übergeht ihren Wunsch und organisiert ein religiöses Begräbnis. Prompt kommt es zur Auseinandersetzung mit den streng religiösen Freunden seines Sohnes über die Anwesenheit von Frauen auf dem Friedhof. Ben Mahmoud greift ein wiederkehrendes Motiv seiner Filme auf: ein Mann kehrt nach längerer Zeit aus dem Ausland nach Tunesien zurück und staunt über die Veränderungen. Dieses Mal nimmt Ben Mahmoud die Zeit nach dem Sturz des langjährigen Diktators Ben Ali in den Blick. Präzise beobachtet er die sich anschließende Islamisierung von Teilen des tunesischen Alltags; dem Heimkehrer stechen sie besonders ins Auge.

Abgerundet wird das Programm des diesjährigen Festivals mit zwei Sonderprogrammen, die dem algerischen Regisseur Merzak Allouache gewidmet sind. Diese Mini-Werkschau hat eine ganze Reihe von Schnittstellen mit dem Fokus-Programm zum Fundamentalismus. Zum Auftakt der Werkschau läuft Allouaches Klassiker »Bab El Oued City«, ein Porträt eines Stadtteils von Algier Anfang der 1990er Jahre, zu Beginn der Jahre des Terrors in Algerien. Vor zwei Jahren realisierte Allouache eine Dokufiktion mit dem Titel »Tahqiq fel djenna« (»Untersuchung zum Paradies«), in der er eine Reporterin und ihren Kollegen Menschen im Algerien von heute die Frage stellen lässt, wie diese sich das Paradies vorstellen. Wie in jedem Jahr bietet das Festival auch dieses Mal die seltene Gelegenheit, in die Vielfalt afrikanischer Filmproduktionen einzutauchen. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.

Do 19.–So 29.9., div. Orte
afrikafilmfestivalkoeln.de