Risse in der Matrix
Vor sechs Jahren hat das Kölner Kurzfilmfestival die Sektion »New Aesthetics« eingeführt, um die Einflüsse im Auge zu behalten, die neue Medien, Netzkunst und die Welt der Games auf die Kunstform Film nehmen. Über die Jahre hat sich die Reihe zur Bühne für vielfältige formale Experimente entwickelt. Gerade in Zeiten, in denen das Konzept Wahrheit im Sturm echter und falscher Bilder und Informationen weggeweht zu werden droht, lohnt es sich, sich den Fragen zu stellen, mit denen die zwölf Filmemacher des Programms ihr Publikum konfrontieren.
So widmet sich Stefan Kruse am Beispiel der Flüchtlingskrise der Frage, wie gerade ein Überangebot an Informationen und Bildern akuten Realitätsverlust bedingen kann. In »The Migrating Image« stehen die Online-Werbeprospekte libyscher Schleuser neben Frontex-Satellitenaufnahmen des Mittelmeers, neben den Aufnahmen staatlicher und privater Seenotrettung und schließlich neben Inszenierungen von Anti-Flüchtlings-Ideologen. Bilder sind hier nur mehr Rohstoff, um Meinungen aufzuheizen.
Ungleich verspielter gestaltet sich Grame Arnfields Found-Footage-Film »Sitting in Darkness« über einen mysteriös-dröhnenden Klangteppich, der eine kanadische Industriestadt in Atem hält. Ob es sich dabei um Fakt oder Fake handelt: Wer weiß das schon?
Sehr real ist dagegen die Gefahr des swatting, jener Form von Cyber-Mobbing, die vor allem in amerikanischen Online-Gaming-Communities beliebt ist. Durch falsche Notrufe wird hier den Opfern Besuch von der Polizei beschert. Während die Ton-Ebene von Ismael Joffroy Chandoutis’ »Swatted« von Erfahrungsberichten von Swatting-Opfern geprägt ist, illustrieren verfremdete Grafiken von Shooter-Games die Welt, in der sich die Spieler die Empathie abtrainieren. Die Militarisierung des Zivillebens durch martialisch vorpreschende Cops in voller Montur ist nur ein weiterer Brandbeschleuniger.
Auch »Operation Jane Walk« bedient sich einer Games-Oberfläche. Das digitalisierte New York aus einem Third-Person-Shooter wird hier genutzt für eine virtuelle Stadtführung inklusive Abhandlungen über Architekturgeschichte, Städteplanung und Neoliberalismus. Kein Wunder, dass die Exkursion vor dem Trump-Tower ihr Ende findet.
Nicht wenige der Beiträge nutzen die immer realitätsnäher ausfallenden Spieleoptiken. Interessierter als an Rechenleistung und Finessen der Geschichten zeigen sich die »New Aesthetics« jedoch an den glitches, bugs und Rissen in der Matrix, die mit der Künstlichkeit alles Gezeigten konfrontieren und den Anschein von Realismus durchbrechen.
Fr 13.11.–Di 17.11., Filmforum im Museum Ludwig, Filmpalette, Filmclub 813 u.a.
Infos: kffk.de