Abgesägt
An einem Morgen Ende November hören Anwohner eine Motorsäge kreischen. Schon am folgenden Tag ist der Bahndamm an der Lützowstraße nicht mehr wiederzuerkennen. Wo jahrelang Birken, Buchen und Eschen wuchsen, steht heute nichts mehr. Die Anwohner gucken direkt auf eine Lärmschutzwand. »Allein von meinem Balkon aus sehe ich dreißig frische Baumstümpfe«, sagt Dorothea Marcus, die an der Lützowstraße wohnt. Zuvor hatte die Bahn bereits entlang des Zülpicher Walls großflächig Bäume gefällt. »Ein Arbeiter sagte mir, die Bäume seien faul. Aber das ist doch eine absurde Behauptung, wenn man sich das Ausmaß der Fällungen ansieht«, findet Marcus.
Informiert wurden die Anwohner vorher nicht. Auch die Stadt Köln wurde überrascht: »Wir wussten von der Aktion nichts«, sagt Konrad Peschen, Leiter des Umweltamts. »Es kommt immer wieder vor, dass die Bahn Bäume fällt, ohne das den Kommunen vorher mitzuteilen.« Einige Tage nach den Rodungen in der Kölner Innenstadt traf es Pulheim. Auch hier: keine Info, keine Erklärungen, weder für Anwohner noch die Kommune.
Auf Nachfrage teilt eine Unternehmenssprecherin mit, die Bahn trage »im Rahmen gesetzlicher Vorgaben« dafür Sorge, dass »Zugfahrten auf der Schiene verlässlich durchgeführt werden können«.
In der »Rückschnittszone« sechs Meter links und rechts der Gleise schneide man Pflanzen und Bäume einmal im Jahr bodentief zurück; in der »Stabilisierungszone«, deren Ausdehnung nicht weiter definiert wird, entferne man darüber hinaus »störanfällige« oder kranke Bäume. Allen Robinien, Lärchen, Birken oder Weiden etwa geht es an den Kragen, auch »Bäume mit instabilem Höhe-/ Durchmesserverhältnis« sowie auf instabilem Untergrund würden entfernt.
»Wenn die Bahn mit Verkehrssicherheitspflicht argumentiert, darf sie immer tätig werden«, sagt Amtsleiter Peschen. Die Stadt um Erlaubnis bitten muss sie nicht — die Flächen gehören der Bahn, dort gilt das Eisenbahngesetz. Aber ob der Kahlschlag an der Lützowstraße für die Verkehrssicherung wirklich nötig war? »Da kann man möglicherweise auch anders drauf gucken«, sagt Peschen. Er hat bei der Bahn um einen Gesprächstermin gebeten. »Wir werden auf Ersatzpflanzungen hinwirken.«
Nach den Stürmen der vergangenen Jahre, die oft tagelange Zugausfälle zur Folge hatten, hat die Bahn Anfang 2018 das »Aktionsprogramm Vegetation« ausgerufen und ihr Personal aufgestockt. Die Mitarbeiter durchforsten nun 33.000 Streckenkilometer der Bahn und untersuchen sie auf »störanfällige« Bäume wie Birken oder Robinien. Schon im vergangenen Jahr wurde klar, dass es auch den Kölner Grüngürtel treffen wird, den mehrere Zuglinien durchschneiden.
Die Bahnsprecherin versichert zwar, das »Konzept des Vegetationsrückschnitts« folge »guter forstwirtschaftlicher Praxis«. Belange des Natur- und Umweltschutzes würden umfassend berücksichtigt. Daran allerdings hat Helmut Röscheisen vom Naturschutzverband BUND Köln Zweifel. »Die Vermutung liegt nahe, dass Bäume im Übermaß abgeholzt werden. Prävention ist das eine — aber auch der Klimaschutz muss berücksichtigt werden.« Er plädiert dafür, dass die Bahn mit den Ämtern vor Ort zusammenarbeitet. »Nur wenn jemand an der Entscheidung mitarbeitet, der aus Sicht des Baumschutzes bewertet, kann eine vernünftige Lösung gefunden werden.«
Röscheisen weist jedoch darauf hin, dass die meisten Bäume in Köln nicht durch die Hand von Bahnmitarbeitern gerodet werden. »Die meisten Bäume fallen infolge von Baugenehmigungen«, so Röscheisen. Wöchentlich bekomme der BUND Köln mehrere Mails von Kölnern, die sich über Baumfällungen beklagen. Die Beschwerden könnten künftig noch einmal deutlich zunehmen. Köln hat seinen sogenannten
Regionalplan überarbeitet und darin weitere 820 Hektar Fläche ausgewiesen, die bis 2040 bebaut werden könnten, um Platz für die wachsende Bevölkerung zu schaffen. »Mit dem Regionalplan droht ein Kahlschlag von ganz anderem Ausmaß«, so Röscheisen.