Kratzen an Tabus: »Der alte Mann und das Kind«

Köln ohne Weihnachts­marktterror

Filmgeschichte auf Kölner Leinwänden

Den cinephil Dürstenden bietet der Januar nicht viel. Wobei das schönste Fundstück gar kein Film ist, sondern das von Ulf Becker für den WDR inszenierte Fernsehspiel »Schöne Bescherung — Ein Beitrag zum Fest von und mit Trude Herr« (1983), das man zum Jahreswechsel am einzig korrekten Ort für dieses Werk bewundern darf: dem Odeon Kino, wo sich 1977–86 Trudes »Theater im Vringsveedel« befand. Kurios ist, dass das Spiel mit dem Satz »Nix is’ mehr wie früher« endet — denn genau das denkt man sich die ganzen 86 Minuten Laufzeit: Was für eine andere Welt! Zu sehen ist ein Köln, das es so nicht mehr gibt: Häuser, die abgerissen wurden, Geschäfte, die geschlossen wurden — aber auch Freiraum, wo heute Weihnachtsmarktterror herrscht. Darin bewegt sich ein derbes, manchmal doofes, aber auch schräg emanzipiertes Kleinbürgertum. Man mag zum Lachen hingehen, doch am Ende verlässt man das Odeon eher melancholisch gestimmt.

Ähnlich gemischte Gefühle hinterlässt Claude Berris grandioses, lose autobiografisch inspiriertes Regiedebüt »Der alte Mann und das Kind« (1967), das begleitend zur Ausstellung »Gerettet — auf Zeit. Kindertransporte nach Belgien 1938/39« zu sehen sein wird. Berri erzählt von einem jüdischen Jungen, der von seinen Eltern als Katholik »getarnt« aufs Land verschickt wird, wo sich eine Familie Antisemi­ten um ihn kümmert — natürlich ohne zu wissen, in welchem Glauben der Kleine erzogen wurde. Das ist extrem lustig, wobei einem jeder zweite Lacher im Halse stecken bleibt. Wie Schauspieler Michel Simon hier zum Kern des Antisemitismus vordringt, lässt einen ebenso fassungslos wie geistig bereichert zurück. Sollte sich jeder anschauen, der »Jojo Rabbit« (s. Seite 64) in den Himmel loben will — Berri kratzt wirklich an Tabus, während Waititi nur einstmals Provokantes variiert.

Zum Abschluss sei noch auf ein paar relativ aktuelle Produktionen hingewiesen: Als Teil des Programms »Zeit für Veränderungen — Neue Filme aus Japan« zeigt das Japanische Kulturinstitut vier exzeptionelle Anime: Miyashita Shinpeis »Sindbad« (2016), Hosoda Mamorus »Mirai no mirai« (2018), Ishida Hiroyasus »Penguin Highway« (2018) sowie Kōsaka Kita­rōs »Wakaokami wa shōga­ku­sei!« (2018). Unter vergleichbaren Umständen konnte man vor Jahren am selben Ort schon das Schaffen von Shinkai Makoto entdecken, bevor er 2016 mit »Your Name.« zum Weltstar wurde.