Gefunden! Was in Köln gut gelingt – Teil 1
Die 70er Jahre gelten als wildes Jahrzehnt, Streiks und Hausbesetzungen, Untergrundkampf und Landkommunen. Dabei hatte Rudi Dutschke 1967 zunächst den »langen Marsch durch die Institutionen« propagiert, also die beharrliche, langfristige Arbeit für politische Emanzipation und soziale Gerechtigkeit an den Orten, wo Gesellschaft »gemacht« wird: im Rundfunk, an Schulen und Universitäten oder kulturellen Einrichtungen. Ein Echo auf Dutschkes Arbeitsprogramm war der Ausspruch des Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann: »Kultur für alle!« proklamierte er 1970. Mit diesem Satz wurde er legendär. Es war eine Kampfansage an das Bildungsbürgertum mit seinen Privilegien, ein Aufruf, ihre Bastionen — Oper oder Museum — zu »schleifen«, denn in sie wagte sich damals kaum ein Kleinbürger oder Prolet, erst recht keine Migrantin.
Kultur und Demokratie wurden damals in vielen Großstädten Westdeutschlands miteinander kurzgeschlossen. In der Kultur sollten die Leute ein gleichberechtigtes Miteinander und eine kritische Haltung erproben, die dann in anderen gesellschaftlichen Bereichen — im Betrieb oder der Schule — Anwendung finden sollte.
Das ist fast zwei Generationen urbanen Lebens her, und die Enttäuschungen haben sich gehäuft. Eine Kultur-, gar eine Schuldezernentin, die mit Hoffmanns Emphase ihre Arbeit in Köln — oder anderswo in Deutschland — anträte, würde nur Kopfschütteln ernten. Der Zug scheint abgefahren. In den 90er Jahren wurde Kultur entpolitisiert, stattdessen ökonomisch aufgeladen, sie war ein Standortfaktor, sollte die Größe und Pracht einer Stadt repräsentieren, Investoren anlocken. Der städtische Raum galt nun nicht mehr als Ort öffentlicher Teilhabe, sondern als Spielwiese für Selbstverwirklicher — und der Grad der Selbstverwirklichung hängt bekanntlich von der individuellen Zahlungskraft ab. Zivilgesellschaftliche Räume wurden, da immer mehr von Sponsoren abhängig, privatisiert.
Dann kamen der Sparzwang, die gestrichenen Kulturetats, die Rundfunkreformen, die immer zulasten aufwändigerer Formate gingen, die verschlankte Verwaltung, die in Köln — oder anderswo in Deutschland — noch viel mehr Bürokratie als zuvor produzierte.
Aber es blieb auch die beharrliche Arbeit an der Basis und »vor Ort«. Dank ihr haben in Köln Institutionen überwintert, die wieder exemplarisch sind und überhaupt nicht dem Image der chaotisch-korrupten Stadtgesellschaft entsprechen. Philharmonie, einst Tempel der Hochkultur, und Stadtbibliothek, die vielleicht die beste der Republik ist, sind Orte, wie sie Hilmar Hoffmann einst vorgeschwebt haben mögen. Ihre Angebote sind auf der Höhe der Zeit, denn sie laden zum Mitmachen ein, zum Selberdenken. Sie leisten, schon weil sie sich nicht vom Zeitgeist oder privaten Sponsoren abhängig machen, einen erheblichen Beitrag zur Meinungsbildung in der Stadtgesellschaft — was auch dazu geführt hat, dass die Kölner Zivilgesellschaft auf einem antifaschistischen Konsens beruht.
Und diese Institutionen sind beliebt! Ihre Angebote werden stark nachgefragt, haben Vorbildcharakter. Die Botschaft des Publikums: mehr davon! Es ist ein Indiz, dass die Jahre des Neoliberalismus, der Ökonomisierung, Verschlankung und Zeitgeist-Beschleunigung für viele Kölnerinnen und Kölner vorbei sein mögen.
Text: Felix Klopotek
Neuerfindung digital
In der Zentralbibliothek geht es längst nicht mehr nur um Bücher und Literatur. Sie ist ein Treffpunkt geworden, an dem die unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen
Man könnte denken, dass sich Stadtbüchereien in der Krise befinden. Wie präsentiert sich eine Papier-Bibliothek in Zeiten der Digitalisierung? Die Strategie der Zentralbibliothek am Neumarkt ist ein klares Bekenntnis zu dieser Veränderung. Buchkultur wird hier nicht eigens vermittelt, wiewohl die Bestände an Belletristik und Fachliteratur riesig sind. Doch ein Teil des Bestands, darunter auch Klassiker, wandert zunehmend ins Magazin. So ist mehr Platz für die Präsentation digitaler Medien entstanden, wozu Hörbücher, Musik-CDs und DVDs zählen— aber auch die neuesten Trends für den zukünftigen Massenmarkt.
Im obersten Stockwerk liegt der sogenannte Makerspace. Gleich am Eingang wird ein 3D-Drucker gezeigt und auch erläutert. Man kann dort einen Führerschein nicht nur zur Bedienung des 3D-Druckers, sondern auch für 3D-Scanner oder Overlocknähmaschine erwerben. Upcycling-Fans nutzen den Drucker gerne, um Ersatzteile zu drucken. Das komplette Druckermaterial stellt die Stadtbibliothek gratis zur Verfügung. 2013 war der Makerspace ein kleines Medienereignis und diente als Symbol dafür, wie Stadtbibliotheken das Ende der Gutenberg-Galaxie überleben könnten. Kinder starren dort auf die Glasvitrine, hinter der ein Roboterarm einen Miniatur-Dom in Plastik kopiert. Man kann hier zudem Kurse besuchen, in denen es um Robotik oder Virtuelle Realität geht, ein Schwerpunkt liegt auf den MINT-Fächern.
Ob eine Stadtbibliothek aber auch Kurse etwa zu Facebook anbieten oder Schulklassen an Google-Produkte heranführen sollte, darf man bezweifeln — es zeigt jedoch die Ausrichtung auf den Publikumsgeschmack: Die Bücherei soll zum Erlebnis werden! Ein Stockwerk tiefer, auf der 3. Etage, kann man sich eine VR-Brille aufsetzen und Virtual-Reality-Games spielen. »Täglich können Sie bis zu drei Stunden kostenlos in die virtuelle Realität eintauchen«, heißt es da. Ob das gut für den Kopf ist, ist die eine Frage. Die andere ist, was das noch mit einer Bibliothek zu tun hat. Die Antwort lautet wohl, dass Bibliotheken, zumal Stadtbüchereien, sich als Treffpunkte mit neuen, attraktiven Angeboten präsentieren müssen, um überhaupt ausreichend Publikum zu finden. In Köln gelingt das sehr gut. Die Besucherzahlen in der Zentralbibliothek und den Filialen in den Stadtteilen steigen. Hinzu kommen die Online-Angebote, etwa das redaktionell gut betreute Streaming-Portal Filmfriend. Mit dieser Ausrichtung wurde man 2015 »Bibliothek des Jahres«, und Direktorin Hannelore Vogt erhielt 2019 die Karl-Preusker-Medaillie der deutschen Bibliotheks- und Informationsverbände BID.
Die Stadtbibliothek vermeidet es, als elitärer Wissensspeicher oder Hochkultur-Archiv zu erscheinen. Eben das macht sie auch zu einem Ort, an dem Milieus sich mischen. Das Sprachcafé für Geflüchtete ist oft heillos überfüllt, und an den Internetpools versammeln sich viele, die sonst nur schwer einen Online-Zugang erhalten.
Trotz digitaler Angebote: Das typische Angebot einer Stadtbibliothek besitzt offenbar noch genug Anziehungskraft. Im Parterre sitzen Menschen bei der Lektüre der Tageszeitungen oder Magazine; wer hier ein paar mal ein- und ausgegangen ist, kennt recht bald die Stammkunden. Auf den Stockwerken darüber arbeiten Schülergruppen an
ihren Referaten, Menschen jeden Alters sitzen mit Büchern an den Seminartischen, die meist an den großen Fenstern stehen. Man findet hier neben der Präsentation von Bestsellern und Gesamtausgaben viel Ratgeber-Literatur, Einführungen in die unterschiedlichsten Themengebiete und auch Bücher für Hobby und Freizeit.
Das Angebot ist sehr kundenfreundlich, bis zu zwanzig Bücher oder digitale Medien kann man ausleihen und bis zu zweimal verlängern, die Mahngebühr ist moderat. Das Angebot digitaler Ausleihe gibt es in Köln zwar schon vergleichsweise lange, aber Standard ist immer noch, Bücher nach Hause zu tragen. Seit 2012 gibt es dafür neue elektronische Ausleihgeräte im Foyer.
Doch während einige Filialen in den vergangenen Jahren gründlich modernisiert worden sind, ist das Gebäude am Neumarkt trotz digitaler Höhenflüge auch arg veraltet: Das Gebäude ist jetzt 40 Jahre alt und muss saniert werden. Man merkt das allein, wenn man den Aufzug benutzt oder auf Barrierefreiheit angewiesen ist. Wenn die längst beschlossene Generalsanierung bei laufendem Betrieb dann mal abgeschlossen sein wird, dürfte der Ort allerdings noch attraktiver sein.
Die Bibliothek als Treffpunkt — nirgendwo im Haus zeigt sich das mehr als im Kinderbereich im Untergeschoss. Für viele Eltern und ihre Kinder ist die Abteilung mit Kinder- und Jugendliteratur, CDs und Brettspielen die erste Anlaufstelle. Man könnte sagen, dass in der Kinderabteilung das Publikum etwas homogen sei — Eltern und ihre Kinder halt. Allerdings ist hier der Austausch untereinander auch enorm unkompliziert, fast zwangsläufig. Auf keiner anderen Etage kommt man so schnell ins Gespräch, über Bücher oder ganz andere Themen.
Text: Bernd Wilberg
Ungewöhnliche Freiheit
Der Bauspielplatz in Chorweiler lässt viel Platz für Kinderphantasie
In den Bau zu gehen, ist für Kinder in Chorweiler seit Generationen ein geflügeltes Wort. Gemeint ist damit eine der wichtigsten Anlaufstellen des Bezirkes: Der Bauspielplatz in Seeberg-Nord, getragen von der Diakonie Michaelshoven. »Bei uns dürfen Kinder Dinge tun, die sie eigentlich nicht tun dürfen«, sagt Frank Hellenkemper, und blickt bewundernd aus dem Fenster, wo die Kinder bei Wind und Wetter draußen spielen.
Hellenkemper, Leiter der Kinder- und Jugendeinrichtung »Der Bau«, sitzt in seinem Büro in Chorweiler. Er blättert in einem dicken Ordner voller Unterlagen der vergangenen Jahrzehnte. Schließlich findet er das Protokoll der Kinderspielplatzinitiative von 1973, noch auf Schreibmaschine getippt. Dann lacht er auf: Schon bei der Gründung wünschte man sich eine Matschecke auf dem Gelände mit angeschlossenem Wasserspielplatz, ist aus dem Protokoll zu entnehmen. »Den haben wir vor zwei Jahren dann auch endlich bekommen.«
Seit 1977 kommen Kinder und Jugendliche aus Chorweiler auf den Bauspielplatz: 5.000 Quadratmeter mitten zwischen den Hochhäusern, mit Bäumen, Fußballplatz und sogar einem Tiergehege mit Ziegen und Meerschweinchen. Hier kann jedes Kind Zeit verbringen, ohne sich vorher anmelden oder etwas zahlen zu müssen. Es dürfte nur wenige Bauspielplätze in der Republik geben, die von Kindern aus so vielen unterschiedlichen Herkunftsländern besucht werden. Nachmittags, wenn die Schule vorbei ist, bekommen die Kinder hier ein warmes Mittagessen — für gerade einmal einen Euro. Aber was sie vor allem immer wieder in den »Bau« zieht: diese ungewöhnliche Freiheit, sich ausprobieren zu dürfen. Natürlich unter Aufsicht, aber das stört nicht, wenn man als Sechsjähriger mit einem Magnesiumstab Funken macht, bis das Holz in der Feuerstelle Flammen schlägt, oder mit Hammer, Nägeln und Sperrholz seine eigene Hütte zusammenzimmert.
Seit einiger Zeit gestaltet die Stadt die öffentlichen Plätze in Chorweiler um. Doch der »Bau« ist nicht in Gefahr: »Von Seiten der Politik wurde uns immer deutlich zu verstehen gegeben, dass sie unsere Präventionsarbeit zu schätzen wissen«, sagt Hellenkemper.
Text: Philippa Schindler
Widerspenstiges Theater
Auf der Studiobühne wird seit Jahrzehnten experimentiert
Die Studiobühne, diesen schmucklose Flachbau an der Universitätsstraße, sieht man meist im Dunkeln. Nämlich dann, wenn in den Abendstunden die Bühne öffnet und man sich mit anderen Gästen durch das in die Jahre gekommene Foyer mit seinen runden Tischen und der kleinen Bar in den Aufführungsraum schiebt. Seit 1920 wird hier freies Theater abseits vom Mainstream gemacht. 1974 erklärte der Senat das Haus zum kulturellen Zentrum der Universität.
Draußen ist es kühl, doch der Kaffee wärmt die Hände. Dietmar Kobboldt, Leiter der Studiobühne, kommt im Garten auf der Rückseite des ockerfarbenen Gebäudes ins Erzählen. Von den wilden 70er Jahren des Theaterhauses, als Studierende hier politische Stücke zeigten und damit einen Gegenentwurf zum verkrusteten Theaterbetrieb der Stadt schafften. Und von heute: dem Versuch, dieser Leitlinie noch immer gerecht zu werden — mit knappem Budget, aber großem Ansehen als freies Theaterhaus, auch über die Grenzen von NRW hinaus.
Rund zehn neue Produktionen stehen in dieser Spielzeit auf dem Programm. Dazu kommen Festivals wie »west off« und »fünfzehn minuten«, die sich vor allem der Nachwuchsförderung in der Kunst- und Theaterszene verschrieben haben. Eines haben die Stücke, die auf der Bühne der Studiobühne gezeigt werden, stets gemeinsam: Sie widersetzen sich den Sehgewohnheiten eines Publikums, auch wenn das nicht immer allen gefällt. Manch ein Stück komme hier mitunter holprig daher, sagen manche.
Die Studiobühne hat viele Tabus gebrochen. Zwar werden heute während der Aufführung keine Hühner mehr auf der Bühne geschlachtet wie noch bei einem Stück von Pablo Neruda im Jahr 1987, doch widerspenstig bleiben die Stücke: aktuell mit einer Annäherung an den »weißen heterosexuellen Mann« von Dramaturg Tim Mrosek oder einem Stück über die Stigmatisierung von Menschen mit HIV.
Text: Philippa Schindler