»Wir müssen radikaler werden«

Nach einem Jahr freitäglicher Streiks legen die Kölner Aktivisten von Fridays for Future eine Pause ein. Sie suchen neue Protest­formen, um mehr Druck auf die Politik auszuüben. Was sind ihre Pläne? Jan Tecklenburg und Finja Rausch über Erfolge, Frust und zivilen Ungehorsam

Vor Weihnachten habt Ihr verkündet, dass Ihr jetzt erst mal pausiert. Hat euch die Klimapolitik mutlos gemacht?

Finja Rausch: Gemeint war, dass wir nicht mehr jede Woche streiken. Das machen wir nur noch zu bestimmten Anlässen, oder wenn eine Großdemo ansteht. Dadurch, dass wir nicht mehr wöchentlich streiken, haben wir viel mehr Zeit, um andere coole Aktionen zu organisieren. So werden wir in diesem Jahr verstärkt Sitzblockaden machen, und bis zum Sommer wird es zwei weitere Kongresse geben.

Aber die wöchentlichen Streiks waren doch Euer Markenzeichen. Warum ändert Ihr das jetzt?

Jan Tecklenburg: Durch die regelmäßigen Freitagsstreiks haben wir schon sehr viel erreicht. Wir haben den gesellschaftlichen Diskurs verschoben. Allerdings ist jetzt schon ein Jahr vergangen, und trotzdem wurden politisch kaum Maßnahmen getroffen. Wir glauben, dass wir durch Streiks zu bestimmten Themen und andere Aktionen politisch mehr erreichen können.

Was meint Ihr mit »andere Aktionen«?

Jan: Camps. Wir hatten in Köln schon zweimal Camps auf dem Alter Markt. Oder Bildungsveranstaltungen wie die Public Climate School von den Students for Future. Da konnten sich alle Menschen eine Woche lang Vorträge an der Uni Köln zum Klimawandel anhören. Und eben auch ziviler Ungehorsam. Wir haben im vergangenen Jahr schon ein paar Swarmings gemacht: Man geht mit einer Gruppe von Menschen durch die Stadt, setzt sich zwei Grünphasen lang einfach auf eine Kreuzung und geht dann weiter. Und wir hatten Sitzblockaden vor dem Institut der deutschen Wirtschaft und vor der Bezirksregierung.

Zivilen Ungehorsam kannte man vor allem von Extinction Rebellion. Habt Ihr euch das von ihnen abgeschaut?

Jan: Wir stehen beide für dasselbe Thema ein, deswegen gibt es Überschneidungen. Extinction Rebellion machen auch Demos, und wir machen auch zivilen Ungehorsam. Eigentlich orientieren wir uns aber eher an den Strukturen von Ende Gelände.

Ihr wollt nur noch zu bestimmten Anlässen streiken. Was steht dieses Jahr an?

Jan: Die Kommunalwahl in NRW. Oder das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 bei Recklinghausen. Im Jahr 2020 soll noch ein Steinkohlekraftwerk ans Netz gehen! Das wird das Ding in diesem Jahr, einfach weil es so absurd ist. Da werden wir zivilen Ungehorsam einsetzen. Wir werden aber nicht weiter gehen als Sitzblockaden zu machen, jedenfalls nicht in nächster Zeit. Wir wollen ja weiter für alle Menschen zugänglich bleiben.

Das klingt trotzdem nach Radikalisierung.

Jan: Auf jeden Fall. Wir brauchen radikalere Maßnahmen, um den Klimawandel zu stoppen. Je länger wir nichts tun, desto radikaler müssen wir werden. Es geht um unsere Zukunft, und anders bekommen wir es anscheinend nicht erreicht. Trotzdem müssen wir anschlussfähig bleiben. Man wird auf unseren normalen Demos nicht dazu gezwungen sein, da mitzumachen. Man wird nicht in irgendwas reingezogen, was man nicht möchte.

Finja: Neulich haben wir auch eine Aktion zivilen Ungehorsams gemacht, aber daneben war eine legale Kundgebung für die, die sich nicht an dieser Aktion beteiligen wollten. Es wird immer transparent sein, was man gerade macht. Wir werden nicht zur nächsten RAF-Generation.

Die Bedingungen für politische Veränderungen waren im vergangenen Jahr ideal. Der Druck von der Straße war enorm, der Sommer extrem heiß, Bilder vom brennenden Regenwald gingen um die Welt. Trotzdem hat die Bundesregierung nur ein Mini-Klimapaket verabschiedet. Das muss frustrierend sein.

Finja: Ja, das ist frustrierend. Andererseits sehen wir ja immer deutlicher, dass etwas passieren muss. Es ist für uns eher ein Ansporn.

Jan: Wären wir ein Sportverein und hätten uns irgendein sportliches Ziel gesetzt, hätten wir wohl längst aufgegeben. Aber es geht um unsere Zukunft. Wenn wir aufgeben, wird unsere Zukunft übel aussehen. Deswegen werden wir weitermachen.

Ihr seid beide seit Januar 2019 bei FFF dabei. Ist die Akzeptanz für Euer Engagement an Euren Schulen gewachsen? Oder ist man langsam genervt, dass Ihr nicht aufhört?

Jan: An unseren Schulen bekommen wir Anerkennung dafür, dass wir uns für die gemeinsame Zukunft einsetzen. An anderen Schulen werden die Kinder aber dafür gemobbt, dass sie zu FFF gehen.

Es sind vor allem Gymnasiasten, die freitags gestreikt haben.

Jan: Das ist definitiv ein Problem. Noch schlimmer ist es beim Orga-Team, da sind kaum Realschüler. Wir tun aber alles dafür, dass alle Menschen bei uns gut aufge­hoben sind, egal welche Bildung sie genießen oder wo sie herkommen.

Was kann man da überhaupt tun?

Jan: Für Realschüler ist es zum Beispiel schwierig, dass viel während der Schulzeit stattfindet. An ihren Schulen ist die Akzeptanz nicht so groß. Und sie haben keine Zeit für siebenstündige Plena. Da ist es gut, die Treffen zu verkürzen und Anfangs- und Schlusszeit genau festzulegen. Genau das tun wir jetzt auch — und wir verzichten auf die wöchentlichen Streiks. Insofern sind das auch Schritte, um inklusiver zu werden. Und es klappt auch teilweise, wir haben jetzt einen größeren Zuwachs in
der Organisation.

Ihr wollt euch künftig mehr in die Kommunalpolitik einmischen.

Jan: Köln ist bundesweit eine der größten Ortsgruppen, neben Hamburg und Berlin. Wir haben Einfluss: Wir stehen in Kontakt zu allen Ratspolitikern und zur OB Henriette Reker, wir hatten schon mehrere Gespräche mit ihr. Wir haben Kontakt zu RheinEnergie und KVB. Das müssen wir jetzt noch besser nutzen. Auch unsere Gespräche mit der KVB werden wir weiterführen.

Worum geht es da?

Jan: Zu unseren Zielen gehört der kostenlose öffentliche Nahverkehr. Im Stadtrat heißt es dazu, das sei toll, aber nicht umsetzbar. Deswegen reden wir mit der KVB, um herauszufinden, ob es nicht doch umsetzbar ist. So können wir weiter Druck ausüben.

Finja: Die KVB spricht mit uns, obwohl sie das nicht müsste. Da sieht man, welche gesellschaftliche Macht wir durch unsere Aktionen bekommen haben.

Ihr äußert euch immer häufiger zu anderen Themen. Ihr habt gegen Rechts demonstriert, macht euch für Feminismus stark und solidarisiert euch mit den Kurden in Rojava. Durch eine solche Themenvielfalt macht ihr euch leicht angreifbar.

Jan: Wir betrachten all diese Probleme aus Sicht der Klimagerechtigkeit. In den Regionen, die stärker unter dem Klimawandel leiden, sind Frauen besonders betroffen. Es ist wichtig, Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, damit sich dort alle Menschen anpassen können. Wir sind eine Klimagerechtigkeitsbewegung, wir wollen Gerechtigkeit in der Welt, und der Klimawandel wird in nächster Zeit für die größten Ungerechtigkeiten verantwortlich sein.

Finja: In Rojava hat man gesehen, wie man effizient gegen den Klimawandel vorgehen kann. Es gibt da die Aktion Make Rojava Green again. Die Kurden forsten die vom Krieg zerstörten Regionen wieder auf, stellen verseuchte Seen wieder her. Ihr System basiert auf den drei Pfeilern Feminismus, Basisdemokratie und Umweltschutz, und dafür sind wir ja auch. Jetzt wird das alles zerstört.

Warum wird Fridays for Future keine Partei?

Jan: Unsere Rolle ist, widerzuspiegeln, was die Jugend möchte. Ein Großteil unserer Bewegung, mehr als die Hälfte, sind unter 18. Wir wollen die jungen Menschen vertreten, die kein Wahlrecht haben.

Ist man automatisch links, wenn man für Klima­gerechtigkeit ist?

Jan: Die CDU macht in mancher Hinsicht eine bessere Klimapolitik als die SPD. Deswegen kann man das nicht unbedingt in links und rechts einteilen.

Manche sagen, Ihr habt Euren Zenit überschritten.

Finja: Man könnte den Eindruck gewinnen, dass wir kleiner werden, weil die Demos kleiner werden. Das liegt aber vor allem daran, dass es kälter ist. Die Organisationsstruktur wird aber größer, es werden immer mehr Leute, die mitarbeiten möchten, in den Plena und AGs. Unsere Whatsapp-Gruppen sind alle überfüllt.

Jan: Wir werden umso stärker zurückkommen. Die Frustration wird immer größer, weil immer mehr Menschen sehen, dass es eine Krise gibt, aber die Bundesregierung nichts dagegen tut. Deswegen glaube ich, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung 2020 größer wird. Das ist einfach so wichtig! Und deswegen bin ich optimistisch.