Damals hatte die Gewerkschaft noch Angst vor dem Ende der Welt: Andreas Kossiski vor DGB-Plakaten

Gesucht, gewunden

Der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Kossiski will bei der Wahl im Herbst OB Henriette Reker ablösen

Lange hat die SPD jemanden gesucht, der zur OB-Wahl im September gegen Henriette Reker antritt. Dann, Ende Januar, stellen SPD-Chefin Christiane Jäger und Fraktionschef Christian Joisten ihren Kandidaten der Presse vor. Der Hoffnungsträger ist 61 Jahre alt, war Polizeibeamter und Kölner DGB-Boss, sitzt seit 2012 im Landtag und heißt Andreas Kossiski. Flankiert von Jäger und Joisten sitzt er in einem Jugendzentrum in Chorweiler und sagt einen Satz, der abgelesen klingt: »Ich will Oberbürgermeister dieser wunderbaren Stadt werden.«

Chorweiler gehört zu Kossiskis Wahlkreis, den er zweimal gewann — die SPD sehnt sich nach Siegern. Hier wird die Notwendigkeit sozial­demo­kra­tischer Politik deutlich: Armut, Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung. Die soziale Spaltung ist für Kossiski das größte Problem »dieser wunderbaren Stadt«, er ist Sozialdemokrat alter Schule.

 

Eine rote Dorfjugend

Aufgewachsen ist er in Schleswig-Holstein, in Lägerdorf, einer kleinen Gemeinde mit großem Zementwerk. »Wir waren das rote Dorf im schwarzen Land. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften waren stark, und ich habe dort immer gelebte Solidarität erfahren«, erzählt Kossiski zwei Wochen später in seinem Büro in Longerich. 1974, nach der Mittleren Reife wird er Polizist — und ist fassungslos, wie viele Kollegen eine NS-Vergangenheit haben. Als er erlebt, wie Demonstranten nieder­geknüppelt werden, will er hinschmeißen. Ein Kollege hält ihn ab, sagt, man dürfe denen nicht das Feld überlassen. Kossiski bleibt Polizist, mehr als dreißig Jahre, studiert an der Polizeiführungsakademie, wird schließ­lich in Köln Dezernent im Polizeipräsidium.

Kossiski ist kein Hardliner. Er sagt, die SPD dürfe die Themen Sicherheit und Ordnung nicht den Konservativen überlassen. Er fordert mehr Street­worker und Veedelsbeamte. »Natürlich gibt es Angsträume«, sagt er. »Selbst, wo es nur so empfunden wird, muss man das ernst nehmen.« Er betont die Bedeutung von Prävention und sagt auch, jeder habe eine zweite Chance verdient. »Aber es gibt auch Regeln, und an die muss man sich halten, wenn Gemeinschaft funktionieren soll.«

Mehr Angst vor dem Ende des Monats als dem Ende der Welt

2009 wird Kossiski, der mit 16 Jahren in die Gewerkschaft eintrat, DGB-Chef in Köln. »Der Kampf für gerechte Bezahlung und sichere Arbeitsplätze prägt mein ganzes Leben«, sagt er. Kossiski spricht von der Bedeutung Kölns für große Unternehmen, nennt Ford und die 17.000 Arbeitsplätze. »Industrie ist für mich kein Schimpfwort«, sagt er. Natürlich kommt auch die SPD nicht mehr am Klimaschutz vorbei. »Aber es gibt Menschen, die mehr Angst vor dem Ende des Monats haben als vor dem Ende der Welt.« Den Satz findet Kossiski gut, das merkt man. Das zeigt aber gerade, wie sehr die SPD sich Sozial- und Umweltpolitik bloß als Widerspruch denkt. Auch in Köln werden ja gerade die armen Menschen von den Folgen des Klimawandels am stärksten betroffen sein.

Wenn es um den Rechtsruck geht, die Vorgänge in Thüringen, die AfD, dann spürt man Kossiskis Sorge vor der Gefährdung der Demokratie. Ein prägendes Erlebnis war auch Mitte der 70er Jahre sein erster Besuch in Brasilien, wo er Verwandtschaft hat. Dort hat er erleben müssen, wie ein Bekannter aus einem Kino abgeführt wurde. »Später habe ich seine Folterwunden gesehen, er wollte nicht darüber sprechen.«

Für FC-Erweiterung und Olympia

Danach wieder über die Kölner Probleme zu sprechen, wirkt fast unpassend. Kossiski will mehr Kitas und Gesamtschulen, wenn er für die Erweiterung des FC-Geländes in den Grüngürtel und eine Olympia-Bewerbung plädiert, wenn er Rekers Verwaltungsreform kritisiert, weil sie die Mitarbeiter angeblich in den Burnout treibe — dann kann man sich Kossiski gut am Wahlkampfstand vorstellen.

Bisher konnten seine Reden nicht begeistern. Als er Mitte Februar auf der SPD-Wahlkreiskonferenz, wieder in Chorweiler, offiziell nominiert wurde, liest er vom Blatt, was er zwei Wochen zuvor der Presse gesagt hat. Vor ihm hält der Rodenkirchener Bezirksbürgermeister Mike Homann eine flammende Rede für seine Kandidatur und sorgt für einen Eklat. Das Auswahlverfahren sei nicht demokratisch gewesen, er fühlt sich über­gangen, attackiert Parteichefin Jäger, redet den Genossen ins Gewissen, nicht einfach »den Kandidaten« abzunicken. Am Ende seiner Rede zieht Homann seine Kandidatur zurück. Dennoch wählen nur 71 Prozent der Delegierten Kossiski, den einzigen Kandidaten.

Zwei Tage später in seinem Büro will Kossiski nach vorn schauen. »Jetzt geht es los! Ich habe viel Zuspruch, auch aus anderen demokratischen Lagern erhalten. Wir sind auf dem Weg.« Kann er gegen Reker im September gewinnen? Jemand, der den Aufbruch verkörpern soll, aber doch die alte Sozialdemokratie vertritt? In seinem Büro hängt das berühmte Foto von Willy Brandt mit Gitarre. Egon Bahr und auch Jochen Steffen gehören zu seinen Vorbildern. Steffen war von 1965 bis 1975 Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein. »Er hat die SPD dort in einer schwierigen Zeit geführt«, sagt Kossiski. Auch er führt die SPD in schwieriger Zeit. Jochen Steffen trat damals für Umweltschutz und gegen Atomkraft ein, — Ende der 70er Jahre verließ Steffen die SPD wegen deren wirtschaftspolitischem Kurs. Das könnte Kossiski, dem Sozialdemokraten alter Schule, nie passieren. In dieser Hinsicht braucht sich die SPD keine Sorgen zu machen.