Dornröschen erwacht
Marc Leßle steht in einem verwunschenen Innenhof. Überall sprießen Büsche, Gräser und Bäume aus dem Beton, in ein paar Wochen wird der wilde Flieder blühen. Über ihm prangt in großen Buchstaben der Schriftzug: »Die Kunst der Revolution.« Dahinter erstrecken sich riesige Produktionshallen, die zunehmend verfallen. Die stählernen Trägergerüste sind mit Graffiti besprayt, ein verrosteter Kran zeugt vom industriellen Erbe. Hier entwickelte Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) vor 150 Jahren den ersten Verbrennungsmotor der Welt und leitete damit eine weltweite technologische Revolution ein. Mitte der Nuller Jahre gab das Unternehmen den Standort im Mülheimer Süden auf. »Von hier muss wieder Innovation ausgehen. Es ist Zeit für eine neue Art der Stadtentwicklung, bei der die Menschen im Vordergrund stehen«, sagt Marc Leßle, Geschäftsführer der Künstlerinitiative Raum 13, die vor neun Jahren in die denkmalgeschützte KHD-Hauptverwaltung einzog. Leßle und Anja Kolacek haben aus der 250 Meter langen roten Backsteinfront an der Deutz-Mülheimer-Straße das »Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste« gemacht und mit Performances, Kunstaktionen und Workshops bespielt. Aber die Initiative macht mehr als Avantgardekunst in Industrieruinen: In »Zukunftswerkstätten« sind sie mit Wissenschaftlern, Stadtplanern und Bürgern der Frage nachgegangen: Wie möchten wir in Zukunft leben? Dabei machten Hochschulprofessoren ebenso mit wie Obdachlose. Raum 13 will Stadtentwicklung neu denken — so nah wie jetzt waren sie ihrer Vision noch nie.
Breites Bündnis für ein neues Stadtviertel
Denn Mitte Februar hat die Politik eine für Köln, vor allem vor dem Hintergrund des beginnenden Wahlkampfes, ungewöhnliche Kampagne gestartet: In einer gemeinsamen Erklärung forderten alle demokratischen Parteien von der CDU bis zur Linken die Stadtverwaltung auf, »offensiv Schritte« einzuleiten, um die ehemalige KHD-Hauptverwaltung samt dahinterliegendem Gießereigelände schnellstmöglich zu kaufen. Derzeit gehört das »Otto-und-Langen-Quartier« zwei Eigentümern: Die landeseigene Entwicklungsgesellschaft NRW Urban besitzt den weitaus größten Teil — mehrere Fabrikhallen mit denkmalgeschützter Jugendstilgießerei — und hat bereits vor zwei Jahren ihre Verkaufsabsichten kundgetan. Das repräsentative Verwaltungsgebäude ist in der Hand des privaten Investors Gottfried Eggerbauer, der auch zahlreiche Immobilien an der Schanzenstraße entwickelt hat. Die Situation spitzte sich vor ein paar Wochen zu, als Eggerbauer offenbarte, dass er ebenfalls verkaufen möchte und der Künstlerinitiative für Ende April kündigte.
Das »Otto-und-Langen-Quartier« liegt inmitten des derzeit größten Kölner Stadtentwicklungsprojekts, das sich auf 70 Hektar von der Messe in Deutz bis zur Katzenbuckelbrücke im Mülheimer Hafen erstreckt. Finanzstarke Investoren haben die Grundstücke gekauft und bis auf einzelne denkmalgeschützte Hallen alles abgerissen, um hochpreisige Wohn- und Bürokomplexe zu bauen. Seitdem schielen sie auf jenes »Filetstück«, das letzte unverplante Areal, dessen Zukunft noch offen ist. Mit ihrer überparteilichen Rettungsaktion will die Politik nun verhindern, dass erneut Investoren zuschlagen. »Endlich erwacht Köln aus dem Dornröschenschlaf. Andere Städte machen solche Schachzüge schon länger«, sagt Michael Weisenstein, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Linkspartei.
Die Stadt soll kaufen
In ihrem Aufruf fordern die Politiker die Verwaltung auf, gemeinsam mit ihnen Investor Eggerbauer dazu zu bewegen, die Kündigung von Raum 13 aufzuheben und sein Gebäude an die Stadt zu verkaufen. Zudem setzen sich die Politiker für eine »ganzheitliche Entwicklung« im Sinne eines »gemeinwohlorientierten Nutzungsmix aus Wohnen, sozialen, kulturellen und gewerblichen Nutzungen« ein. Dafür solle die Verwaltung alle notwendigen Schritte zum Erwerb der Grundstücke vorantreiben. »Das muss jetzt sehr schnell gehen«, mahnt der Vorsitzende des Liegenschaftsausschusses, Jörg Frank (Grüne). Laut Stadtplanungsamt prüft man bereits verschiedene Möglichkeiten, die möglichst schnell im Rat zur Wahl gestellt werden sollen. »Es ist möglich, dass die Stadt von ihrem besonderen Vorkaufsrecht Gebrauch macht«, heißt es im Stadtplanungsamt. Dem Vernehmen nach hat Eggerbauer allerdings eine sehr hohe Preisvorstellung, allein für seine Immobilie fordert er 22 Mio. Euro. Falls dies der Stadt zu teuer sei, habe man andere Instrumente, um die Planung des Geländes dennoch mitzusteuern, hört man aus Verwaltungskreisen. So kann etwa eine Veränderungssperre den Handlungsspielraum für Investoren merklich einschränken und Preise einfrieren.
Es gab Zeiten, in denen die Stadt ihre hoheitlichen Planungsaufgaben großzügiger mit Investoren teilte. So hat die Gerchgroup, der das Gelände auf der gegenüberliegenden Seite der Deutz-Mülheimer-Straße gehört, alle historischen Gebäude bis auf zwei denkmalgeschützte Hallen abgerissen. »Das war ein geradezu katastrophaler Fehler der Stadt, dass sie beim Verkauf nicht dazwischen gegangen ist oder nicht mehr reglementiert hat«, sagt Denkmalpfleger Walter Buschmann vom Verein Rheinische Industriekultur. »Die haben absoluten Kahlschlag betrieben. Da geht es nur um maximale Rendite.« Die Gerchgroup habe der Deutz AG zwischen 120 und 150 Mio. Euro bezahlt. »Ein so hoher Bodenwert führt zu gesichtslosen 08/15-Neubauten und Höchstpreisen am Markt«, so Buschmann, der auch Mitglied im »Wissenschaftlichen Beirat« der Künstlerinitiative Raum 13 ist. Gemeinsam mit anderen prominenten Unterstützern wie Architekt Paul Böhm, dem stellvertretenden IHK-Geschäftsführer Ulrich Soénius oder Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, fordert der Beirat eine »sanfte und partizipative Entwicklung« des Areals »unter weitgehender Berücksichtigung der historischen Bausubstanz, bei der eine Gemeinwohlrendite« im Zentrum stehe.
Neuer Umgang mit Investoren
Die Politik will Investoren nun also die Stirn bieten. Allerdings haben CDU, Grüne und FDP auch einiges gerade zu bügeln. Im Februar 2018 brachte die SPD-Fraktion angesichts der Verkaufsabsichten von NRW Urban im Stadtentwicklungsausschuss einen Antrag ein, den Ankauf des »Otto-und-Langen-Quartiers« zu prüfen. »Angesichts der irrsinnig steigenden Grundstückspreise war uns schon damals klar, dass das Gelände in öffentlicher Hand bleiben muss«, erklärt Michael Frenzel, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der SPD. Besagter Antrag der Opposition wurde jedoch mit den Stimmen von CDU, FDP und Grünen reflexhaft abgelehnt. Bereits zwei Monate später kam es zum Kurswechsel: Die Politik wollte nun doch kaufen und beauftragte die städtische Tochtergesellschaft Moderne Stadt, mit dem Land zu verhandeln. »Es ist ein Schaden in Millionenhöhe entstanden und irrsinnig viel Porzellan zerschlagen worden«, sagt Frenzel mit Blick auf die Preise, die die letzten zwei Jahre weiter angezogen haben.
Denn genau auf jenes Abstimmungsergebnis im Stadtentwicklungsausschuss beruft sich das Finanzministerium des Landes. Eineinhalb Jahre hat die Moderne Stadt mit NRW Urban verhandelt, doch seit Herbst 2019 ruhen die Gespräche. Laut Andreas Röhrig, Geschäftsführer der Modernen Stadt, ist sich das Land uneinig: das Bauministerium begrüße einen Verkauf an die Stadt, das CDU-geführte Finanzministerium strebe stattdessen einen europaweiten Verkauf zu Höchstpreisen an. »Wir kamen in den Verhandlungen nicht weiter. Die Vertreter des Landes haben wieder betont, dass sich das Kölner Regierungsbündnis im Stadtentwicklungsausschuss gegen einen Kauf ausgesprochen hat«, so Röhrig. Jetzt, nach der überparteilichen Rettungsaktion, sollen die Gespräche wieder aufgenommen werden. Andreas Röhrig appelliert an die Verantwortung des Landes: »Es ist bemerkenswert, dass Köln keine Fläche vom Land erwerben konnte, um entscheidende stadtentwicklungspolitische Ziele zu verfolgen.« Parallel dazu soll auch Baudezernent Markus Greitemann (CDU) mit seinen Parteifreunden vom Finanzministerium sprechen. Wenn es nach Grünen-Politiker Jörg Frank geht, auch mit Nachdruck: »Die Verwaltung muss verdeutlichen, dass der Rat planungsrechtliche Maßnahmen ergreift, die eine Veräußerung nach Höchstgebot nicht zulassen.«
»Zukunfts Werk Stadt«
Die Künstlerinitiative Raum 13 lädt erneut zu einer vierwöchigen »Zukunfts Werk Stadt« auf das Gelände der ersten Gasmotorenfabrik der Welt. Mit Führungen, Werkstätten oder Performances möchten Akteure aus Kunst, Architektur oder Zivilgesellschaft gemeinsam mit Bürgern stadtgesellschaftliche Themen wie Wohnen, Arbeit, Umwelt, Mobilität, Inklusion oder Demokratie erörtern. Die Auftaktveranstaltung am 13.3. startet mit einem Appell für eine innovative und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung.
Fr 13.3., 19 Uhr, Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste; läuft bis 11. April