Jonathan Coe: »Middle England«
Manche Romane verraten etwas über das Milieu, in dem sie entstanden sind. »Middle England« von Jonathan Coe ist ein solcher. Der britische Schriftsteller und überzeugte »Remainer« nimmt uns mit in sein politisches Lager: zu den Brexit-Gegnern, deren Lebensentwurf durch den EU-Austritt Großbritanniens fragil geworden ist. Ein Schriftsteller erlebt, wie ein Schulfreund zum Kopf eines rechts-nationalistischen Thinktanks wird. Eine Kunstdozentin heiratet ihren Fahrlehrer, der später »Leave« wählt, weil er sich bei der Beförderung einer britisch-asiatischen Kollegin zurückgesetzt fühlt. Und ein linksliberaler Politikjournalist erlebt direkt, wie sich die konservative Partei aus politischem Kalkül immer weiter nach rechts bewegt. Coe schildert seine Figuren mit reichlich Sentimentalität: sie trauern um »ihr« Großbritannien. Aber sie stehen dem Verlust auch hilflos und machtlos gegenüber, obwohl die Zeichen klar erkennbar waren. Unbeabsichtigt entlarvt Coes Roman so »Leave« und »Remain« als zwei Seiten des gleichen Problems: einer übermäßigen Fixierung auf die eigene
Identität. Folio, 480 Seiten, 25 Euro