Jetzt erst recht!
Ob nun ein Virus wütet oder eitel Sonnenschein herrscht, ob man nun in Quarantäne hockt oder frohgemut durchs flirrende Leben flaniert: Man muss essen, um zu leben. Doch »essen müssen« einerseits und »essen müssen wollen« andererseits — das ist der Gegensatz von bloßer Kalorienzufuhr und Kulinarik, also sinnlichem Vergnügen. Was bedeutet das in Zeiten der Krise, womöglich mit verordnetem Hausarrest? Haben wir nicht andere Probleme jetzt?
Ein verbreitetes, zugleich das größte Missverständnis von Kulinarik ist, dass sie nur in Zeiten des Überflusses denkbar sei — und während des Mangels und der Sorge dekadent und moralisch unstatthaft. Das ist kleinlich. Gerade in der Not braucht es neben einem klaren Kopf für Hygiene und einem tiefen Gefühl für den Mitmenschen auch den Sinn für die Freude und die Schönheit. Es liegt ein großer, stolzer Trotz darin. Frei nach der Floskel, die stets auf terroristische Anschläge folgt: Wenn wir jetzt Angst haben, hat das Virus schon gewonnen.
Was bedeutet das fürs Kochen? Verfeinerung ist wichtiger denn je! Präzise Garzeiten, Feinabstimmung der Aromen, auch Sinn für Gewagtes, Überraschendes — man hat ja jetzt auch Zeit, und solange noch Lebensmittelgeschäfte öffnen und die Versorgungsketten nicht abbrechen, muss man sich dieser Tage gustatorisch nicht den Konserven ausliefern.
Doch was, wenn schließlich nur noch die Vorratskammer bleibt? Wie es der Zufall so will, arbeitet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe seit einigen Wochen — und ungeachtet des neuartigen Corona-Virus — an einem »Notfall-Kochbuch«. Darin geht es darum, wie man sich ohne Strom etwas Nahrhaftes und zugleich doch geschmacklich Akzeptables zubereitet. Nun wird Covid-19 wohl nicht die Stromnetze lahmlegen; das besorgen nicht echte, sondern Computer-Viren. Aber es ist anregend, zu überlegen, wie man auch unter widrigen Umständen nicht nur satt, sondern mit Freude satt wird. Noch bis zum 15. Mai kann man Rezepte einreichen.
Es ist vielleicht gar nicht so schwer. Natürlich sind gute Mahlzeiten in Notlagen immer schlichte Mahlzeiten. Zur Henkersmahlzeit wünscht sich wohl kaum jemand ein Drei-Sterne-Menü, sondern eine einfache Lieblingsspeise. Beim letzten Abendmahl gab es Brot und Wein. Dort war man in höchster Bedrängnis, aber in Gemeinschaft. Ein großes Manko in diesen Tagen ist der Verlust solcher Geselligkeit. Das ist es, was für uns Gäste den eigentlichen Verlust darstellt, wenn die Restaurants geschlossen sind.