Drei Jahre auf Weckerkauf
Es war ein Wecker, der Ingrid Strobl ins Gefängnis brachte. Ein Serienmodell, aber vom Bundeskriminalamt mit einer speziellen Nummer versehen. Jeder, der diesen Wecker kaufen würde, würde gefilmt werden, auch Ingrid Strobl. Denn der Wecker war Teil eines Zünders, mit dem 1986 eine Bombe der »Revolutionären Zellen« am Lufthansa-Gebäude in Köln zur Explosion gebracht wurde — aus Protest gegen die »Bumsbomber«, die Flugzeuge, mit denen die Lufthansa Sextouristen um die Welt flog. Der Anschlag war präzise geplant, damit das Wachpersonal nicht verletzt wurde: Er richtete Sachschaden an. Und Ingrid Strobl brachte er 1987 für zwei Jahre und drei Monate ins Gefängnis.
Dort beginnt »Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich«, mit dem die Kölner Journalistin rund 30 Jahre später ihre Zeit im Gefängnis reflektiert. Den Glamour, den der Frauenknast durch Serien wie »Orange is the new black« bekommen hat, ist in diesem Buch abwesend. Hier gibt es keinen mafiösen Schwarzmarkt, keine lesbischen Liebschaften und die Schriftstellerin, die das Leben im Knast erzählt, hat keinen gutbürgerlichen Hintergrund, sondern stammt aus der Innsbrucker Arbeiterklasse. Strobl schildert den Alltag im Knast als eine Abfolge von Banalitäten, die existenziell werden. Der fehlende Vorhang verhindert einen ruhigen Schlaf, die Batterien für das Kofferradio muss sie streng rationieren. Und wenn sie sich zum Schreiben an den Tisch setzt, ist die festgeschraubte Sitzbank ein paar Zentimeter zu weit entfernt.
All dies beschreibt Ingrid Strobl als Ich-Erzählerin. Immer wieder wird sie auf ihre Gedanken in der Isolation ihrer Zelle zurückgeworfen. Aber diese Gedanken kreisen oft um ihre Mitgefangenen. Denn der Knast löst soziale Hiearchien nicht auf: Die promovierte Journalistin Strobl wird vom Wachpersonal besser behandelt. Die beiden Monis dagegen kämpfen mit billigem Schnaps gegen ihre Heroinabhängigkeit an; Gabi wurde von ihrem Partner in die Prostitution gezwungen, wo sie an der brutalen Vergewaltigung einer anderen Frau beteiligt war, was die Feministin Ingrid Strobl zu ernsten Reflektionen zwingt.
Aber »Vermessene Zeit« ist auch ein Buch über Bücher. Strobl und ihr Partner verständigen sich per Proust-Anspielungen, in der Zelle liest sie Peter Weiss und Primo Levi. Und über allem steht ihr eigenes Buch: eine Geschichte über Frauen im Widerstand gegen den Faschismus. »Vermessene Zeit« ist auch die Geschichte dieser Frauen. 1989 ist sie erschienen. Da hatte Strobl noch ein Jahr Knast vor sich.
Ingrid Strobl: »Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich«,
Edition Nautilus, 192 Seiten, 18 Euro
Ein ausführliches Interview mit Ingrid Strobl gibt es in der April-Ausgabe des Stadtrevue-Podcasts: stadtrevue.de/podcast