Flimmernde Peitschen
Es überraschte, als der Kölnische Kunstverein ankündigte, die erste Tony Conrad-Rückschau und Einzelausstellung in Deutschland zu realisieren. Man hätte meinen können, nein, müssen, dass es eine solche längst gegeben hätte. Doch Tony Conrad stellt auch heute noch eine Außenseiter-Position in der modernen Kunstgeschichtsschreibung dar.
Dabei war der 1940 in New Hampshire geborene, 2016 verstorbene Cross Over-Künstler bei vielen wichtigen Entwicklungen der letzten fünfzig Jahre zugegen, häufig mittendrin statt nur dabei. Als aus der Neuen Musik eines Karl-Heinz Stockhausens sich die Minimal Music, elektronische Avantgarde und Drone-Music rausschälten, war Conrad als Mitglied des Dream Syndicates und auch solo unmittelbar involviert. Als Film und Video als Teil der Bildenden Kunst akzeptiert wurden ebenso; das gleiche gilt für die Performance und die Installative Kunst. Gewürdigt aber wurde das (abseits von zwei documenta-Teilnahmen) selten. Erst als in den 90er Jahren das musikalische Werk (wieder-)entdeckt, aufgearbeitet und verlegt wurde, es ein Echo in der Spex et al. gab, wurde die Kunstwelt spitzohrig. In Folge tat sich der geschickte Kölner Galerist Daniel Buchholz hervor, das undurchsichtige Werk zu beleuchten.
An diese Zeit erinnert etwa das unbetitelte Kunstwerk, das bei Conrads letztem Besuch in Köln entstand, als er auf zwei Leinwänden durch die Stadt schlurfte und seine Fußabdrücke hinterließ — gleichsam eine Ahnenschaft zur rheinischen Fluxus und Neuen Musik-Szene formulierte. Eine Video-Dokumentation der Performance gibt es ebenfalls.
Insgesamt strotzt die gesamte Ausstellung mit knapp hundert Werken und Exponaten, die Seit an Seit präsentiert werden, was Conrad gefallen hätte. Selbstgebaute Musikinstrumente treffen auf konzeptuelle Kunstwerke, Video- und Filmkunst auf Dokumentationen (was gleichzeitig den Übergang vom einen zum anderen verwischt), Installationen auf Skulpturen. Conrads Kunst war von einer ausgemachten Zweckhaftigkeit und Auflehnung gegen das »Regime des Genres« geprägt, was hier schnell klar wird. So suchte er für jeden Ausdruck eine neue Technik, für jede Idee eine andere Sprache. Und doch gibt es klare Traditionslinien, die sich durch das Werk ziehen; viele lassen sich unter dem Label »Anti-Autoritär« subsumieren. Da wäre das revolutionäre Film-Experiment »The Flicker«: Schwarze und weiße Bildtafeln schießen über eine Leinwand, der Effekt ist stroboskophaft, auch heute noch führt es bei manchem zu Unwohlsein. Mit »The Flicker« entband Conrad das Medium Film aus seiner Verpflichtung zur Narration, erschuf den Strukturellen Film und gleichzeitig den Film als Skulptur.
Oder auch »Gate« aus dem Jahr 2016. Die Plastik begrüßt die Besucher im großen Ausstellungsraum des Kunstvereins. Sie besteht aus einem handelsüblichen Tür- und Treppengitter für Kleinkinder, platziert auf einer dunkelgrauen Plastikfliese. Die Anmutung ist hoch-steril und doch versteckt sich dahinter eine einladende Geste. Das Gitter ist geöffnet, man könnte hindurch gehen und krabbeln; die Welt steht einem förmlich offen.
In »WiP« — im Riphahn-Saal im 1. OG — geht es handfester zur Sache: »Women in Prison« respektive »Whip« (zu deutsch: Peitsche) ist eine Installation, die ehedem als Filmset gedacht war. Conrad hatte Anfang der 80er mit Tony Oursler und Mike Kelley einen Underground-Film namens »Jail, Jail« realisiert — wenn auch nie veröffentlicht — und wollte dreißig Jahre später ein Re-Enactment drehen. Dafür baute er diese Bühne, doch Mike Kelleys Tod sollte diesen Plan durchkreuzen. Daraufhin wurde aus dem Set-Design eine Installation. Heute wird sie durch flackernde, grelle Leuchtmittel, die sekundenweise an- und ausgehen, überblendet. So erinnert sie an Foltermethoden der CIA und des Militärs (etwa in Guantanamo) und verweist auf den sui generis autoritären Charakter der Institution »Gefängnis«.
Gleich daneben ein Screener von »Beholden To Victory« (1980/83), auch in diesem Film wirken Oursler und Kelley mit. Conrad legt hier den Fokus auf das Militär und die Auswirkungen, die Drill und Schleiferei beim Menschen haben. Ein 25-minütiges improvisiertes Theaterstück über Soldaten und Kommandanten entspinnt sich in Folge. Eine Konfrontation mit den eigenen autoritären Atavismen ist nicht nur gewollt, sondern ausdrücklich Ziel. In einer späteren Fassung musste man sich vor der Sichtung als »Militär« oder »Zivilist« outen.
Der Besuch der Ausstellung ist ein Muss in diesem Kunstjahr, am besten kombiniert man ihn mit einem der vielen Zusatz-Programm-Punkte während der Art Cologne — etwa dem Charlemagne Palestine-Konzert am 23. April!