»Damengedeck 2.0«: Per Zoom ins Seniorenheim

Videokonferenz im Seniorenheim

Das Sommerblut Festival stellt die Frage nach der Zukunft — und stellt sie dann nochmal neu

Wegen der blöden Pandemie, sagt Monika Krämer, sei nun alles anders. An einem hellen Nachmittag im April erreichen wir die 82-Jährige am Telefon. Die Residenz am Dom, eine betreute Wohneinrichtung, in der sie seit einigen Jahren lebt, ist abgeschottet: Besuch bekommt hier niemand mehr und alle Veranstaltungen sind bis auf Weiteres abgesagt. Doch Monika Krämer hat keine Langeweile. Ihr aktuelles Theaterprojekt hat sie — gemeinsam mit anderen Seniorinnen aus der Residenz — kurzerhand ins Netz verlegt.

»Damengedeck 2.0« heißt der virtuelle Rundgang, der im Rahmen des Sommerblut Festivals im Mai stattfinden wird: die utopische Vision einer Welt, in der die Damen des Hauses die Macht übernehmen. »Sie haben Kriege und Männer überlebt, sind durch fremde Länder zu Fuß geflohen, haben Karriere gemacht, haben Kinder geboren und großgezogen, und haben Sitzungen geleitet«, heißt es im Ankündigungstext. Es sei ein feministisches Stück, erklärt Projektleiterin Hanna Behr — und eines, dass die pessimistischen Überalterungsfantasien in Frage stellt: Was denken sie, die Damen aus der Residenz, eigentlich über die Zukunft?

Proben über das Internet

Geprobt wurde nach dem Lockdown nur noch am Telefon oder über das Internet. »Es gab schon manche, die da Bedenken hatten«, erinnert sich Regisseurin Liliane Koch. Andere, darunter die mit 90 Jahren älteste Teilnehmerin, hätten sofort ihre Mail-Adresse weitergeleitet. Auf der Plattform Zoom wird der Rundgang an sieben Terminen im Mai stattfinden: Ticketkäufer können sich dort in einen virtuellen Raum einloggen, vorab gibt es per Post ein kleines Paket nach Hause — darunter auch eine Häkelvulva, die die Teilnehmer anhand der Farbe in verschiedene Gruppen einteilt. »Und für Kurzentschlossene bieten wir eine Paketabholstation an«, erklärt Liliane Koch.

Aber wie organisiert man eigentlich ein Theaterfestival, wenn ein Ende der Kontaktsperre nicht absehbar ist? Rolf Emmerich, Gründer und Leiter des Sommerblut Festivals, gibt sich zuversichtlich. »Kultur trotz(t) Corona« titelte sein Komitee in dem Rundschreiben, das — entgegen dem Strom an Absagen — bekannt gab: »Wir schmieden neue Pläne.« Dort, wo es möglich sei, wolle man auf alternative Darstellungsformen setzen, im Netz oder durch die Nutzung anderer Medien. »Wir sind nicht resigniert, wir sind gespannt«, erklärt Rolf Emmerich und betont auch die Chance, Neues zu erproben.

Innovation und Verzweiflung

Doch es gibt auch verzweifelte Stimmen: Regisseur Gregor Leschig, der im Rahmen des Sommerblut Festivals ein Projekt mit chronisch kranken Menschen leitet, hadert der Dinge. »In unserem Stück geht es um die Vermischung von Virtualität und Realität«, erklärt er. Darum, wie eine Zukunft aussehen könnte, in der die kaputte Wirbelsäule einfach neu zusammengebaut, andere Körperteile schlicht ersetzt werden könnten — ein Hybrid entsteht. Geplant ist die Performance in der Kirche Sankt Gertrud und dort soll sie auch weiterhin stattfinden: »Eine komplette Verlegung ins Netz wird gerade wegen des Spannungsfeldes des Stückes nicht möglich sein.« Erschwert wurden die Proben auch, sagt Gregor Leschig, weil sich einige Teilnehmer mit dem Lockdown zunehmend zurückzogen: »In unserem Ensemble sind Menschen, die in Unterkünften für Geflüchtete leben. Die haben jetzt einfach andere Probleme.«

Monika Krämer weiß um ihre Privilegiertheit: Als Auslands­korres­pon­dentin eines Unternehmens hat sie im Kalten Krieg die Baupläne des Starfighters übersetzt, jetzt ist sie in Rente. »Ich habe keine finanziellen Sorgen und wenn ich auf mein Leben zurückblicke, dann kann ich sagen: Das war schön so.« Am Telefon plaudert sie über ihre Art, das Leben aufzuschreiben, nicht unbedingt als Tagebuch, sondern eher in Form von Briefen — all die Höhen und Tiefen, sagt sie und lacht: »Ich mach jetzt bei allem mit.« Denn das Internet, das habe sie jetzt doch überzeugt.

8.–24.5., diverse Spielorte. Updates unter sommerblut.de

 

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