Alles im Kasten
Nach unseren Expeditionen ins Kölner Neuland, den neuen Siedlungen der Stadt, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, bleibt am Ende eine banale, aber schlagende Erkenntnis: wie vieles sich doch gleicht! Es gibt diesen planerischen und architektonischen Standard, den man allerorten findet. Er offenbart sich auf den ersten Blick an Fassaden (immer weiß), Fenstern (bodentief) und Balkonen (bevorzugt mit Lochblechen). Und Dächer sind schon lange nicht mehr anders denkbar als flach. Gutes Wohnen? Alles im Kasten!
Was beim Gang durch die Siedlungen dann auffällt, ist die oft enorme Dichte der Bebauung — weil die Bodenpreise hoch sind, weil viele Menschen eine Wohnung suchen. Wo es Freiflächen gibt, wirken sie oft seltsam gekünstelt: die kleinen Kinderspielplätze, die schon Dreijährigen nicht mehr genügen werden, die Rasenflächen, die man heutzutage zwar betreten darf, aber die kaum mehr sind als Sickerflächen in Zeiten des Klimawandels und grüne Tupfer in der oft öden Eleganz eines Pseudo-Bauhaus. Für Wildwuchs — botanisch wie architektonisch — ist selten Platz, es sei denn, die Planer gönnen den Menschen mal einen »urbanen Garten«.
Nun sind das alles noch immer erste, oberflächliche Eindrücke. Doch prägt all das die Atmosphäre einer Siedlung und auch die Weise, wie man sich darin bewegt, verhält, ja, fühlt.
Was ist mit den Wohnungen selbst? Zum Standard gehören heute: dreifach verglaste Fenster, viel Tageslicht, elektrische Rollläden, eine Fußbodenheizung, repräsentative Bäder (immer große Kacheln!), eine Gästetoilette. Die Küchen sind heute offen, die Kinderzimmer sind größer als früher und die Schlafzimmer kleiner. Für all diese räumlichen und technischen Ansprüche gibt es »Lösungen«. Manche wirken cleverer als andere — hier zeigt sich planerisches Talent oder der kostenminimierte Rückgriff auf Versatzstücke.
Neben den funktionalen Ansprüchen gibt es auch ästhetische, und darin ähneln die Wohnungen dann wieder den Fassaden. Es gibt keine Tapeten, und Sichtbeton ist schick. Nirgendwo liegt Teppichboden, überall sind Steinfliesen und Parkett verlegt. Das verdient Erwähnung, weil es zeigt, wie ähnlich wir uns in vielerlei Hinsicht zu sein scheinen. Das zeigte sich bei allen Besuchen und Gesprächen unserer Neuland-Serie. Überall spürten wir das Ringen um Gemeinschaft, zumindest um eine gute auskömmliche Nachbarschaft. Genossenschaftsmodelle und Projekte mit Baugruppen können dafür offenbar bessere Voraussetzungen schaffen als Investoren-Architektur. Es braucht Treffpunkte, Bezugspunkte, auch gemeinschaftliche Räume: Das kann ein Kiosk oder Café sein, aber auch eine Fahrradreparaturstelle, nicht zuletzt Feste und Feiern, auch ein Blog. Die modernste Architektur taugt so gut wie nichts, wenn darin das Leben, die Möglichkeit des Austauschs zu stark reglementiert ist. Die oft beschworene soziale Mischung — etwa bürokratisch verfasst durch einen Anteil von 30 Prozent Sozialwohnungen — ist an sich noch keine Garantie dafür.
Nicht zuletzt ist das Umfeld wichtig: Gibt es Einkaufsmöglichkeiten, Parks, Orte für Kultur und Sport, Kinderspielplätze in der Nähe? Wo ist die nächste Straßenbahnstation, die nächste Kita oder Schule? Erstaunlich ist, wie sehr erst auffällt, was gut ist und was schlecht, wenn die Siedlungen fertig gebaut und bezogen sind. Denn letztlich kommt es immer auf die Menschen an, das Beste daraus zu machen.
Fotos: Dörthe Boxberg, Thomas Schäkel, Marcel Wurm, Tom Zelger
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