Deutschunterricht am Laptop: Jakdar Martinli im Integrationskurs zu Corona-Zeiten

Frau Viola und ihre Aufgaben

Wie konnten geflüchtete Schüler*innen und Teilnehmer*innen von Integrationskursen während

des Lockdowns weiterlernen?

Drei Jahre ist Jakdar Martinli schon in Köln. Drei Jahre, in denen der Geflüchtete als Sanitär-Anlagenbauer und Kellner gearbeitet hat. Gerade versucht er, die Prüfung für eine Tätigkeit im Security-Sektor abzulegen. Dafür hat er Deutsch gelernt — bis Corona kam. »Am 13. März wurde der Unterricht gestoppt«, sagt Viola Brings. Die pensionierte Hauptschullehrerin unterrichtet Integrationskurse in Nippes. 16 Teilnehmer*innen lernen viermal pro Woche vier Stunden Deutsch — für Ausbildung oder ein Praktikum oder um sich in der deutschen Bürokratie besser zurechtzufinden — so wie Jakdar Martinli. Er stammt aus den kurdischen Gebieten im Norden Syriens und spricht Arabisch, Kurdisch und Türkisch. Deutschunterricht findet seit Mitte März per Internet statt.

»Frau Viola hat mir jeden Tag Aufgaben mit WhatsApp geschickt«, erzählt er. In einer gemeinsamen Gruppe hat Viola Brings Kontakt zu ihren Schüler*in­nen gehalten, sie mit Arbeitsblättern und Aufgaben versorgt. Aber ihr Engagement konnte nicht verhindern, dass manche Schüler*in­nen abgehängt wurden. Zu den Sprach- und Verständnisproblemen kam hinzu, dass die Lernvoraussetzungen der Kursteilnehmer*innen zu Hause sehr unterschiedlich waren. Jakdar Martinli wohnt mit seinem Bruder in einer eigenen Wohnung und hat deutschsprachige Freunde, mit denen er die Sprache übt. Viele andere wohnen dagegen mit der Familie in beengten Wohnverhältnissen und haben weniger Kontakt zur Kölner Bevölkerung. »Besonders für die Frauen ist es schwierig, im Alltag die Zeit fürs Lernen zu finden«, sagt Viola Brings.

Bezahlt wurde Brings für diese Arbeit nicht. Denn honoriert wurde der Unterricht zu Corona-Zeiten nur, wenn Dozent*innen eine dafür zertifizierte Lernplattform genutzt haben, wie sie etwa die VHS bereitstellt. »Ich wusste nicht, wie das geht«, gibt Viola Brings freimütig zu, erklärt aber, dass sie sich über den Sommer fortbilden will. Sie kann das leisten, weil sie dank ihrer Pension finanziell nicht auf das Honorare angewiesen ist. Ihren freiberuflichen Kolleg*innen ist dagegen ein großer Teil des Einkommens weggebrochen. Die Dozent*innen haben deshalb einen offenen Brief an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgesetzt. Sie fordern das BAMF auf, auch alternative Formen des Corona-Unterrichts zu honorieren. Das BAMF ist der Ansicht, dass diese nicht ausreichend sind. »Am wichtigsten ist aber, dass Präsenzunterricht möglich ist«, sagt Viola Brings. Aber bislang stellt das BAMF keine zusätzlichen Mittel bereit, wenn die Kurse aufgeteilt werden müssen, um die Hygienevorschriften zu erfüllen.

Dass in der Corona-Krise die Belange von Geflüchteten keine hohe Priorität haben, zeigt auch die politische Diskussion um Schulöffnungen. Zwar haben Flüchtlingsinitiativen bundesweit eine frühzeitige Öffnung der Schulen für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache gefordert — die Kultusminister sind der Forderung jedoch nicht nachgekommen und haben an ihrer Fokussierung auf Abschlussjahrgänge festgehalten. Kornelia Diallo, die als Koordinatorin an der Adolph-Kolping-Hauptschule in Kalk für die Vorbereitungsklassen zuständig ist, möchte nicht hinnehmen, dass die bisherigen Lernerfolge der vergangenen Monate verloren gehen. »Unsere Schüler*in­nen, die durch ihre Fluchterfahrungen häufig traumatisiert sind und auch viel Lernzeit verloren haben, wurden durch den Lockdown doppelt benachteiligt«, sagt die Pädagogin. Jede Woche hat sie mit ihrem Team ein individuelles Lernpaket für jedes Kind vorbereitet. Damit wollten sie zumindest den Status quo sichern: »Unsere Schüler*in­nen können nicht zuhause den Unterrichtsstoff selbständig erarbeiten. Sie sind auf persönliche Beziehungsarbeit und das schulische Unterstützungsnetzwerk angewiesen. Da reicht es nicht, nur Lernmaterialien zur Verfügung zu stellen.«

Die mangelnde technische Ausstattung ist ein weiteres Problem. Auch am kaufmännisch ausgerichteten Erich-Gutenberg-Berufskolleg in Buchheim, das für digitales Lernen verhältnismäßig gut aufgestellt ist, verlief der Start in den Online-Unterricht holprig. Zwar bekamen die Schüler*innen über die Schule eigene E-Mail-Adressen und es wurde eine Lernplattform eingeführt, dennoch fehlte einigen ein Endgerät oder eine Internetverbindung, etwa wenn sie in städtischen Wohnheimen untergebracht waren.

Milena, Shahnaz und Abidin sind Mitte Juni nach drei Monaten im Lockdown zurück in die Internationale Förderklasse am Erich-Gutenberg-Berufskolleg in Buchheim gekommen. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Schule so vermisse. Das Lernen klappt hier viel besser«, sagt die 19-jährige Milena. Auch ihre Lehrerin Inke Suhr hat dem ersten Schultag nach dem Lockdown entgegen gefiebert. Viele ihrer Schüler*innen verlassen nach diesem Jahr die Schule. Manche seien ungewöhnlich ruhig gewesen, erzählt sie. »Da müssen wir dann noch genauer hinsehen.« Andere seien während der Kontaktbeschränkungen »abgetaucht« und hätten weder auf Anrufe, Mails, Online-Unterricht oder Videokonferenzen reagiert. Die Pädagogin hofft, dass sie diese Kinder nun wieder erreiche. »Beim Präsenzunterricht geht es eben nicht nur um reine Wissensvermittlung.«

Was würde passieren, sollte es im Herbst erneut zu einem Lockdown kommen müssen? Viola Brings hat darauf keine Antwort. Und das zuständige BAMF? Es kündigt an, die Kursdurchführung »unter den pandemiebedingten Einschränkungen« zu erleichtern: »Einzelheiten hierzu werden in Kürze veröffentlicht.«