Tiere tot, Arbeiter krank — Billigfleisch aus dem Supermarkt

Es ist nicht Wurst

Ein Zwischenfazit zu Ernährung und Gastronomie in der Corona-Krise

Die Moden beim Trinken und Essen, unsere Ernährungsstile, die Konzepte der Gastronomie — all das ist Spiegelbild gesellschaftlicher Zustände und Befindlichkeiten. Umso mehr in Zeiten einer Pan­demie.

Das weltweit wütende Virus schien bis vor kurzem hierzulande unter Kontrolle. Dass sich das jederzeit ändern kann, erleben wir durch den Corona-Ausbruch in der Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wieden­brück. Auch beim Fleischfabrikanten Wiesenhof bei Oldenburg ist das Virus ausgebrochen. Zuvor infizierten sich Arbeiter schon in anderen Fleischfabriken, etwa im Landkreis Osnabrück (Westcrown in Dissen), in Coesfeld (Westfleisch) sowie in Schleswig-Holstein (Vion in Bad Bramstedt/Kreis Segeberg) oder in Baden Württemberg (Müller-Fleisch in Birkenfeld/Enz-Kreis). Mangelnde Hygiene in den Betrieben dürfte ebenso eine Rolle spielen wie die Unterbringung von Arbeitern in viel zu engen Sammelunterkünften. Man sieht: Die Fleischindustrie behandelt nicht nur Tiere, sondern auch Menschen ohne Würde.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte schon Anfang des Jahres die Ergebnisse einer Untersuchung von 30 Großbetrieben im Land vorgelegt. Dort wurden gravierende Hygienemängel und fehlende Schutzausrüstungen festgestellt. Zudem sind Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden offenbar nicht selten.

Was bedeutet es, dass diese Missstände nun durch das Virus eine breite Öffentlichkeit aufschrecken? Ja, die Empörung ist groß. Aber ändert sich dadurch auch unser Konsum?

Laut neuestem Ernährungsreport der Bundesregierung von Ende Mai essen 26 Prozent der Befragten täglich Wurst oder Fleisch — acht Prozent weniger als noch 2015. Jeweils eine Mehrheit gibt an, Wert auf regionale Lebensmittel, Tierwohl und faire Bezahlung zu legen. Doch welchen Ernährungsstil die Deutschen tatsächlich pflegen, kann die Befragung nicht ermitteln. Denn die Antworten zeigen vor allem, wie man sich gern ernähren möchte. Oder wie man glaubt, antworten zu müssen.

Ein sensiblerer Konsum, nicht nur beim Fleisch, betrifft auch den Besuch im Lokal. Immer mehr Restaurants mit höherem Anspruch weisen die Herkunft ihrer Lebensmittel aus, längst aber nicht die meisten. Wo fänden sich solche Hinweise etwa in Imbissen? Wo werden Currywurst, Döner oder Pulled Pork mit Herkunftsangaben oder gar in Bio-Qualität angeboten? Und welcher Kunde würde danach in der Imbissbude fragen? Fastfood bleibt der blinde Fleck der Ernährungsdebatte.

Was bedeutet die Corona-Krise für die Gastronomie? Einerseits ist die Corona-Krise wirtschaftlich für viele, wenn auch nicht für alle Gastwirte verheerend. Andererseits hat der Shutdown dem Image der Gastronomie genutzt: Welche Bedeutung die Menschen Restaurants und Kneipen, Bars und Bistros beimessen, war erst nach deren Schließung zu spüren. Es scheint fast, der Gastronomie käme hierzulande jetzt nicht nur eine kulturelle Bedeutung zu wie sonst Konzerthäusern, Museen, Theatern oder Clubs, sondern auch eine soziale: als Orte geselligen Austauschs. Vielfach bekundeten Gäste Solidarität mit Lokalen in ihrem Veedel, etwa durch Gutscheine. Die etablier­ten Lieferdienste für Essen aus Restaurants und Imbissen konnten in der Krise offenbar nicht stark zulegen. Deren Angebote wurden laut einer Zusatzbefragung zum Ernährungsreport der Bundesregierung während des Shutdowns nicht wesentlich öfter in Anspruch genommen. Stattdessen gab jeder fünfte Befragte an, häufiger Lieferdienste lokaler Restaurants genutzt zu haben. Wirtschaftlich, so hört man von Gastronomen, lohnt sich das aber kaum. Eher sei es eine Möglichkeit gewesen, bei der Kundschaft in Erinnerung zu bleiben. Falls sich solche Angebote nun, nach dem Shutdown, etablieren, wird es um Nachhaltigkeit gehen — ökologische Verpackungen, Lieferung per Rad und auch darum, welches Lokal beim Essen aus der Box kulinarischen Ansprüchen gerecht wird.

Eine besondere Rolle kommt in den nächsten Monaten der Außen­bewirtung zu. Unter freiem Himmel fühlen sich die Gäste in diesen Zeiten anscheinend am wohlsten. Die Gastronomen in Köln werden unterstützt, indem sie Parkplätze umwidmen und sie von Gebühren für Außenflächen freigestellt werden. Besser und unbürokratischer als dieser Tage hat die Stadt der Gastronomie in Köln selten unter die Arme gegriffen.

Ob die Restaurants bald wieder so voll werden wie zuvor? Ob überhaupt irgendwann wieder alle Plätze besetzt werden dürfen? Da­rüber wird die epidemiologische Entwick­lung entscheiden. Der erhoffte Ansturm auf die wieder geöffneten Restaurants ist ausgeblieben. Viele Gäste scheinen immer noch ein Risiko im Restaurant­besuch sehen. Oder ihnen fehlt die Zwanglosigkeit früherer Tage. Zwar werden Hygienevorschriften sowohl von Gästen wie Gastro­no­men fast ausnahmslos befolgt. Doch als die ermittelten Infektionen sanken, ließ sich teils auch ein laxer Umgang erkennen — nicht anders als in Parks etwa auch. Die Rolle der Gastronomie in der Krise wird eine besondere bleiben: Sie träfe eine zweite Welle außer­gewöhnlich stark, und sie trägt gemein­sam mit ihren Gästen eine große Verantwortung dafür, dass es keine zweite Welle geben wird.