Fäuste zum Himmel
So laut kann ein Schweigen sein. Acht Minuten und 46 Sekunden, so lange waren zehntausend Menschen still. Genauso lang hatte ein Polizist in Minneapolis sein Knie auf dem Nacken von George Floyd, der an den Folgen dieser Behandlung gestorben ist. Auch in Köln hat dieser Tod Anfang Juni Tausende von Menschen gleich zweimal auf die Straße gebracht.
»Ich bin über die Deutzer Brücke gekommen, habe die Menschen gesehen und war sprachlos«, sagt Christophe Twagiramungu von der Initiative »N-Wort stoppen«. »So viele Menschen.« Im Januar hatte Twagiramungu selbst eine Demonstration organisiert. 200 Menschen zogen damals vom Heumarkt über die Ringe zum Roncalliplatz, um dafür zu demonstrieren, dass das »N-Wort« nicht mehr verwendet wird. Mittlerweile ist Twagiramungu diesem Ziel einen kleinen Schritt näher gekommen. Im Mai hat der Rat der Stadt Köln anerkannt, dass das N-Wort rassistisch ist und seine Verwendung geächtet. »Das ist eine Richtlinie, die wir jetzt mit Leben füllen müssen«, sagt Twagiramungu. Seine Partei, die SPD, hat für den Antrag gestimmt, so wie fast alle Fraktionen des Rats. Nur die AfD hat sich enthalten.
»Das Leben von Schwarzen Menschen wird dadurch verbessert«, sagt Eli Abeke, stellvertrender Vorsitzender des Integrationsrats, der den Antrag in den Rat eingebracht hat. Im Mai hat Abeke in einer Ratssitzung seinen Antrag begründet. Er sprach über die Erniedrigung, das N-Wort hören zu müssen, über den Zusammenhang mit Sklaverei und Kolonialismus. »In einer demokratischen Gesellschaft ist es erbärmlich, wenn dieser Begriff benutzt wird«, so Ebeke im Rat. »Ich hatte drei Minuten«, erzählt er jetzt. »Und damit habe ich sie gepackt.« Auch Abeke hat die großen Demonstrationen Anfang Juni besucht, seine Frau Helene Batemona-Abeke, die Sozialarbeiterin ist, hat dort am Samstag eine Rede gehalten. »Endlich haben wir das Thema Rassismus so angehen können, dass wir eine breite Masse an Menschen erreichen«, sagt Eli Abeke und fügt hinzu: »Ich habe die Demonstrationen als sehr nachdenklich wahrgenommen. Es wurde viel diskutiert.«
Am Sonntag, den 7.Juni, steht eine Rednerin des Kollektivs Demask auf der Bühne. »Die Geschichte Schwarzer Rechte ebenso wie die Geschichte queerer Rechte kann nicht ohne uns erzählt werden«, sagt sie. »Uns«, das sind queere Schwarze Menschen wie die LGBTQ-Aktivisten Marsha P Johnson, eine Trans*frau, die 1969 am Stonewall-Aufstand teilgenommen hat. Geschrieben hat die Rede Jess Türk, Journalist*in und nicht-binäres Mitglied des Kollektivs. »Die Demos waren sehr empowernd«, sagt Türk. »Es gab so viele verschiedene Stimmen, total bereichernd.«
»Viele Stimmen«, das trifft es. Sie machen Musik, arbeiten im Steuerbüro, in den Medien oder als Architekt, studieren Politikwissenschaft oder sind zur Schauspielschule gegangen. Vier von ihnen wollen wir in diesem Text vorstellen. Aber so unterschiedlich ihre Hintergründe und ihr Engagement auch ist, an diesem Juni-Wochenende erzählen sie alle ähnliche Geschichten: darüber, wie sie in der Schule mehr leisten mussten und trotzdem die schlechteren Noten bekamen, wie ihnen aufgrund ihres Aussehens der Zugang zu Clubs und anderen Räumen verwehrt wurde und darüber, wie ihnen immer wieder psychische und physische Gewalt angetan wurde, weil sie Schwarz sind. Und mitten unter ihnen stehen weiße Schüler*innen und Student*innen, Familienmitglieder und Freunde, mehrere Tausend Menschen.
Was bleibt von diesen Demonstrationen? »Jetzt liegt es an euch — den Weißen — sich fortzubilden«, sagt Christophe Twagiramungu, als wir uns vier Tage danach in einem Café treffen. Vor allem im Alltag seien wir Weißen gefragt, etwa wenn beim FC auf der Tribüne wieder rassistische Sprüche fallen. »Es ist nicht genug, nicht rassistisch zu sein, man muss anti-rassistisch sein«, sagt Twagiramungu. Der Satz ist ein Zitat der Schwarzen Marxistin Angela Davis. Ein paar Tage später wird ihn auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zitieren, aber seine Urheberin nicht erwähnen. Steinmeier ist ein Parteigenosse von Christophe Twagiramungu, der mit 19 Jahren in die SPD eingetreten ist, das war vor zehn Jahren. Mittlerweile sitzt er als Beisitzer im Vorstand des Unterbezirks Köln und ist Kassierer im Ortsverband Chorweiler, wo er aufgewachsen ist und sich vor allem für Anliegen vor Ort einsetzt, etwa einen Spielplatz. »Das tue ich nicht für mich, sondern weil die Kinder einen Spielplatz brauchen.« Aber auch, dass die SPD den Antrag auf Ächtung des N-Worts offensiv unterstützt hat, liegt an Christophe Twagiramungu: »Mir war wichtig, eigene Themen zu setzen. Köln ist eine Millionenstadt, die immer von sich sagt, wie vielfältig sie ist. Also muss sie auch mal liefern.« Denn auch in der Kölner Politik spiegelt sich kaum wider, wie interkulturell die Stadtgesellschaft ist, in der 38 Prozent der Bürger*innen einen Migrationshintergrund haben. Die SPD ist da keine Ausnahme. »Das habe ich bemängelt«, sagt Twagiramungu. Insgesamt sei der Stadtrat zu alt und zu wenig divers. »Da müssen sich die Parteien öffnen, aber es liegt ja auch uns, wer sich da engagiert.«
»In der Verwaltung muss man Menschen mit Migrationshintergrund suchen«, sagt Eli Abeke. »Da herrschen große Scheuklappen.« Abeke vertritt als stellvertretender Vorsitzende des Integrationsrats die Kölner*innen mit Migrationshintergrund, auch diejenigen, die hier nicht wählen dürfen. 2014 ist Abeke mit seiner Liste »Bündnis 14 Afrika« in das Gremium eingezogen. Die Liste versteht sich als Interessensvertretung der afrikanischen Diaspora in Köln, die Abeke auf etwa 17.000 Menschen schätzt. Abeke hat in Bremen Architektur studiert und war während des Studiums in antirassistischen Initiativen aktiv. 2001 kam er aus beruflichen Gründen nach Köln. »Aber der Rassismus verfolgt mich«, sagt Abeke. Also ist er weiterhin politisch aktiv, auf verschiedenen Ebenen. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er »Coafri«, das sich als Schnittstelle zwischen der afro-diasporischen Community und den Kölner Institutionen versteht. »Die Community ist oft skeptisch«, sagt er. Viele kämen nach Köln, um zu arbeiten und sich um ihre Familie zu kümmern und hätten wenig Interesse an Politik. »Ich erkläre ihnen dann, was etwa der Integrationsrat ist«, sagt Abeke. »Und ich bin damit erfolgreich, weil ich weiß, wie man die Leute anpackt.«
Aber die Kölner Institutionen machen dieses Engagement auch notwendig. Abeke berichtet von Problemen mit den Kontrollen bei der KVB, auch das Jugendamt schreite bei Kindern aus Schwarzen Familien oft vorschnell ein. Im Integrationsrat habe er jedoch bessere Erfahrungen gemacht. »Als sie noch Sozialdezernentin war, hat Frau Reker versprochen, sich besser für den Integrationsrat einzusetzen«, sagt Abeke. »Und das ist auch passiert.« Wie wichtig dessen Arbeit ist, zeigt sich aber nicht nur in der Ächtung des N-Worts, sondern auch beim Umgang mit der Kölner Polizei, die immer wieder die nötige Sensibilität im Umgang mit dem Thema Rassismus vermissen lässt, sei es an Silvester 2016/2017, als sie junge Männer wegen ihres »nordafrikanischen Aussehens« am Hauptbahnhof einkesselte oder im vergangenen Sommer, als sie nach »schwarzafrikanischen« Verdächtigen am Ebertplatz fahndete. »Die Zusammenarbeit mit den Behörden im Ausschuss ist gut«, sagt Abeke. »Aber wir müssen sie immer wieder an die Umsetzung erinnern.« Nur im Kulturbereich habe er alle Freiheiten, sagt er. Abekes Bündnis 14 Afrika veranstaltet jedes Jahr das Akwaaba-Fest für die Community im Rautenstrauch-Joest-Museum. Im vergangenen Jahr sollte dort Theodor Wonja Michael sprechen, ein Schwarzer Zeitzeuge des Nationalsozialismus, der nach dem Zweiten Weltkrieg Berater von Willy Brandt wurde und später für den Bundesnachrichtendienst arbeitete. Seinen Ruhestand verbrachte Theodor Wonja Michael in Köln. Im Oktober 2019 ist er im Alter von 94 Jahren gestorben. »Ich habe ihn noch am Totenbett besucht«, erzählt Eli Abeke.
»Man sollte eine Straße nach Theodor Wonja Michael benennen«, fordert Christophe Twagiramungu. 2018 hat er ein Kamingespräch mit ihm in Chorweiler veranstaltet. Eine Straße wäre auch ein Gegengewicht zu den vielen Straßen, die in Köln immer noch nach Vorreitern des Kolonialismus benannt sind: Joachim Nettelbeck, Gustav Nachtigal oder Herrmann von Wissmann. Männer, deren historische Taten auch im Schulunterricht thematisiert werden sollten, wie Eli Abeke und Christophe Twagiramungu vorschlagen. »Es geht um den deutschen Kolonialismus, nicht nur um den englischen und belgischen«, sagt Twagiramungu. »Nach den Hohenzollern ist in Köln eine Brücke benannt, aber wir müssen lernen, was sie in Namibia gemacht haben.«
Stört ihn, dass er als Schwarzer Kölner zuerst über ein anti-rassistisches Engagement bekannt wird? »Ja, das können sie ruhig so aufschreiben, auch wenn ich meine Ressourcen gerne nutze.« Es ist ein Dilemma, in dem Weiße selten stecken, Schwarze aber regelmäßig. Sie müssen in den Medien in den meisten Fällen über ihre Identität oder ihre Erfahrungen mit Rassismus sprechen. Nur selten werden sie als Expert*innen für andere Themen eingeladen, wie etwa die Virologin Marylyn Addo, die zu einem Impfstoff gegen das Corona-Virus forscht. Oder wegen sozialer Teilhabe und lokalen Themen begonnen haben, sich politisch zu engagieren wie Christophe Twagiramungu.
Das Demask-Kollektiv hat seinen eigenen Weg gefunden, mit diesem Dilemma umzugehen. »Wir machen keine Critical-Whiteness-Arbeit, in der wir Weiße über ihren Rassismus aufklären«, sagt Noelle O’Brien-Coker, Journalistin und Kollektiv-Mitglied. »Unser Fokus liegt auf der Arbeit mit der Community.« Die Community, das sind queere People of Color: Menschen, die als »nicht-weiß« markiert werden und sich selbst als trans*, queer oder nicht-binär begreifen. Demask veranstaltet Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen, und im vergangenen Oktober hat das Kollektiv erstmals ein viertägiges Festival mit Workshops, Diskussionen und einem »Community Day« organisiert. »Unser erstes Ansinnen war, Raum für uns zu schaffen«, sagt Kollektiv-Mitglied Jess Türk. »Es ging darum, zu sein.«
Denn Rassismus zeigt sich nicht nur in offensichtlichen Übergriffen, sondern auch darin, dass der Alltag weniger Raum für spezifische Bedürfnisse bietet. Für den Community Day hatte Demask deshalb etwa eine queere Tattoo-Person angefragt und auch ein Team aus Großbritannien, das sich auf das Frisieren von Afrohaar spezialisiert hat. »Es gibt in Köln schon ein gewisses afrospezifisches Angebot, aber es ist oft teurer«, sagt Noelle O’Brien-Coker. Es sei etwa schwierig, Dermatolog*innen zu finden, die mit dunkler Haut umgehen können. Außerdem gebe es einen hohen Bedarf an Schwarzen Therapeut*innen. »Dabei muss auch über die Frage geredet werden, wie sich strukturelle Benachteiligung auf Fragen psychischer Gesundheit niederschlagen«, sagt O’Brien-Coker. Das Demask-Kollektiv arbeitet dafür mit Bildern und Ideen aus dem afro-amerikanischen Pop, etwa mit der Geschichte des Voguing. »Wir versuchen, das für unsere Lebensrealität zu adaptieren«, sagt Jess Türk. »Die schwarze queere Community ist in Deutschland nicht so sichtbar wie in anderen Teilen der Welt.« Ob Demask weiter daran arbeiten kann, dies zu ändern, ist gerade unsicher. Wegen der Corona-Krise steht noch nicht fest, ob sie dieses Jahr wieder ein Fest veranstalten können. Christophe Twagiramungu und Eli Abeke ziehen dagegen in den Wahlkampf. Sie kandidieren für den Integrationsausschuss — in der Sache vereint, aber auf verschiedenen Listen.