»Es ist noch vieles zu tun«
Was bleibt aus Ihrer Sicht denn noch zu tun?
Mir war immer klar, dass das, was ich vorhabe, nicht in einer Amtszeit zu schaffen ist. Vor allem nicht die Reform der Verwaltung, was für mich Motivation war, vor fünf Jahren anzutreten, weil das besser funktionieren muss in Köln. Verwaltung muss berechenbar, gesetzestreu, gerecht sein, muss vergleichbare Sachverhalte in Bezug setzen, aber auch Einzelfallentscheidungen treffen.
Damals sagten Sie uns, sie müssten gucken, was Sie als OB überhaupt umsetzen können.
Ich spreche jetzt ganz offen: Damals habe ich gedacht, ich wäre schon nah an allem dran. Ich war 16 Jahre Sozialdezernentin in Gelsenkirchen, auch Kämmerin und Liegenschaftsbeigeordnete. Ich konnte das Handwerk der Verwaltung. In Köln war ich fünf Jahre Sozialdezernentin, bevor ich für das OB-Amt angetreten bin. Ich dachte, ich kenne Köln und die Verwaltung gut. Aber es war doch anders, als ich es mir vorgestellt hatte.
Sie haben auch für eine Fehlerkultur und mehr Eigenverantwortung in der Verwaltung plädiert.
Ja. Wenn man fokussiert auf ein Ziel hinarbeitet, muss man vielleicht den Weg noch nicht genau kennen, man kann auch nicht immer drei andere abzeichnen lassen und Gutachten einholen. Man muss Mut, Verantwortungsbewusstsein und Sicherheit haben, auch einen Fehler machen zu dürfen. Ich habe das neulich 350 neuen, jungen Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung gesagt: Gehen Sie mit jugendlichem Selbstbewusstsein mit den Kollegen aus der Verwaltung um! Bringen Sie sich ein! Trauen Sie sich, etwas zu sagen! Wir profitieren alle davon. Die Digitalisierung spielt mir jetzt natürlich auch in die Karten. Vieles geht schneller, unkomplizierter. Die Verwaltungsreform wäre ohne diese Digitalisierung nicht so gut möglich.
Ich dachte, ich kenne Köln und die Verwaltung gut. Aber es war doch anders, als ich es mir vorgestellt hatte Henriette Reker
Und glauben Sie, dass die Verwaltungsreform auf einem guten Weg ist?
Köln ist größer als das Saarland! Die Beigeordneten in Köln sind eigentlich die Minister der Stadt. Und wir erwarten ein Bevölkerungswachstum von 70.000 Menschen bis 2040. Das ist wie Troisdorf noch mal dazu. Das muss man gut administrieren. Ich bin sehr froh, dass wir damit begonnen haben, die Strukturen in der Verwaltung den Zukunftsthemen anzupassen. Wir sind lange nicht fertig, aber ich mache da weiter, wo ich jetzt bin, und deutlich mehr.
Sie treten für Diversität ein, aber in Ihrer Verwaltung — das hat der Integrationsrat auch gesagt — spiegelt sich nicht die Vielfalt der Stadt wider.
Zunächst ist die höchste Qualifikation für mich wichtig, auch Leistungsbereitschaft und Identifikation mit der Arbeit. Klar, ich möchte, dass etwa mehr Frauen nicht nur Dezernate leiten, sondern auch die Ämter. Wir berücksichtigen heute schon beispielsweise Mehrsprachigkeit als besondere Qualifikation bei Bewerbungen. Wir fordern Menschen mit Behinderungen aktiv auf, sich bei uns zu bewerben, gestalten unsere Stellenausschreibungen barrierefrei und nehmen die Vermittlung der Integrationsfachdienste in Anspruch. Zudem haben wir frühzeitig die Notwendigkeit erkannt, Qualifizierungsangebote zur Integration von geflüchteten Menschen aufzulegen. Hier haben wir ein sehr erfolgreiches Praktikumsprogramm etabliert.
CDU und Grüne unterstützen Sie jetzt erneut. Aber FDP, Freie Wähler und GUT sind nicht mehr dabei. Vor fünf Jahren war das Reker-Bündnis neu. Was glauben Sie hat sich bewährt und was könnte sich ändern?
Wir haben als Bündnis im Rat viel auf den Weg gebracht. Aber da gibt es auch Dissens, etwa mit den Grünen, weil ich für die U-Bahn auf der Ost-West-Achse bin oder für den Ausbau des Rather Sees. Das ist nicht schlimm. Zwar sind manche dann mal mies gelaunt, aber ich habe meine eigene Haltung. Ich mache nichts anderes, als ich immer gesagt habe: Die beste Idee ist für mich entscheidend, nicht von welcher Partei sie kommt.
Die Grünen haben lange beraten, bis sie Sie noch einmal unterstützen.
Die CDU war mit vielen Dingen auch so nicht einverstanden. Das wissen wir voneinander. Ich habe eine Agenda, wie ich eine zweite Amtszeit gestalten möchte, und die ist beiden Fraktionen bekannt. Die können damit leben, aber müssen es auch. Denn dass ich meine Haltung ändere, ist unwahrscheinlich. Das war in fünf Jahren einmal der Fall, als ich gegen den Ausbau des FC in den Grüngürtel gestimmt habe. Das ist mir vorgeworfen worden als Kehrtwende. Ich bin aber der Meinung, dass geänderte Rahmenbedingungen auch von der Oberbürgermeisterin zur Kenntnis genommen werden sollten und sie auch lernfähig sein darf.
Und gebaut wird trotzdem.
Na ja, wir werden jetzt mal sehen, was die Gerichte entscheiden, wenn geklagt wird. Und ich habe nicht vor, für oder gegen unternehmenspolitische Entscheidungen des FC zu argumentieren. Aber ich darf so abstimmen, wie ich es für richtig halte. Letztlich muss ich dann aber den Beschluss des Stadtrats akzeptieren, auch wenn der für den Ausbau entscheidet.
SPD und Linke werfen Ihnen vor, nicht zu handeln. Was bedeuten solche Vorwürfe für das Verhältnis zur SPD? Nach der Wahl könnten Sie ja einem neuen Ratsbündnis gegenüber stehen, an dem die SPD beteiligt ist.
Als ich OB wurde, hatte sich der Rat ja schon gebildet. Das ist bei dieser Wahl anders, OB und Rat werden zeitgleich gewählt. Niemand weiß, welches Bündnis es geben wird. Alle schauen, mit wem sie ihre eigenen Ziele am besten verwirklichen können. Ich habe übrigens oft mit der SPD gestimmt, aber die vergisst das sofort wieder. (lacht)
Als Parteilose sind Sie auch für wechselnde Mehrheiten eingetreten.
Ja, und das geht, aber es ist anstrengend. Und ich denke, ich habe bewiesen, dass ich Mehrheiten finden kann. Demokratie ist immer anstrengend, aber für die Bürger, glaube ich, ist das besser, als wenn durchregiert wird. Es ist ja auch die Frage, wie man so eine Entscheidungsfindung angeht. Ich hätte die SPD beispielsweise gerne für die Entscheidung zur U-Bahn auf der Ost-West-Achse bei mir gehabt. Ich habe nicht verstanden, wie man parteipolitische Interessen über die Interessen der Stadt stellen kann. Eigentlich möchte die SPD die U-Bahn, und ich hätte sogar deren Vorschlag, auch noch den Rhein nach Deutz zu untertunneln, zugestimmt — wenn es den Hauch einer Chance gegeben hätte, dass es dafür Fördermittel gibt. Dass sie dann aber gegen die U-Bahn gestimmt hat, hat mich enttäuscht.
Sie haben wegen des Klimaschutzes gegen den FC-Ausbau gestimmt. Empfinden Sie sich hier als Vorreiterin?
Der Einsatz der jungen Menschen für den Klimaschutz hat mich persönlich sehr beeindruckt, und ich halte ihn auch für richtig, denn man kann auf neue Fragen nicht alte Antworten geben. Ich dachte eigentlich, das hätte jetzt auch der Letzte begriffen. Aber man kann nicht alles sofort umsetzen, will man die Stadt vernünftig regieren.
Köln wird beim Klimaschutz nie als Vorreiter genannt — anders als etwa Kopenhagen oder Paris.
In Kopenhagen sieht man das viel deutlicher, weil dort damit schon vor Jahrzehnten begonnen wurde. Was in anderen Städten gerade unternommen wird, ist natürlich interessant. Die Frage ist, wie macht man das in Köln? Die Strukturen für den Wandel haben wir ja geschaffen.
Auch in der Verkehrspolitik?
Als ich nach Köln kam, gab es keinen Geschäftsbereich Verkehr, kein Verkehrsdezernat. Verkehr wurde vom Baudezernat mitverantwortet. Ich habe als OB gesagt: Wir brauchen ein Verkehrsdezernat. Es gab die Vermutung, es würde heißen, ich würde nur die Verwaltung aufblähen. Aber ich habe keine Kritik dafür bekommen! Aber ja, es ist noch vieles zu tun. Beispielsweise sind ein Großteil der Ampelanlagen in Köln 40 Jahre alt, die kann man mit einem modernen Verkehrsrechner gar nicht verbinden.
Das ist aber doch nicht der Grund, dass die Verkehrspolitik hinter Kopenhagen und Paris herhinkt.
Ich mache die Vorschläge im Rat und suche Mehrheiten dafür. Letztlich hat die Oberbürgermeisterin aber auch nur eine Stimme. Ich kann den Rat nicht dominieren.
Sie wollen nun das 365-Euro-Ticket für Bus und Bahn einführen. Dafür braucht der VRS eine Milliarde Euro. Woher kommt das Geld?
Das Geld muss von den Kommunen im VRS kommen — und vom Land. Wir müssen doch den ÖPNV stärken, attraktiver machen, indem wir ihn ausbauen, mehr Platz und attraktivere Fahrpläne aufstellen — und ihn noch günstiger machen. Insbesondere ist mir ein Dorn im Auge, dass Jugendliche, die gerade den ÖPNV besonders brauchen, überhaupt bezahlen müssen. Und zwar in einer Höhe, die verhindert, dass ihnen dauerhaft Teilhabe ermöglicht wird. Das 365-Euro-Ticket wird auch nicht von heute auf morgen kommen. Aber es ist das Ziel.
In der Politik ist oft der Vorwurf zu hören, die Verwaltung verschleppe Beschlüsse. Mischen Sie sich ein, wenn das passiert?
Ich mische mich da ein. Nicht in jede Einzelheit, das geht auch als OB nicht. Das ist eine Frage, wie sehr man die Kompetenz der Fachleute in der Verwaltung schätzt. Es gibt in der Verwaltung unglaublich viel zu tun, und eine Verwaltung führt immer auch ein gewisses Eigenleben. Es gibt natürlich auch Vermeidungsverhalten. Dann sagt jemand: Wofür soll ich mich denn jetzt mit dem Niehler Gürtel beschäftigen, wenn das sowieso nie etwas wird, weil vielleicht dagegen geklagt wird? Dann beschäftigt sich die Verwaltung lieber mit dem, von dem man sicher sein kann, dass es umgesetzt wird. Nehmen Sie die Maßnahmen für Radwege. Vieles wurde vor drei, vier Jahren schon beschlossen. Manches geht nicht so schnell. Aber ja, manchmal ist man immer noch zu vorsichtig, zu pingelig.
Eines Ihrer Ziele war 2015 bessere Bürgerbeteiligung. Im Verfahren zur Ost-West-Achse hat sich die Verwaltung aber sofort für eine U-Bahn-Lösung ausgesprochen — ist das gute Beteiligung?
Das heißt aber doch nicht, dass diese Vorstellung schon die Entscheidung vorgibt! Es wäre ja unnatürlich, wenn wir bloß sagen würden, wir brauchen irgendeine Verkehrsverbindung. Das fände ich unprofessionell. Verwaltung muss schon vorher überlegen, wie man das machen kann. Ich finde, man muss Gestaltungswillen haben. Das können die Kölnerinnen und Kölner auch von mir erwarten. Ich bin ja demokratisch legitimiert, eine Idee zur Stadt zu haben, ich kann nicht sagen: Ach, ich weiß auch nicht, ich beobachte erst mal die Stimmung. Und eine Metropole braucht auch ein unterirdisches Verkehrssystem. Nicht, weil es oben mehr Autos geben soll, sondern um mehr Platz für die Menschen zu haben.
Beim Wohnungsbau nutzt die Stadt viele neue Instrumente, vom Kooperativen Baulandmodell bis zur Erbpacht. Trotzdem sind Sie weit davon entfernt, jedes Jahr 6000 neue Wohnungen zu genehmigen, wie Sie angekündigt hatten.
Ja, es sind immer noch zu wenige Wohnungen, ich will das nicht relativieren. Wir müssen neu bauen, aber wir müssen auch sanieren, weil es sonst zu lange dauert, bis die Wohnungen bezugsfertig sind. Wir haben im letzten Jahr 1145 Wohnungen im sozial geförderten Wohnungsbau beschlossen. Das reicht natürlich nicht. Weil die Belegungsbindung [Wohnungen müssen nicht mehr als Sozialwohnungen angeboten werden; Anm.] ja auf der anderen Seite wegfällt. Deswegen müssen wir nicht nur neu bauen, wir müssen auch sanieren. Dafür brauchen wir Geld des Landes. Die Investoren nehmen diese Instrumente ja immer als unfreundlich wahr. Aber ich sage dann: In Köln lohnt sich der Immobilienbau, weil es noch nicht so teuer ist wie München oder Hamburg. Aber die Sicherheit, vertretbar zu vermieten, muss gewährleistet sein. Und dafür brauchen wir Grundstücke. Mit der Erbpacht haben wir ein Instrument, das uns dabei hilft.
Wie wird die Corona-Krise Ihre Pläne beeinflussen? Wo bleibt das Geld dafür, wenn Sie an den Einbruch bei der Gewerbesteuer denken, der wichtigsten Einnahmequelle der Stadt?
Wir wollen diese Stadt nicht kaputtsparen. Was wir jetzt in den Erhalt von Strukturen stecken, gibt uns Sicherheit, später auch wieder Gewerbesteuern einnehmen zu können. Ich kenne den Haushalt, und ich kenne die Herausforderungen dieser Stadt. Wenn ich in der jetzigen Situation überlegen müsste, noch einmal zu kandidieren, würde mir die Entscheidung noch leichter fallen. Denn es gibt ein ganzes klares Ziel: durch diese Krise zu kommen.
Wir stecken mitten in der Pandemie. Vieles hat sich für die Menschen, für die Stadt geändert. Welche Erkenntnisse haben Sie dadurch für Ihre Arbeit gewonnen?
Zum Beispiel, dass mehr Menschen in der Verwaltung aus dem Homeoffice arbeiten können. Zwar geht das nicht überall, und es gibt Aufgaben, die mit Homeoffice nicht abzuarbeiten sind. Aber es wird weniger Büroraum gebraucht. Was mich aber bedrückt, ist, wie es mit der Gastronomie weitergeht. Deswegen habe ich mich für diesen Pop-up-Biergarten eingesetzt und dafür, Parkplätze für die Außengastronomie zu nutzen. Wir müssen so etwas ausprobieren, auch wenn wir nicht wissen, ob es funktioniert. Und zuletzt habe ich auch die Hoffnung, dass durch Corona zumindest auch eine gemeinsame Aufbruchsstimmung entsteht und wir zu einer neuen Gemeinsamkeit finden.