Die wilde 13
Die Politikverdrossenheit scheint in Köln nicht allzu hoch zu sein. Zumindest nicht, wenn man sieht, wie viele Menschen sich am 13. September für ein Amt in den Kommunalgremien bewerben. 13 Kandidat*innen für das Amt der Oberbürgermeister*in und noch mal so viele Parteien und Wählergruppen treten für den Rat und die neun Bezirksvertretungen an.
Soviel Engagement macht vor allem die traditionellen Parteien skeptisch. Die NRW-Landesregierung wollte eine Hürde von 2,5 Prozent für die Kommunalwahl einführen, wurde jedoch vergangenes Jahr vom Landesverfassungsgerichtshof daran gehindert. Die Regierung konnte nicht nachweisen, dass eine erhöhte Zahl von Fraktionen die Arbeitsfähigkeit der Stadträte behindert. Deshalb können sich auch 2020 noch viele Menschen zur Wahl stellen, die besonders außerhalb der Kommunalgremien politische Erfolge vorzuweisen haben. Mitglieder der Liste Klima Freunde haben etwa das Volksbegehren »Aufbruch Fahrrad« initiiert. Mit 270.000 Unterschriften haben sie darauf hingewirkt, dass der Landtag bis 2022 in Nordrhein-Westfalen ein Fahrradgesetz verabschieden will. Das verleiht ihnen eine politische Authentizität, die Grüne, SPD, FDP oder CDU auch gern hätten. Die wiederum bemühen dafür soziale Netzwerke von Instagram bis Grindr, die SPD lässt ihren OB-Spitzenkandidaten, den Polizisten Andreas Kossiski, sogar »auf Streife« gehen.
Nun kann Authentizität aber auch zum Problem werden — zumindest dann, wenn sie vor die Frage tritt, wie man seine authentischen Ideen auch durchsetzen kann. Außerparlamentarische Politik ist vergleichsweise einfach: Man organisiert Menschen hinter einer Idee — per Demos, Unterschriften oder in den Sozialen Medien, und geht mit dieser Masse bei den Fraktionen hausieren.
In jedem Parlament sind jedoch Stimmanteile die entscheidende Währung und da hat man es selbst dann nicht leicht, wenn die eigenen zwei Stimmen eine Abstimmung entscheiden könnten. Diese Erfahrung durfte die Wählergruppe GUT in der letzten Ratsperiode machen. Ihre beiden Ratsmitglieder konnten zwar die Untersuchung des Messeskandals durchsetzen, von ihrem ursprünglichen Ziel, der Fahrradstadt Köln, sind sie aber weit entfernt. Dieses Scheitern ist keine Überraschung, es zu vermitteln, aber eine Herausforderung. Wer mit der eigenen Authentizität wirbt, dem werden Scheitern und Kompromisse gerne als Verrat an den eigenen Idealen ausgelegt.
Die 13 Kandidat*innen für den Posten der Oberbürgermeisterin stehen aber noch vor einem weiteren Problem. Kaum ein politischer Job ist so inauthentisch wie dieser. Die OBs verdanken ihre prominente Position der Reform des Kommunalwahlrechts, mit der 1999 die Direktwahl dieses Postens eingeführt wurde. Seitdem wird ihr Wahlkampf präsidial inszeniert: mit Wahlkampftouren durch die Veedel, Unterstützungsadressen mehr oder weniger prominenter Bundespolitiker*innen und der Frage: »Was werden Sie anders machen?«
Die ehrliche Antwort darauf wäre: »Alles, was ich tun kann.« Das ist nicht besonders viel, denn die Machtposition der OB ist begrenzt: Sie führt die Verwaltung und kann Vorlagen für Ratsanträge ablehnen, also den Rahmen setzen, in dem die Ratsfraktionen dann die politische Richtung vorgeben. Dafür sind diplomatisches Geschick und Taktik entscheidendere Qualitäten als Authentizität — und warum auch nicht? Sozialwohnungen, die durch Detailkenntnisse der Förderlandschaft und der Gesetzeslage gebaut werden, sind nützlicher als Investorenareale, die authentischer Protest oft trotzdem nicht verhindern kann. Das zu vermitteln, wäre tatsächlich authentische Politik. Aber mal ernsthaft — würden Sie Leute wählen, die Ihnen das erzählen?