Gastwirte als Helfer im Kampf gegen die Pandemie — Pop-up-Biergarten an der Rheinpromenade

Die Gunst der Sperrstunde

Pandemie, Wahlkampf, Klima: Wie Politik und Gastronomie voneinander profitieren wollen

Der Gastronomie fehlte es oft an politischer Wertschätzung. Während sich Kunst, Kultur oder Sport immer wieder erfolgreich in den städtischen Diskurs einbrachten, blieb das Gastgewerbe oft außen vor. Viele Gastronomen fühlten sich übersehen von Politik und Verwaltung, andere sogar gegängelt. Seit einigen Wochen ist das anders. Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte in ihrem Wahlkampf zuletzt die Interessenvertreter der IG Gastro getroffen und genehmigt im Schnelldurchlauf einen Pop-up-Biergarten auf der Vogelsanger Straße. Auch ihr SPD-Gegenspieler Andreas Kossiski hatte bei seinen »Auf Streife«-Spaziergängen durch die Stadt um die Gunst der Gastronomen gebuhlt. Die Politik sucht — das ist dieser Tage offensichtlich — die Nähe zum Gastgewerbe.

Die Gründe sind vielfältig. Zu Beginn der Corona-Zeit gehörte die Gastronomie zu den Branchen, die am stärksten unter den Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie zu leiden hatten. Die Betriebe mussten schließen, die Umsätze brachen trotz Außer-Haus-Verkaufs ein und haben sich trotz schrittweiser Lockerungen vielerorts nicht wieder erholt. Der »drittgrößte Arbeitgeber der Stadt«, wie sich die knapp 3000 Kölner Gastronomiebetriebe bezeichnen, steckt nach wie vor in der Krise. Die Gastronomie gewann während des Lockdowns dennoch — zwar kein Geld, aber Wertschätzung ihrer Kunden. Wie bedeutsam gastronomische Angebote für das urbane Leben sind, scheint vielen Menschen erst bewusst geworden zu sein, als Bars, Imbisse und Restaurants schlossen. Die Branche konnte sich ihrer Bedeutung vergewissern, auch wenn das einzelnen Betrieben kaum dabei helfen konnte, die laufenden Kosten zu begleichen.

Die Politik sucht — das ist dieser Tage offensichtlich — die Nähe
zum Gastgewerbe

In dieser Zeit entdeckten die Kölner Politik und Verwaltung die Gastronomie für sich. Neben bundesweiten Hilfen wie der Soforthilfe und der Mehrwertsteuersenkung auf Speisen erließ die Stadt den Gastronomen die Gebühren für Außengastronomie und schuf gleichzeitig die Möglichkeit, Ladezonen und Parkplätze unbürokratisch in weitere Freiluftplätze umzuwandeln. Zuvor wäre das undenkbar gewesen. Die politische Initiative »Sitzen statt Parken«, bereits 2016 mit einem Pilotprojekt in der Innenstadt gestartet, lief mühsam an. Das Wohlwollen der Verwaltung war begrenzt. Stattdessen drohte Stadtdirektor Stephan Keller (CDU) noch vergangenen Sommer, das Ordnungsamt werde künftig rigoroser vorgehen, wenn Außengastronomie den öffentlichen Raum vereinnahme, und wollte weniger Genehmigungen erteilen. Es ist dieselbe Stadtverwaltung, die den Gastronomen nun ihre Hilfe anbietet. Dazu hat beigetragen, dass die Gastronomie den Rückenwind zu nutzen wusste, was nicht zuletzt an der starken Interessenvertretung der IG Gastro lag.

Mittlerweile kommt den Gastronomen noch eine andere Rolle zu, die sie für Politik und Verwaltung interessant macht: Sie sind wichtiger Bestandteil der »neuen Normalität« in der Stadt. Gastronomien sind wieder ein Treffpunkt für Menschen, ohne das Infektionsgeschehen in die Höhe zu treiben. Die Gäste sitzen draußen, die Gastronomen strukturieren und ordnen die Zusammenkünfte im öffentlichen Raum, von dem sie plötzlich so viel mehr nutzen dürfen. Gastwirte sind zum Helfer und Verbündeten im Kampf gegen das Virus geworden. Die Wirte nehmen, auch aus Eigeninteresse, ihre Rolle an: Neben dem Pop-up-Biergarten auf der Vogelsanger Straße sind weitere entstanden, etwa an der Halle Tor 2 in Vogelsang oder jüngst an der linksrheinischen Rheinpromenade. Zudem forderten Gastronomen zuletzt, die Sperrstunde am Wochenende über Mitternacht auszudehnen. Hintergrund war, dass die Ordnungsbehörden an »Party-Hotspots« wie dem Stadtgarten, der Zülpicher Straße oder dem Brüsseler Platz jedes Wochenende Menschenansammlungen auflösen mussten, weil die Corona-Regeln nicht eingehalten wurden.

Dass Wirte die Sperrstunden ausdehnen möchten, ist nachvollziehbar. Zum einen haben sie wirtschaftliche Interessen. Zum anderen ist kaum zu verstehen, dass sich unweit von geschlossenen Bars und Kneipen bis in die Nacht Menschen versammeln, die sich am 24/7-Büdchen mit Getränken versorgen können. Die Wirte nutzen die Gunst der Stunde, und des Wahlkampfs, um das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. So berechtigt die Anliegen vieler Gastronomen sein mögen, so wenig sind sie doch die Lösung für die Probleme, die Köln mit seinem öffentlichen Raum hat. Es wäre falsch, diese Verantwortung an Restaurantbetreiber oder Barbesitzer auszulagern, zumal nicht jeder sein Kölsch in einem Biergarten trinken kann und will.

Die Debatte wird Köln noch über die Kommunalwahl hinaus verfolgen: Jüngst kam in der Bezirksvertretung Innenstadt die Überlegung auf, die Nutzung von Stellplätzen über den Oktober hinaus zu verlängern. »In der kommenden Herbst-und Wintersaison sollen Gäste auch weiterhin die Möglichkeit erhalten, sich im Freien aufzuhalten und das gastronomische Angebot zu nutzen«, heißt es im Antrag der Grünen. Der Klimawandel macht’s möglich. Viele Gastronomen blicken sorgenvoll auf die kalten Monate, wenn sie ihr Angebot wieder nach drinnen holen müssen. Ein Corona-Gewinner wird die Gastronomie auch trotz des politischen Zuspruchs nicht. Aber es sieht danach aus, als gäbe es größere Verlierer.