Skulpturenpark

Schlüpfende Kornnattern

Der Skulpturenpark hat wieder geöffnet — und fordert mit seiner neuen Ausstellung die Rechte der Natur ein

Das Thema »ÜberNatur — Natural Takeover«, das Tobias Berger für die zehnte Ausgabe der KölnSkulptur anschlägt, ist in Zeiten von Klimakrise und Corona natürlich hochaktuell. Dass der in Hongkong lebende Kurator allerdings anführt, dazu von der Lage des öffentlichen Parks zwischen Rhein, Zoo, Flora und Botanischem Garten inspiriert worden zu sein, verwundert ein wenig. Wer den wunderschönen Ausstellungspark mit altem Baumbestand einmal besucht hat, kennt leider auch diesen Dreiklang: Zoobrücke, Konrad-Adenauer-Ufer und Riehler Straße. Da kommt viel Verkehr zusammen, der die rund 35.000 Quadratmeter große Grünfläche mit reichlich Dezibel beschallt. So oder so ist es höchste Zeit, dass die Natur wieder zu ihrem Recht kommt. Covid-19 ist eben auch Ausdruck unseres ungesunden Verhältnisses zur Umwelt und da passt die Europa-Asien-Achse der Ausstellung haargenau. Die passende Pointe dazu liefert der Kurator gleich mit: Corona-bedingt konnte der seit 25 Jahren außerhalb Europas lebende Wiesbadener seit Dezember nicht aus Hongkong ausreisen.

Ausgangspunkt für die KölnSkulptur, bei der die Stiftung Skulpturenpark den Garten alle zwei Jahre von wechselnden Kurator*innen neu inszenieren lässt, war für Berger die »Spur« von Lois Weinberger. Diese 60 Meter lange Schneise hatte der in diesem Frühjahr verstorbene, österreichische Künstler vor fünf Jahren ohne Rücksicht auf Wege und Wiesen geschlagen. Das Stück urwüchsige Natur, das inzwischen Heimat für so genannte Ruderalpflanzen — umgangssprachlich Unkräuter —, Insekten und Kaninchen geworden ist, bildet die Kulisse für Katja Novitskovas schlüpfende Kornnattern. Die estnische Künstlerin (*1984) hat hochaufgelöste Fotos auf kreisrunde Aluminium-Scheiben aufgezogen und so virtuelle Lebewesen in natürlichem Umfeld ausgesetzt.

Aber was ist eigentlich noch natürlich? Wo muss der Mensch Wachstum und Leben steuern, um das Artensterben zu bremsen? Dieser Frage gehen gleich mehrere der neuen acht Positionen im Skulpturenpark nach. Beispielsweise Trevor Yeung (*1988), der einen Ginkgo pflanzen und an eine Straßenlaterne binden ließ. Die Lampe stützt den jungen Spross und nährt ihn obendrein mit pinkfarbenem Wachstumslicht in der Nacht. Die Standortsuche, die von Tobias Bergers Assistentin Anna Czerlitzki koordiniert wurde, erzählt viel über die Wechselwirkung von Natur und Kultur: Eine große Eibe unweit des Parkeingangs an der Riehler Straße war abgestorben und hatte eine dazwischen wachsende Feldulme zum Vorschein gebracht. Diese bekam dann Pfähle als Baumstütze und bot dem chinesischen Künstler Inspiration und Hintergrund für die eigene Kunstpflanzung. Allerdings konnte auch Yeung, so wie die meisten seiner Kolleg*innen aus Pandemie-Gründen, nicht vor Ort sein. So haben sich Czerlitzki und Susanne Stoffel, die Nichte des Sammlerehepaares, durch deren Privatinitiative der Park 1997 ins Leben gerufen worden war, mit der Stadt beraten und einen geeigneten Baum für Yeung ausgesucht. Viele Arten kamen als Parkbaum wegen Erderwärmung und Luftverschmutzung gar nicht in Frage, und so fiel die Wahl auf den eigentlich in China heimischen Ginkgo. Der braucht übrigens einen Baum anderen Geschlechts, um sich fortzupflanzen. Wie sich wohl die ungleiche Beziehung zwischen Ginkgo und Laterne entwickelt? Werden die beiden so unzertrennlich wie einst der schwarze Schwan und das weiße Tretboot in Schwanenform auf dem Aasee in Münster?

Der »Lonesome George« der 1947 in Istanbul geborenen, renommierten Ayşe Erkmen wird sich ganz sicher nicht mehr fortpflanzen können. Das ist die traurige Wahrheit über die schneckengroße und damit kleinste Skulptur des Parks ever, denn sie ist ein Denkmal für den Verlust dieser Baumschnecken-Art. Wissenschaftler*innen hatten in einem Labor auf Hawaii 14 Jahre lang versucht, einen Partner oder eine Partnerin — beides wäre möglich gewesen — für Achatinella apexfulva, die letzte ihrer Art, zu finden. Vergeblich, 2019 starb die Schnecke.

Ums Aussterben und Verschwinden geht es auch in Dane Mitchells beiden Skulpturen »Post hoc«, die bereits im neuseeländischen Pavillon auf der Biennale Venedig 2019 gezeigt wurden. Seine als Bäume verkleideten, sprechenden Funkmasten, die in China als Massenware produziert werden, speichern unzählige Listen verlorener Orte und Dinge: geschlossene Shopping-Malls, Bücher, die nie publiziert oder aber verbrannt wurden, verlorene Filme, frühere Währungen, Werkzeuge und viele andere, einst nützliche, inzwischen obsolete Dinge, die der Künstler (*1976) vor dem Vergessen bewahren möchte. Wollte man alles mitbekommen, müsste man der künstlichen Stimme, die die Listen vorliest, ein halbes Jahr zuhören. Davon abgesehen, dass die künstlichen Bäume die Frage aufwerfen, ob sie in China vielleicht als getarnte Abhörstationen dienen, spiegeln sie den melancholischen Grundton wider, der die ganze Ausstellung passend zur Corona-Depression durchzieht.

Diesen Blues spielt auch John Bock (*1965), der einer winzigen — echten — Libellenhaut eine große Bühne bereitet. Schauplatz ist das große Loch, das übriggeblieben ist von Dirk Skrebers Beitrag im Jahr 2011. Der hatte für seinen »Reaktor (Car Crash)«, ein um eine Stange gewickeltes Autowrack, eine gewaltige, mit Beton ausgegossene Grube in der Parkfläche ausheben lassen. Diese verbliebene Wunde war prädestiniert für den deutschen Aktionskünstler Bock, der den Aufprall von Skrebers Auto augenzwinkernd fortzuschreiben scheint. Begleitet von einem dramatischen Grusel-Sound steigt man über eine zehn Meter lange Rampe hinab und ist gespannt auf den Inhalt einer hohen Vitrine: dann der »Schlupf«, so der kreatürliche Titel des sprachverliebten Aktionskünstlers. Er ist das letzte Überbleibsel des Larvenstadiums einer Libelle und Inbegriff von Transformation und Neuanfang. Allerdings könnte die banale Hülle eines hoffentlich fernen Tages, wenn das letzte Insekt ausgestorben ist, auch zur naturhistorischen Sensation geraten — und wäre dann ein Fall für Mitchells Archiv des Verlorenen.

Dass Parks als Begegnungsstätten in Corona-Zeiten so wichtig werden würden, konnten die eingeladenen Künstler*innen bei ihren Planungen kaum ahnen. Die 85-jährige Mary Bauermeister, die als Fluxus-Wegbereiterin vor fünfzig Jahren die Kölner und internationale Kunstszene zusammen mit John Cage, Merce Cunningham, Nam June Paik, Christo und Karlheinz Stockhausen aufmischte, hat von ihrem seismographischen Gespür für aktuelle Sehnsüchte offenbar wenig eingebüßt. Ihre Baumstühle, deren Standorte mit Wünschelruten austariert wurden, bieten Sitzgelegenheiten für Menschen und Zwerge. Einige Stämme tragen Hirschgeweihe und Widderhörner, die wie Antennen in den Himmel ragen. Die als »Rübezahl« betitelte raumgreifende Kommunikations- und Ruheinsel liegt in der Achse der bekannten Platzhirsche des Parks.

Auch diese alten Positionen lohnen den Besuch immer wieder, übrigens wie die hier aus Platzgründen nicht genannten anderen neuen Beiträge. Gruß nach Hongkong und China an Kurator und Künstler*innen, die ihr Werk immer noch nicht im Original anschauen konnten: Eure Freilichtausstellung ist ein großer Wurf.

Skulpturenpark Köln
Eingang Riehler Straße und Konrad-Adenauer-Ufer
Täglich geöffnet. April bis ­September: 10.30–19 Uhr;
Oktober bis März 10.30–17 Uhr.
Eintritt frei