Damals in Ibiza
Ist es tatsächlich erst 16 Monate her, seit das Ibiza-Video entstand, das die österreichische Regierung zu Fall brachte? Ein Stoff, wie gemacht für die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek: eine aberwitzige Mischung aus Inszenierung und Wirklichkeit, Realitätskabarett der Neuen Rechten und schauspielerischer Meisterleistung. Eigentlich hatte Stefan Bachmann seine deutsche Erstaufführung von Jelineks Auseinandersetzung schon im März fast fertig, doch Corona-kompatibel war sie nicht. Nun ist »Schwarzwasser« zum Theaterparcours durch die Aushilfsspielstätte Depot geworden, in sechs Gruppen werden die Zuschauer durch großartige Schauspielermonologe und absurde FPÖ-Installationen geleitet.
Jörg Ratjen versucht würdevoll-distanziert als Jelinek-Double zu Wagner-Klängen auf einer barrierefreien Toilette, die schmutzige Banalität des Ibiza-Videos fort zu waschen, in dem die Neue Rechte dionysisch feiernd ihr Vaterland verscherbeln wollte: eine Kassandra-Figur, die alles schon gesagt hat und der nie jemand zugehört hat. Weiter geht es, durch Gänge und Kabelgewirr, vorbei an grinsenden Strache-Plakaten und Werbeslogans, Rolltoren und Garderobentüren. Draußen sind Jelinek-Textteile als bunte Graffitti-Slogans auf die Wand gesprüht, drinnen macht sich durchdringender Red-Bull-Geruch breit. Zum Beispiel im Lastenaufzug, wo Nicola Gründel mitten in einer klebrigen Lache liegt, bis sie dann am Schnurtelefon lässig die Gier und Unverfrorenheit des Videos aufspießt. Aus einem Fahrradkäfig rülpst brüllend die Schauspielerin Vera Flück, in der »Grotte« turnt Lola Klamroth mit Energydrink-Dose vor einer Polsterwand, im Heizungskeller übernimmt Peter Knaack im Bademantel mit Geld-Aufdruck — Symbolbild toxischer Männlichkeit.
Und dann darf man einzeln einen Container umrunden, in dem das Ibiza-Zimmer als bizarres Re-Enactment mit lebensgroßen Pappfiguren wieder aufgebaut ist: unendlich viel Wodka, Energy Drinks, Aschenbecher. Der Rundgang ist eine sehenswerte Mischung aus Kunst-Installation und Jelinek-Text-Bausteinen, die davon erzählen, wie sich Schuld in vermeintliches Opfersein verwandeln kann, die Neue Rechte sich an Ideen alter Nazis bedient, was das mit alten Männlichkeitsbildern, Klimakrise und Kapitalismus zu tun hat, und wie gut sich die Schuldzusammenhänge im dionysischen Feierkoma vergessen lassen. Jeder Monolog ist ein Ereignis — der Abend leichtfüßig und schwergewichtig zugleich.