Installationsansicht der Präsentation im Museum Ludwig, Köln 2020 | Foto: rba Köln / Chrysant Scheewe

Flußkrebs oder Hummer

Das Museum Ludwig nimmt seine Sammlung Russischer Avantgarde unter die Lupe. Dabei fällt ihm auf: Manche Kunstwerke sind nicht authentisch

»...und dann hat er da diese blöde Ecke hingemalt.« Petra Mandt, Gemälderestauratorin am Museum Ludwig, klingt zugleich belustigt und empört. Gemeint ist der Urheber des Bildes »Stillleben mit Hummern«, das 2007 als Werk des russischen Avantgardisten Michail Larionow versteigert wurde. Und tatsächlich erkennt man im Vergleich mit dem in der Sammlung des Museum Ludwig befindlichen, aller Wahrscheinlichkeit nach als Vorlage hinzugezogenen Larionow-Gemäldes »Stillleben mit Flußkrebs« (ca. 1907) die gar nicht so feine Differenz: Die Andeutung einer perspektivischen Räumlichkeit mutet etwas überambitioniert an und hat mit der für Larionow typischen flächendeckenden Gestaltungsweise wenig gemein. Die Beobachtung, dass es sich bei den dargestellten Tieren um französische Hummer handelt, die — anders als der Flusskrebs — in Russland gar nicht vorkommen, stellt als weiteres Indiz die Nicht-Authentizität dieses Bildes dar. Manchmal ist Kunstwissenschaft eben auch Biologie.

Es ist hochspannend, dem geschulten Blick der erfahrenen Restauratorin auf dem Weg durch das Museum Ludwig zu folgen, weiteren stilistischen Ungereimtheiten und Verdachtsmomenten auf der Spur. 49 von rund 100 Gemälden des hauseigenen Sammlungsschwerpunkts Russische Avantgarde aus den Jahren 1905 bis 1930 wurden mit interna­tionaler Unterstützung einer sys­tematischen wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen. Die ersten Ergebnisse werden den Besucher*innen in der von Petra Mandt und der stellvertretenden Direktorin Rita Kersting kuratierten Studio-Ausstellung »Original und Fälschung. Fragen, Untersuchungen, Erklärungen« vor Augen geführt — angenehm verständlich aufbereitet.

Die Fälschung steckt im Detail

Was einer Expertin auffällig erscheint, ist für die oder den Laien meist nicht augenfällig. Umso erhellender ist die Gegenüberstellung von Werken zum direkten Vergleich. Prominente Leihgaben aus der Costakis Collection des MOMus-Museum in Thessaloniki und dem Nationalmuseum Thyssen-Bornemisza in Madrid dienen als anschauliche Beispiele für authentische Werke, die manchen der abgeschriebenen Kölner Bildern als Vorbild gedient haben mögen und Qualitätsunterschiede offensichtlich werden lassen.

So ist die »Malerische Architektonik« von Ljubow Popowa in zwei Ausführungen von 1918 und etwa 1920 zu sehen. Auf den ersten Blick erscheint trotz abweichender Formate die Bildkomposition beinahe identisch. Beim näheren Hinsehen bemerkt man jedoch die sehr verschiedene malerische Behandlung der Oberfläche mit ihren abstrakten Formen in Blau, Weiß und Orange. Während die querformatige Version aus dem Museum Thyssen-Bornemisza mit einer zwischen pastosem und lasierendem Auftrag wechselnden und damit äußerst dynamischen Pinseltechnik strukturiert ist, erscheint die Kölner Variante vollflächig einheitlich ausgemalt. Schon die Stilanalyse liefert also Verdachtsmomente. Unter Hinzunahme zwei weiterer Faktoren — der Herkunftsgeschichte und kunsttechnologischen Materialanalyse von Farbe, Leinwand etc. — erfordert die Beweislage eine Neubewertung: Vorgestellt wird das Gemälde in der Ausstellung nun als »frühere Zuschreibung«. Anders gesagt: Es handelt sich um eine Fälschung.

Neuverhandlung der Urheberschaft

Zur näheren Begutachtung auf den Präsentationstischen liegt das, was man beim Museumsbesuch selbstverständlich und unhinterfragt den Schildern entnimmt. Und tatsächlich fehlen in der erfreulich übersichtlichen Ausstellung die Angaben zu Künstler*in, Jahr, Technik an der Wand, die stattdessen auf einer Arbeitsfläche ausgebreitet und neu verhandelt werden. Mit den zusammengetragenen Einsichten zu Provenienz, Stil und Material ist man eingeladen, die Werke eingehend zu befragen und neu zu sehen.

Es ist das Verdienst dieser kleinen, aber feinen und lehrreichen Schau, das Auge zu sensibilisieren, ein Gespür für die Eigenheiten individueller Machart zu entwickeln. Selten ist man so nah dran, an Werken, deren schonungslose Offenlegung sich auch auf ihre Hängung erstreckt: Ohne Rahmen als schützendes und gleichzeitig nobilitierendes Blendwerk wirken sie nackt und anrührend bescheiden. Umso mehr lohnt es, genau hinzusehen, um die für die Konstruktivisten so bedeutende Textur der gemalten Oberfläche, die sogenannte Faktura, wahrzunehmen, was nun ohne Glas und umklammernde Leiste gut möglich ist.

Mit ihrer kritischen Herangehensweise vertieft die Ausstellung das Bewusstsein für die Problematik einer Kunstrichtung, die unter Stalin in der Sowjetunion zugunsten des Sozialistischen Realismus verfemt war und im Westen bis in die 60er Jahre hinein weitgehend unbekannt blieb. Um dem aufkommenden, auch kommerziell geprägten Interesse und steigender Nachfrage nachzukommen, gelangten neben aus dem Land geschmuggelten Originalen auch zahlreiche Fälschungen mitsamt fingierter Dokumentationsunterlagen in Umlauf.

22 der 49 untersuchten Bilder sind offenbar Fälschungen, so das dann doch erschütternde Zwischenergebnis des Forschungsprojekts. Die Prüfung weiterer 50 Gemälde folgt. Eines steht schon jetzt außer Zweifel: Auch das Ehepaar Ludwig, das ab 1977 begann, russische Werke aus der Zeit zwischen 1905 und 1930 zu erwerben, hat sich hier und da täuschen lassen.

Wegen der Corona-Maßnahmen ist die Ausstellung bis zum 30.11. 2020 vorübergehend geschlossen. Sie soll bis 3.1.2021 im Museum Ludwig zu sehen sein.