Aus dem Blick geraten
Die Corona-Pandemie zwingt Lehrer zum Improvisieren, das Homeschooling stellt Schüler wie Eltern auf die Probe. Doch vor allem bei den Kindern in den Flüchtlingsheimen droht die Bildung auf der Strecke zu bleiben. Sie sind häufig auf besondere Förderung angewiesen, die durch die Corona-Schutzmaßnahmen kaum noch möglich ist. Das Besuchsverbot in den Einrichtungen etwa betrifft auch Nachhilfelehrer.
Dabei war Ende November auf einer Sitzung des Runden Tischs für Flüchtlingsfragen von Seiten des Wohnungsamts noch eine Verbesserung in Aussicht gestellt worden. Dessen Leiter, Josef Ludwig, wollte dem städtischen Corona-Krisenstab vorschlagen, ein generelles Besuchsverbot in den Flüchtlingsheimen ab Dezember aufzuheben. Dort entschied man am 7. Dezember aufgrund der hohen Inzidenzwerte anders. Vertreter der Initiativen dürfen zurzeit nur unter hohen Auflagen Nachhilfeunterricht geben. »Außerschulische Bildungsangebote« dürfen nur zu zweit stattfinden — doch meist unterrichten Ehrenamtliche Kleingruppen. Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats, berichtet von einer Ehrenamtlichen, die zweimal pro Woche Nachhilfe in der Flüchtlingsunterkunft am Schlagbaumweg erteilte für bis zu 14 Kinder. »Soll sie nun dorthin fahren und sich ein Kind davon aussuchen?«, fragt er. »Die Kinder brauchen regelmäßige Förderung. Wenn sie die nicht bekommen, fangen sie wieder von Null an.«
Mit Beginn des verschärften Shutdowns ab Mitte Dezember bleiben Besuche bis mindestens 10. Januar an weitere hohe Auflagen gebunden, um die sozialen Kontakte zu reduzieren, zumal in gemeinschaftlich genutzten Sanitäranlagen und Küchen ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht. So ist ein negativer Corona-Schnelltest vom selben Tag Bedingung für den Einlass in die Einrichtungen. Das zu erfüllen, ist den ehrenamtlichen Nachhilfelehrern kaum möglich. Auch die Stadt besitzt kein Personal, um entsprechende Tests durchzuführen. Jörg Detjen, Fraktionschef der Linkspartei im Rat, schlägt daher vor, dass für die Bildung der Kinder auch Tests akzeptiert werden sollten, die nicht vom Tag selbst stammen. Außerdem sollte die Stadt »in unmittelbarer Nähe der Heime Räume für Unterricht bereitstellen oder aber die Initiativen mit Mitteln ausstatten, um selbst eventuell Räume anzumieten, etwa in Cafés.« Es sei wichtig, dass die Kinder Deutsch lernten, um sich einzufinden. »Wir tun uns als Gesellschaft keinen Gefallen, wenn diese Menschen abgehängt werden«, sagt Detjen. Er empfiehlt den Initiativen, nach dem Shutdown gegen die Beschlüsse zu klagen.
Mit dem erneuten harten Shutdown müssen die Kinder zudem wieder am Homeschooling teilnehmen. Doch nicht alle Kinder aus Flüchtlingsfamilien verfügen über Internet und Endgeräte für den digitalen Distanzunterricht. Zwar hat das Wohnungsamt im Frühjahr zahlreiche Unterkünfte mit WLAN ausgestattet. Zudem spendete im Sommer der Verein »Kunst hilft geben« 480 Notebooks. »Aber der Bedarf ist wesentlich höher«, so Prölß. Die Stadt will bis Jahresende 37.000 Endgeräte an die Schulen verteilen. Diese sollen denjenigen Schülern zugutekommen, die kein eigenes Gerät besitzen. Wie viele inzwischen angekommen sind, ist unklar — genau wie die Zahl der schulpflichtigen Kinder in den Unterkünften, die überhaupt am Homeschooling teilnehmen können. »Es gibt ein Recht auf Bildung und Teilhabe«, so Prölß. »Ich kann jedoch nicht erkennen, wie um diese Rechte gerungen wird.«
In der Corona-Krise ist die Lage der Geflüchteten aus dem Blick geraten. »Die große Solidaritätswelle gibt es leider nicht«, sagt Jörg Detjen. »Corona hat dazu geführt, dass viele Menschen jetzt vor allem mit ihrer eigenen Situation beschäftigt sind.«