Für immer vorwärts
Das britische Independent-Label Planet Mų ging einst als Dance-Imprint von Virgin Records an den Start. Als der Plattengigant sein Experiment an den Nagel hängen wollte, machte Labelmanager und A&R Mike Paradinas aus Wimbleton einfach auf eigene Faust weiter. Er führte das Label über 25 Jahre konsequent als Innovations-Feder der Dance-Music fort. Zum Jubiläum erscheint eine Compilation, die mit aktuellen Künstler den Weg in die Zukunft weist.
Es ist nicht einfach, ständig neue Trends zu setzen. Gerade, wenn man dabei noch Musik verkaufen möchte. Doch manchen ist die Integrität und Innovation so wichtig, dass Erfolg nicht an Verkaufszahlen gemessen wird. Künstler und Labelchef Mų-Ziq, wie sich Mike Paradinas nennt, gelang in den 90er Jahren beides: er verband Drum & Bass-Versatzstücke mit IDM-Strukturen zu einem neuen, damals »drill’n’bass« getauften Genre und konnte davon sogar gut leben.
Virgin nahm den jungen Künstler unter Vertrag und gab ihm ein eigenes Sublabel, Planet Mu. Dort sollte Paradinas fortan eigene Werke und solche von geistesverwandtem Wegstreitern veröffentlichen. Wenig später verlor man bei Virgin jedoch das Interesse, also musste Paradinas independent weitermachen. Etwa 400 Veröffentlichungen und 25 Jahre später steht das Label immer noch als Innovator und verlässlicher Grundpfeiler der Szene da, stets in einem Atemzug genannt mit dem artverwandten Traditionsposten Warp Records.
Dieses schnappte Planet Mų übrigens das erste geplantes Signing vor der Nase weg: Boards of Canada! Sei’s drum, denn Paradinas wird nie müde, neue Artists zu entdecken und vor allem die bestehende Familie zu hegen und zu pflegen. So stellt die 25-Jahre Compilation »PlanetMų 25« keine historische Werkschau dar, sondern im Gegenteil eine aktuelle Übersicht der Innovatoren des Labels, die weiterhin in vorderster Reihe an den Rändern der Dance-Music operieren und kritische Ausschläge zur Weiterentwicklung der Club-Genres geben.
Die Rolle des Labels als Gatekeeper und Filter findet Paradinas gerade in Zeiten von Bandcamp und Spotify immer noch wichtig. Auf Planet Mų tummeln sich sowieso Außenseiter-Genres wie IDM und Footwork. Letzteres ist ein halsbrecherischer, perkussiver Stil aus Chicago, pioniert von Künstlern wie DJ Rashad und RP Boo, dessen globaler Siegeszug maßgeblich von der 2010 bei Planet Mų erschienenen Compilation »Bangs and Works« eingeläutet wurde. Aber auch Dubstep war Mitte der Nuller Jahre noch kaum jemandem ein Begriff, als Planet Mų reihenweise Platten von Vex’d, Virus Syndicate oder Mark One herausbrachte, die den neuen, bassgewichtigen Sound aus den Straßen Südlondons in die Welt posaunten. »Warrior Dubz«, die von Marry Anne Hobbs 2006 kuratierte Planet-Mų-Compilation, stellt immer noch einen der besten Überblicke über die Essenz der frühen Dubstep-Tage dar.
Selbst das extrem unzugängliche Breakcore-Genre (abrasive, schnelle, brutale Breakbeat-Variationen) existiert nach wie bei Planet Mu, meist repräsentiert vom Zugpferd-Künstler Venetian Snares, mit dem das Label schon seit 2001 zusammenarbeitet. Ob sich das verkauft, ist nach wie vor zweitrangig. Im Interview gibt Paradinas gelassen zu, dass 2019 keine Platte Gewinne abgeworfen habe — »da wurde es knapp«. Doch 2020 sei tatsächlich ein starkes Jahr gewesen. Die Leuten hätten wohl mehr Geld zum Musikkauf, weil sie nicht zu Shows gehen könnten. Er persönlich genieße ja, dass er momentan nicht spielen müsse, denn eigentlich hasse er das.
Auf der stets vorwärtsstürmenden Compilation zum Jubiläum findet sich von Hitek-Grime über Footwork und Synth-Arpeggios so ziemlich alles. RP Boo und DJ Nate vertreten die Chicago-Juke-Fraktion, während Ital Tek den schwergewichtigen Dubstep-Sound weiterdenkt. Eomac macht einen nebligen Techno-Stepper mit Marschmusik-Allüren und Rian Treanor lässt Modulare Synthpatches auf ungewöhnlichen Rhythmus-Strukturen miteinander kommunizieren. Auf »Mynd Fuc« von Jana Rush verschmilzt Fusion Jazz mit Footwork und Rui-Ho aus China versucht traditionelle Sounds aus Fernost in ein dystopisches, elektronisches Grundgerüst zu zwängen. Dagegen wirkt die vom New Yorker AceMo verantwortete Melange aus Jazz und Techno skurrilerweise schon wieder fast bieder.
Was zunächst alles andere als bekömmlich anmutet, klingt tatsächlich wunderbar schräg. Man kann nur hoffen, dass sich die Künstler bei Planet Mų weiterhin gut aufgehoben fühlen, und der Rückhalt aus der Community auch für die kommenden Jahre diesen Brutkasten für Innovationen in der oftmals an Funktionalität lahmenden Dance-Music-Szene erhalten kann.
Tonträger: »PlanetMų 25«