Bilder erzählen
Kaum war der erste Lockdown im vergangenen März beschlossen, überschlugen sich Museen und Galerien mit digitalen Vermittlungsformaten. Instagram-Talks, 360-Grad-Führungen und Online-Viewing-Rooms wohin man klickte. Wenn eines aus der ersten digitalen Welle geblieben ist, dann die Erkenntnis, dass nichts davon das Sehen und Erleben in echt ersetzen kann. Umso erfreulicher, dass inzwischen immer mehr Kunstinstitutionen auf einen anderen Sinn setzen und Vermittlung für die Ohren machen.
Podcasts boomen nicht erst seit Corona, aber wie so oft bei neuen Medien ist die Kunstszene eine der letzten Branchen, die auf den Zug aufspringen. Was kann das Format Podcast, was geschriebene Interviews oder Geschichten nicht können? Welchen Vorteil hat Audio gegenüber Video? Und wie kommt es, dass ein fast anachronistisches Medium — die Tonaufnahme — für viele plötzlich zum liebsten Begleiter im Lockdown wurde?
Minimal Art für die Ohren
Vielleicht liegt der Schlüssel gerade in der Reduzierung auf eine einzige sinnliche Erfahrung. So wie man beim Lesen ganze Welten und Persönlichkeiten imaginiert, fordert das Hören die Fantasie: Man kommt der Kunst so nah wie selten — durch Sprache. Ob als kurze Häppchen, die man beim Kochen, Putzen, Spazieren oder Bahnfahren hören kann, oder als mehrstündiger Ersatz für Netflix und TV. Die Möglichkeiten des Mediums sind grenzenlos. Die Macher*innen des »Alles gesagt«-Podcast aus dem Hause Zeit Online nahmen das wörtlich, ihre Gespräche mit Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft dauern so lange, bis der Gast mit einem vorher festgelegten Codewort das Gespräch beendet, mal nach drei, mal nach acht Stunden. Höhrenswert zum Beispiel die Folgen mit der Sammlerin Julia Stoschek oder dem Künstlerstar Olafur Eliasson.
Podcasts sind für Museen nicht nur eine Möglichkeit, Ausstellungen, die man nicht besuchen kann, mit eigenen Worten der Macher*innen vorzustellen, sie können auch dazu dienen, das eigene Profil zu erweitern und kurzfristig andere Schwerpunkte zu setzen, als das im lange geplanten Ausstellungsprogramm machbar ist. Zum Beispiel vergessene Frauen in den Fokus rücken, wie das in den USA das Forschungsprojekt »Recording Artists« des Getty Center in Los Angeles macht, das sechs bedeutende, teils nicht mehr lebende Künstlerinnen über historische Interviews aus dem eigenen Archiv und Gespräche mit zeitgenössischen Künstler*innen ausführlich vorstellt.
Auch das Museum Ludwig hat seit kurzem einen eigene Podcast, konzipiert von Paulina Thillmann aus der Kommunikationsabteilung. In »Ein Tag im Museum Ludwig« geht es um die Gesichter hinter dem Museumsbetrieb. Wie bekommt man ein 17 Meter langes Kunstwerk an die Wand? Was genau macht eigentlich eine Kuratorin? Paulina Thillmann möchte ihren Kolleg*innen die Fragen stellen, die viele Besucher*innen, eingeschüchtert von dem großen Kunsttempel, sich nicht zu fragen trauen. Das Schöne an dem Format: Es kommen wirklich die Stimmen zu Wort, die sonst nur hinter den Kulissen arbeiten, die Vermittler*innen, Restaurator*innen oder das Wachpersonal. Das Museum Ludwig hat den Podcast als Teil seiner Digitalstrategie gestartet, lange im voraus geplant und mit Fördermitteln vom Land. Denn eins ist klar: In dreißig Minuten Audiogespräch stecken viele Stunden Arbeit.
Kommunikation mit der Welt
Der erste Podcast einer Galerie in Deutschland stammt nicht etwa von einem Schwergewicht mit eigener PR-Abteilung, sondern von der Düsseldorfer One-Woman-Show Van Horn. »Voices on Art« ist im Frühjahr 2020 eher aus der Not heraus entstanden, weil das geplante Vortragsprogramm zur Ausstellung »Deutschland« nicht stattfinden konnte. Die Galeristin Daniela Steinfeld machte sich als Podcast-Neuling mit dem Format vertraut und fand darin einen ganz neuen Raum, um über Kunst zu sprechen. Mit ihrem Programm erreicht sie Menschen auf der ganzen Welt, nur 39 Prozent der Hörer*innen sind in Deutschland. »Der Podcast ist für mich eine Möglichkeit, mit der Welt zu kommunizieren und Gedanken zu teilen«, sagt Steinfeld. Alle zwei Wochen erscheint eine neue Folge. Die Gäste verbindet eine Liebe zur oder ein Leben mit Kunst, dabei haben sie nicht unbedingt etwas mit dem Galerieprogramm zu tun. Daniela Steinfeld sieht die Plattform als eigenständiges Projekt zu ihrer Arbeit als Galeristin, das »niedrigschwellig, aber anspruchsvoll und inspirierend« sein soll. Und definitiv auch nach der Pandemie fortgeführt wird.
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