Auf Rezept
Die vielfältige Bedeutung von Ernährung wird in Krisen deutlich. Plötzlich zeigt sich, was uns wirklich wichtig ist oder zumindest sein sollte. Auch wenn wir vielleicht nicht besonders gern oder oft backen, werden wir nervös, wenn Weißmehl und Frischhefe knapp werden. Ein geselliger Abend im Restaurant ist plötzlich unser innigster Wunsch, und für einen schlichten Glühwein nehmen wir lange Schlangen und gesundheitliche Risiken auf uns. Vor allem aber hat die Pandemie die sinnstiftenden Eigenschaften von Kochen, Backen, Einmachen, Dörren und Fermentieren wieder deutlich werden lassen. Wenn die Gastronomie geschlossen hat, Take-away auf Dauer seinen Reiz verliert und wir auf der Suche nach Alternativen zum gewöhnlichen Konsum sind, kehren wir zurück an den heimischen Herd.
Das Kochbuch als Alternative
Ganz konventionell würde man dort zunächst nach einem Kochbuch greifen. Denn bei allen Vorteilen der Digitalisierung: So unpraktisch sind gedruckte Rezepte nun auch wieder nicht, weil sie nicht in den unpraktischsten Momenten in den Ruhemodus wechseln und weil sie durch Fettspritzer erst einmal keinen Schaden nehmen. Der Markt an Kochbüchern wächst schon seit geraumer Zeit, was auch ein Blick in die entsprechenden Abteilungen der Buchläden deutlich macht. Die Branche ist einerseits flüchtig und richtet sich mehr oder weniger vorausschauend nach Trends, andererseits ist sie in der Produktion vergleichsweise träge. Ein gescheites Kochbuch braucht rund ein Jahr von der Idee bis zur Veröffentlichung. Und auch dann müssen die Rezepte ja irgendwo herkommen.
Carsten Brück ist Besitzer eines Concept-Stores im Belgischen Viertel und führte bis kurz vor der Pandemie mit seinem Partner das Restaurant Sonder an der Lindenstraße. »Als Kind wollte ich Meeresbiologe oder Kochbuchautor werden«, sagt er. »Letzteres hat geklappt.« Die meisten Rezepte stammen aus dem Sonder, aber in den überwiegend vegetarischen, regionalen und saisonalen Gerichten gibt es in »Ui — Ein Kochbuch für Heute« ein Kapitel mit dem Titel »Futter von Freunden«. »Für die Rubrik haben wir befreundete Gastronomen, Köche und Blogger in unsere Küche eingeladen«, so Brück. Mit dabei sind etwa Marcello Caruso von der Pastabar am Barbarossaplatz, Kosta Tzikas aus dem Restaurant Phaedra oder Ina Maaß und Kai Schlie von »Frau Maaß Herr Schlie«.
Gratis muss nicht schlecht sein
Wer gerade nichts kaufen möchte oder kann, bedient sich beispielsweise an den Gratiszeitschriften, die an den Kassen von Vollsortimentern, Discountern und Drogeriemärkten zum Mitnehmen ausliegen. Die enthaltenen Rezepte sind zumeist nah am Puls der Zeit. Derzeit, am Jahresanfang, stehen sie noch im Zeichen der guten Vorsätze, was zumeist irgendwie gesund und vor allem vegan bedeutet. Aldi Süd etwa kooperiert in seinem Kundenmagazin mit Weight Watchers und bietet Rezepte für eine ganze Woche in Vollpension, etwa mit »0-Punkte-Brokkolisuppe mit Skyr« oder »Schoko-Chia-Overnight-Oats«. Centaur, das Kundenmagazin von Rossmann, setzt auf echte Menschen und lässt Mitarbeiter erklären, was sie zur veganen Ernährung bewegt oder welches Produkt aus dem hauseigenen Sortiment sie am liebsten beim Kochen verwenden. Auch der dm-Drogeriemarkt forciert den Verzicht auf tierische Produkte mit einem kleinen Heft mit dem Titel »Probier’s mal vegan« und Rezepten wie Zucchini-Kichererbsen-Burger der Food-Stylistin und Rezept-Entwicklerin Bianca Zapatka. Anregungen gibt es also zuhauf. Aber neben guten Rezepten braucht man auch frische Zutaten.
Das kleine Bistro Bouschong am Barbarossaplatz hat bereits im ersten Shutdown mit neuen Formaten experimentiert. Wenn niemand mehr im kleinen Ladenlokal essen darf, muss man das Geschäft eben nach außen verlagern — Außerhausgeschäft im wahrsten Sinne des Wortes. »Die Idee für die Gemüsetüte ist uns nach der Sommerpause gekommen«, sagt Tim Weber vom Bouschong. »Wir versuchen ja, sehr transparent mit den Gästen zu kommunizieren, was unsere Bezugsquellen angeht.« Für knapp 14 Euro gibt es Gemüse, eine Flasche Saft und ein selbstgebackenes Brot. »Davon kann man drei Mal gut kochen — zwei unterschiedliche Gerichte plus so eine Art Minestrone«, so der Koch. Rezepte finden sich keine in der Tüte, aber man kann natürlich nachfragen. Wenn man Topinambur mit Ingwer verwechselt, nicht weiß, was Cavolo nero ist oder mit Steckrüben nichts anfangen kann, empfiehlt es sich, in der Küche vorstellig zu werden. »Wir erklären dann gerne, was drin ist, was man damit machen kann und wie man das am besten kombiniert.« In der Krise und zurück am heimischen Herd ist das persönliche Gespräch eben doch der beste Ratgeber.