Konfettibad im Geld: Benjamin Frey und der Cum-Ex-Skandal, Foto: Anja Beutler

Gier frisst Hirn

Helge Schmidt zeigt mit »Cum-Ex-Papers« ein gut recherchiertes Theaterstück zum entfesselten Finanzwesen

»Warum gibt es da eigentlich keine Revolution?«, fragte sich Regisseur Helge Schmidt im Deutschlandfunk, kurz nach der Veröffentlichung der Cum-Ex-Files. Gute Frage. Fast drei Jahre ist es her, als ein Journalist*innen-Team aus zwölf Ländern den größten Steuerskandal der Geschichte aufdeckte. Über 55 Milliarden Euro erbeuteten Banker vom Staat, indem sie Gesetzlücken eiskalt ausnutzten und sich Steuern erstatten ließen, die sie nie gezahlt hatten.

Drei Jahre, ein halbherziger Untersuchungsausschuss und ein paar laufende Verfahren später ist in der Öffentlichkeit kaum noch etwas von den schmutzigen Finanzgeschäften zu hören. Umso lohnender ist ein zweiter Blick auf Helge Schmidts Inszenierung des Skandals am Lichthof Theater in Hamburg, die auf spectyou.com abrufbar ist. Mit »Cum-Ex-Papers« stellt er unter Beweis, dass er aus diesem komplexen Finanzthema einen so unterhaltsamen wie aufklärenden Theaterabend stricken kann.

Whistleblowing als Drama

Die Inszenierung hangelt sich dicht an einem Interview entlang, dass Journalist*innen 2018 mit Benjamin Frey, einem der ersten Whistleblower und späterem Kronzeuge vor Gericht, führten. Auf der Bühne schlüpft ein Schauspieltrio, bestehend aus Jonas Anders, Günter Schaupp und Ruth Marie Kröger, abwechselnd in die Rolle des Landeis mit dem Traum von einer Villa auf Mallorca. Sie zeigen, wie sich Frey, mit dem Jurastudium in der Tasche, dem Sog der Finanz­welt hingibt. Und wie in dieser Welt nach und nach alle moralischen Skrupel schwinden. Der Staat und seine Regeln werden als lästige Hindernisse verstanden, die Frey und seinesgleichen davon abhalten, noch mehr Geld zu verdienen. Erst als der Betrug aufzufliegen droht, entdeckt er sein Gewissen und packt aus.

Rasanter Polit-Thriller

Schmidt inszeniert »Cum-Ex-Files« als rasanten, zuweilen klamaukigen Polit-Thriller. Auf einem Lamellenvorhang werden Interviewschnipsel projiziert, während das Schauspieltrio sich im Konfettibad an der eigenen Gier aufgeilt und nebenher anhand eines kleinen, roten Spielzeugautos erklärt, wie Cum-Ex-Geschäfte funktionieren. Mühelos wechseln die drei Darsteller dabei ihre Rollen zwischen gierigen Investmentbankern, schmierigen Steuerberatern, bräsigen Politikern und aufgebrachten Kommentatoren.

Die Geschichte steht exemplarisch für eine ganze Branche, in der längst »die Gier das Hirn« gefressen hat, wie es Benjamin Frey selbst gesagt haben soll. Heraus gekommen ist ein beeindruckendes Theaterstück, das auch vor dem Bildschirm Wut im Bauch hinterlässt.

Als kostenloser Stream abrufbar unter spectyou.com