Die Ungehörten
Ein Hauch von Bühnenbild liegt in der Luft: dünne Tücher, gehalten von Heliumballons und bedruckt mit großformatigen Fotografien des Oktoberfests. Sie schweben im Raum wie Paravents, die den Blick in die Vergangenheit verstellen. Eine Vergangenheit, die für jene auf der Bühne der Münchener Kammerspiele am 26. September 1980 jäh begann. Um 22.20 Uhr explodierte an diesem Tag eine handgefertigte Bombe am Haupteingang der Theresienwiese. Mehr als 200 Menschen wurden dabei verletzt, 13 starben, darunter auch der Attentäter Gundolf Köhler. Dass er an Übungen der rechtsextremen, paramilitärischen »Wehrsportgruppe Hoffmann« teilgenommen hatte, ignorierten die bayerischen Ermittler. Er sei ein Einzeltäter, der aus persönlicher Frustration und Universalhass auf die Menschheit gehandelt habe, hieß es im Abschlussbericht der Generalbundesanwaltschaft.
40 Jahre später lässt Regisseurin Christine Umpfenbach die Überlebenden zu Wort kommen. Da ist Dimitros Lagkadinos, der an diesem Abend 17 Jahre alt ist, und mit seiner ersten Freundin Gaby schwer verliebt über die Wiesn zieht. Da ist Robert Höckmayr, der als kleiner Junge einen Ausflug mit seiner Familie macht, allesamt ausgestattet mit neuen Schuhen und Jacken für den Besuch auf dem Rummel. Und da ist Hans Roauer, er wartete in der Nähe des Mülleimers, in dem die Bombe detonierte, noch auf einen Kollegen, um gemeinsam den Heimweg anzutreten. Es sind die Geschichten der Ungehörten, die Umpfenbach erzählt — mal wieder, muss man sagen, denn bereits in ihrem dokumentarischen Stück »Urteile« über die NSU-Morde rollte sie die quälenden Jahre zwei Münchener Familien auf: die des 2001 erschossenen Obst- und Gemüsehändlers Habil Kiliç und des 2005 in seinem Geschäft getöteten Theodoros Boulgarides.
Hätte eine konsequente Verfolgung rechter Gruppen und Akteure nach dem Wiesn-Attentat die Morde des NSU verhindert? Auch diese Frage schwingt bei Umpfenbachs Recherchestück mit, das im Online-Stream der Münchener Kammerspiele zu sehen ist. Es ist eine Reduktion ausschließlich auf die Stimmen, rein gar nichts lenkt von ihrem Schmerz ab. Denn die Bilder entstehen ohnehin von ganz alleine im Kopf.
Am Ende sticht eines am heftigsten hervor: Dass schon am Tag nach dem Anschlag der Tatort in München neu betoniert war, ganz genauso, wie man auch sonst in Deutschland mit rechtsextremer Gewalt umgegangen ist. 1997, übrigens, wurden alle Beweismittel zum Oktoberfestattentat vernichtet. In der Asservaten-Kammer soll Platzmangel geherrscht haben.