Das Ende ist nah – Teil 1

Die Coronakrise bedeutet für Kulturschaffende schlagartigen Einkommens- und Jobverlust. Trotzdem haben sie weitergearbeitet. Wir haben nachgefragt: Wie habt ihr das letzte Jahr verbracht? Und wir analysieren, was es für die Kultur bedeutet, dass der Kölner Haushalt in den nächsten Jahren vor großen Einschnitten steht. Die Kulturszene wird sich wehren müssen.

 

 

Eine Milliarde Euro. Das ist die Summe, die dem Haushalt der Stadt Köln bis 2024 fehlen wird. Diese Schätzung hat Stadtkämmerin Dörte Diemert im Dezember kommuniziert. Sie erwartet jährliche Mindereinnahmen im dreistelligen Millionenbereich bis 2024. Für die Kulturszene ist das keine gute Nachricht. Sie befürchtet, dass dort gekürzt wird, wo es am leichtesten geht — bei den kleinen Theatern und Kunsträumen, den Clubs oder den Programmkinos.

Dabei hat die Stadtverwaltung seit März 2020 versucht, der Kulturszene an vielen Stellen zu helfen. Es gab zusätzliche Unterstützung für die freie Szene und die Clubs, bereits zugesagte Subventionen wurden gezahlt, obwohl subventionierte Veranstaltungen wegen der Coronakrise oft ausfallen mussten, neue Hilfsprogramme für die Kulturszene wurden aufgelegt. Aber all das fällt im Haushalt der Kommunen unter »freiwillige Leistungen«. Anders als etwa bei den Miet­zahlungen für Hartz-IV-Bezieher*innen oder dem Bereitstellen von Kita-Plätzen ist die Stadt Köln nicht durch den Bund oder das Land NRW dazu verpflichtet, die Kulturszene finanziell zu unterstützen, obwohl die Kommunen die wich­tigsten Geldgeber für Theater oder Museen sind — und damit auch lange für sich geworben haben.

Noch vor einem knappen Jahrzehnt haben Städte versucht, mit dem »weichen« Standortfaktor Kultur um die »kreative Klasse« zu werben. Sie galt als die Gruppe, die einen Wandel hin zu einer liberalen, nachhaltigen, kulturell und technologisch innovativen Stadt garantiert — trotz ihrer oftmals prekären ökonomischen Situation. Die Coronapandemie hat diese Situation nur verschlimmert und die Sozialsysteme haben dazu beigetragen.

Wer im März von einem Wochenende aufs nächste ohne Einkommen dastand, bekam schnelle, unbürokratische Hilfe versprochen und erhielt sie häufig nicht. Aus Kreativ­arbei­ter*in­nen wurden per seitenlangem Antrag Soloselbstständige, die die erhaltenen Hilfen für »Fixkosten« verwenden durften, wozu Essen, Strom und Miete jedoch zunächst nicht zählten. Nach endlosen politischen Debatten durften sie von 9000 Euro Hilfe 2000 für private Ausgaben wie eben Essen, Strom und Miete behalten, der Rest musste zurückgezahlt werden. Die Alternative: Hartz IV. Unter den einkommenslosen DJs, Schauspieler*innen und Tontech­ni­ker*in­nen machte deshalb schnell die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen die Runde, das seit den späten Nullerjahren alle paar Jahre wieder als so­zialpolitisches Allheilmittel präsentiert wird.

Ob es sinnvoll ist, einen Rechtsanspruch auf Mietzahlungen, Krankenversicherung und einen — zu niedrigen — Beitrag für die Lebensgestaltung gegen ein inflationsan­fälliges Grundeinkommen einzutauschen, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Die Lautstärke, mit der seit dem Frühjahr aus den Kreisen der Kultur- und Kreativszene für ein Grundeinkommen geworben wird, ist aber ein Zeichen von politischer Schwäche und keins der bal­digen Umstellung der deutschen Sozialsysteme. Denn den Berufsverbänden und bekannten Einzelpersonen ist es mit all den Petitionen, Offenen Briefen und Interventionen seit Beginn der Pandemie selten gelungen, ihre Interessen durchzusetzen. Sicher, das Bundesfinanzministerium nahm im Oktober einen Offenen Brief von Helge Schneider zum Anlass, den Bezugsrahmen für die »Novemberhilfen« anzupassen, die den Winter-Lockdown lindern sollen. Aber im Januar haben viele diese Hilfen immer noch nicht erhalten. Offenbar haben die Erinnerungen an die »Systemrelevanz« der Kultur wenig gebracht.

Vielleicht muss die Kulturszene sich deshalb auf das gleiche Terrain wie ihre Gegner begeben: auf das der Ökonomie. Der Wirtschaftsweise Jens Südekum hat im Januar darauf hingewiesen, dass der Wirtschaftsaufschwung in den nächsten Jahren ungleich verteilt sein wird: Der Online­handel  und die Exportwirtschaft boomen jetzt schon, aber alle lokalen Branchen vom Buchladen über das Restaurant bis hin zum Jazzclub mit Barbetrieb werden es noch länger schwer haben. Es ist deshalb sinnvoll, dort die Nachfrage zu stimulieren — mit direkter Unterstützung für die, die dort arbeiten.

Denn wenn es eine Gruppe gibt, die das Geld, was sie einnimmt, auch gerne und lokal wieder ausgibt, dann sind es wohl die Kreativarbeiter*innen. Auch, wenn es ein wenig mehr sein könnte.

Text: Christian Werthschulte

 

Für unsere Fotografin Dörthe Boxberg hat die Comedia noch mal den Vorhang geöffnet: Sie fotografierte auf der Bühne des »roten Saals« Bilder zum Lockdown der Kultur. Ansonsten gilt für das Theater in der Südstadt das gleiche wie für alle Bühnen Kölns — Spielpause. Die 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Comedia sind derzeit in Kurzarbeit. Eigentlich startete die Comedia als Gewinnerin in die aktuelle Saison 20/21: Sie ist jetzt offizielles »Zentrum der Kultur für junges Publikum Köln und NRW« und genießt eine besondere Förderung, um Programmlinien und Festivals für Kinder und Jugendliche neu zu etablieren und auszubauen. Etwa 500 Veranstaltungen finden in den beiden Sälen der Comedia statt — pro Saison. Allein in den Lockdown-Monaten seit November wären es 129 gewesen. Aus der Comedia, sagt Pressesprecherin Astrid Hage, werden auch in Zukunft keine Stücke gestreamt, was auch der Idee eines Theaters widerspricht, das den direkten Austausch mit seinem jungen Publikum sucht. Aber, so Hage, alle aktuellen und geplanten Stücke werden »spielfertig« gemacht: Sie werden im Bühnenbild bis zur Auf­führungsreife geprobt. Im Prinzip könnten die Stücke sofort auf den Spielplan gesetzt werden. Aktuell richten sich die Hoffnungen auf den April. Dann wird hoffentlich das Stück »Wegklatschen« von Sergej Gössner zu sehen sein, das die Frage aufwirft, ob — und wie weit — der Kampf gegen Rechtsextremismus selber gewalttätig werden darf. (FK)

 

Klar, es sind Existenzängste aufgekommen

Locationscout Rüdiger Jordan

Ich habe schon in den Bereichen Herstellungs- und ­Pro­duktionsleitung gearbeitet, seit ungefähr 15 Jahren kon­zentriere ich mich auf Locationscouting für Fernsehen und Kino. Das heißt, ich bekomme ein Drehbuch als einer der ers­ten zu lesen. Dann überlege ich zusammen mit der Regis­seur*in oder den Szenenbildner*innen: Welche Locations könnten passen? Ich mache gleich Vorschläge oder recherchiere: So könnte die Hauptfigur wohnen, das könnte die Straße sein. Im Drehbuch steht meistens nicht: »Peter radelt über die Mülheimer Brücke und fällt in den Rhein.« Man muss sich schon überlegen, welche Brücke be­son­ders geeignet ist, um von ihr in den Fluss zu fallen. Oft greife ich auf Orte zurück, die ich mal fotografiert habe.

Es sind auch pragmatische ­Überlegungen. Brücken über den Rhein sind für Drehs zum Beispiel schwierig, wegen des starken Schiffsverkehrs. Außerdem: Wer sind die Ansprech­partner*innen? Wie teuer wird es?

Ziel ist es, dass alle Orte feststehen, bevor der Film gedreht wird. Wegen Corona wurde im  Jahr einiges kurzfristig abgesagt, wenn überhaupt gedreht wurde. Da musste etwa eine neue Kirche her, weil die Gemeinde dachte: »O Gott, das ist uns zu heikel, hundert Leute in einer Kirche mit 400 Plätzen.«

Für Locationscouts ist Erfahrung viel wert. Es ist kein Ausbildungsberuf. Aber vor zehn Jahren wurde der Bundesverband Locationscouts gegründet, damit nicht alle nur allein vor sich hin werkeln. In diesem Rahmen haben wir auch schon eine Fortbildung für junge Filmschaffende angeboten. Eine umfangreiche theoretische Ausbildung und danach einen Praxisteil, um Essentials und damit auch Jobs zu vermitteln. Fachkräftemangel ist ein riesiges Thema beim Film. Von 16 Leuten, die an der Fortbildung teilgenommen haben, sind zwölf im Job gelandet. Deutschlandweit sind wir rund 80 Kolleg*innen, von denen 60 im Verband organisiert sind.

2020 hat mir eine weitere Erfahrung beschert: Nach dem traditionell ruhigeren Winter wartete ich auf die Joban­gebote fürs Frühjahr. Normalerweise starten die meisten Produktionen ab April und Mai, wenn das Wetter bestän­diger und die Tage länger sind. Bald aber wurde mein erstes Projekt auf den Herbst verschoben. Inzwischen aufs Frühjahr 2021.

Film hat einen langen Vorlauf, und der ist teuer. Den willst du nicht plötzlich stoppen. Im März sind trotzdem zahlreiche Produktionen abrupt abgeblasen worden. Das hat die Branche besonders hart getroffen. Einige haben Soforthilfe beantragt, andere Kurzarbeitergeld bezogen. Das ist ungewöhnlich im Filmbereich, aber da hat man sich recht schnell arrangiert. Klar, es sind auch Existenzängste aufgekommen. Allerdings sind wir vom Film es gewohnt, zu improvisieren und unter den kuriosesten Gegebenheiten Dinge möglich zu machen. Also haben sich rund 120 Kolleg*innen aus verschiedenen Gewerken unter dem Dach eines Filmdienstleisters aus Rösrath zusammen­geschlossen und gemeinsam überlegt: Wie könnte ein Filmdreh in der Pandemie funktionieren?

Herausgekommen ist ein 400 Seiten starker Maßnahmenkatalog. Nach und nach haben wir die Vorschläge in gesetzeskonforme Rahmen gepackt, Vorschriften der Berufs­genossenschaften integriert und Handlungsan­weisungen verfeinert. Das war eine ganz tolle, spontane Initiative!

Aber keiner weiß, wann und wie es in diesem Jahr mit Produktionen weitergeht. In der Regel dauert es zwei Jahre, bis ein Film nach dem Dreh ins Kino kommt. Was auch bedeutet, dass einige fertige Filme, an denen ich beteiligt war, aufgrund der geschlossenen Kinos und ab­gesagten Festivals nicht gezeigt werden können. Man fragt sich, welche Produktionsfirmen, Verleihe und Kinos das durchhalten.

Ich bin nicht immer glücklich mit meinem Job — wer ist das schon? Aber berufliche Veränderungen habe ich bisher so erlebt: Ich werde ein wenig unzufrieden, mache mir verstärkt Gedanken und gucke mir bestimmte Sachen genauer an, bis sich mit der Zeit ein Bild zusammenfügt: »Das will ich machen!« Im Moment sieht es so aus, dass ich mich weiterhin intensiv im Bundesverband Locationscouts engagieren möchte. So haben wir auch die »Initiative Zukunft Location« ins Leben gerufen, um unseren Teil dazu beizutragen, dass die Filmbranche bald wieder tolle Filme produzieren kann: Wir freuen uns über jedes neue Locationangebot!

Protokoll: Wolfgang Frömberg

Rüdiger Jordan

Jahrgang 1969, hat in Bochum ­Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert. Als Locationscout war er unter anderem an der Produktion von Andreas Dresens »Gundermann« und Burhan Quarbanis »Berlin Alexanderplatz« beteiligt. Er lebt in Köln-Mülheim.

bvlocation.de