Erschöpfende Parodie
67 Zuschauer*innen drängen sich vor einem virtuellen Fenster. Es ist eine ungefähre Zahl, die am oberen Bildschirmrand angezeigt wird, schließlich weiß man nicht, wie viele Menschen anderswo gerade gemeinsam vor dem Livestream sitzen. Und doch stiftet sie auf abstrakte Weise das Gefühl einer voyeuristischen Gemeinschaft. Durch unsere semipermeablen Bildschirme blicken wir wie heimliche Beobachter*innen in das völlig verkorkste Innenleben eines Hausprojektes.
Das Off-Theater TD Berlin hat sich Anke Stellings 2015 erschienenen Roman »Bodentiefe Fenster« vorgenommen. Es ist der Auftakt einer Programmreihe, die sich im Super-Wahljahr 2021 mit »vergangenen, aktuellen und zukünftigen Lebens- und Wohnformen« beschäftigen will. Stellings halb fiktive, halb autobiographische Abrechnung mit dem linksliberalen Öko-Milieu passt da gut: Zwischen Prekariat, Emanzipation und Kinderladen ächzt ein Berliner Mehrgenerationenhaus unter den 68er-Idealen der früheren Elterngeneration. Mittendrin Romanfigur Sandra, benannt nach Christa Wolfs Version der berühmten Seherin.
Ihren inneren Monolog vertont auf der digitalen Bühne ein Trio in roten Mützen, ein geschichtsträchtiges Symbol des Kampfes für soziale Gleichheit. In kleinen Videokonferenz-Kästchen arbeiten sie sich am Mikrokosmos »Baugenossenschaft« ab, an den erschöpfenden Versuchen, Verantwortungen immer neu auszuhandeln, an der Mär von der Freiheit, die in einen fast pathologischen Zwang zur Selbstverwirklichung umgeschlagen ist. An Elternschaft, die will, dass ihre Kinder »gelingen«. Natürlich ist das, als bissige Parodie durchs virtuelle Fenster betrachtet, schrecklich amüsant. Viel mehr aber leider auch nicht.
Der Voyeurismus ist die Schaulust am fremden Leben, ein distanzierter Blick, der sich selbst genügt. Am TD Berlin ist es vor allem die Unschärfe der Figuren, die das Publikum in dieser komfortablen Distanzierung verharren lässt. Daran ändert sich auch nichts, als sich in der zweiten Hälfte das Fenster ins Haus einen Spalt öffnet: Die Zuschauer*innen sind aufgefordert, via Chatfunktion etwas ins Plenum zu rufen. Regisseur Georg Scharegg selbst gibt hier den dauermonologisierende Silberrücken, durch den die Gender-Dynamik, die Stelling in ihrem Buch thematisiert, endlich einmal aufblitzt. Aber da ist es schon zu spät. Man hat herzlich gelacht, sich womöglich sogar an ein Plenum im eigenen Wohnprojekt erinnert gefühlt — und ist dann doch weiter gegangen, vorbei an dem Haus, das bloß irgendwo in einer fremden Nachbarschaft liegt.
11.–13.3., 20 Uhr, td.berlin