Der Hase ist tot, es lebe die Kunst

Künstlerstar, Lehrer, Politiker, Aktivist: Joseph Beuys hat die Kunst des 20. Jahrhundert grundlegend verändert. Zum 100. Geburtstag wird sein Werk im Rheinland groß gefeiert

Am 18. Juli 1963 gab Joseph Beuys in der Kölner Galerie Zwirner seine erste Aktion mit Fett, und Fett sollte ein zentraler Stoff im Werk des damals 42-jährigen Künstlers werden. Zwei Jahre nach dem Kölner Auftritt erklärt Beuys — sein Kopf war mit Honig und Goldblättern bedeckt — in der Galerie Schmela in Düsseldorf einem toten Hasen Bilder. Buchstäblich, das tote Tier unterm Arm, die Besucher*innen ausgesperrt, das seltsame Geschehen durch die Galeriefenster beobachtend (Aktion »Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt«, 26.11.1965). Die legendäre Aktion ironisiert nicht nur das beliebte Ritual des »Kunst-Erklärens«, sie gilt auch als Höhepunkt seiner Entwicklung eines erweiterten Kunstbegriffs.

Die Aktionen von Joseph Beuys waren radikal — und er beherrschte die Kunst der Selbstdarstellung. Geradezu markenbewusst, in Filzhut und Anglerweste oder im übergroßen Mantel gewandet, war sein Auftreten markant und prägte das Outfit so mancher Künstler nach ihm. Vor allem erreichte er mit seinem Charisma eine internationale Öffentlichkeit weit über die Kunstwelt hinaus, spaltete diese sogleich geradezu lustvoll, denn für ihn war Provokation ein »Lebenselement« — stets als Energieschub verstanden im Dienste einer gerechteren Gesellschaft. Den einen war er ein Heilsbringer, der unermüdlich Basisdemokratie versprach, für den Scheitern kein Fehler, sondern eine bereichernde Erfahrung bedeutete. Andere hielten seine esoterisch gefärbten Aktionen für Spinnerei oder Scharlatanerie. Dazu mag auch jenes symbolträchtige Porträtfoto von dem märtyrerhaft sowie theatralisch posierenden Beuys mit blutender Nase beigetragen haben, die ihm ein aufgebrachter Student bei einer Aachener Veranstaltung 1964 verpasst hatte.

Neben handfesten Gerüchten von der rechten Gesinnung des ehemaligen Soldaten Beuys verwundert zudem, dass Professor Beuys, der zutiefst antikapitalistisch eingestellte Künstler und Mitbegründer der Grünen Partei, in seinem Bentley S1 (Baujahr 1956) zur Arbeit in die Kunstakademie Düsseldorf fuhr — jener Künstler, der 1982 auf der Documenta die spektakuläre Pflanzung von 7000 Bäumen gegen die Entrechtung von Bäumen und Tieren initiierte. Und dann die von Beuys verbreitete Erzählung über seinen Flugzeugabsturz im Zweiten Weltkrieg auf der Krim, nachdem ihn nomadisierende Tartaren durch Filz geheilt hätten. Inzwischen ist bekannt, dass Beuys direkt nach dem Unglück ins Lazarett gebracht wurde. Filz aber sollte ein zentrales künstlerisches Material in seiner Kunst bleiben, auch für etliche der monologisch-sakralen Aktionen in Fluxustradition.

Den jungen Künstler*innen heute, die zunehmend sowie notgedrungen auf Selbstvermarktung und Vernetzung setzen, könnte Beuys durchaus ein Vorbild sein: Er dachte konsequent partizipativ und war nicht nur seinen Student*innen ein verlässlicher Ratgeber — auch für seine Sammlerfreunde und Wegbegleiter, etwa die Familie van der Grinten vom Niederrhein, die ihn jahrelang auch finanziell unterstützte, denn er beriet sie beim Aufbau ihrer hochkarätigen Sammlung seiner Kunst.

Doch bei all den martktorientierten, zugleich etwas selbstgefällig-provokanten Auftritten von Joseph Beuys muss den jungen Künstlern wohl nicht gesagt werden, dass der am 12. Mai 1921 in Krefeld geborene Beuys sich all das leisten konnte: Er war einer der innovativsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Sein erweiterter Kunstbegriff setzte plastisches Gestalten mit dem Gestalten von Ideen sowie des gesamtgesellschaftlichen Gefüges gleich. Schon zu Lebzeiten des am 23. Januar 1986 in Düsseldorf verstorbenen Künstlers wurde seine Mutmacher-Devise »Jeder Mensch ist ein Künstler« nicht nur in Akademiekreisen populär wie missverstanden, sie hat inzwischen das kollektive Bewusstsein über die Kunstwelt hinaus durchdrungen, im Übrigen auch der augenzwinkernde Appell »Wer nicht denkt, fliegt raus!««.

Kein Wunder also, wenn sein hundertster Geburtstag in diesem Jahr bundesweit gefeiert wird. Naturgemäß am meisten mit rund 30 Veranstaltungen im Rheinland, wo das Wirken des Künstlers begann, dessen Kunst in den großen Museumssammlungen der Welt vertreten ist. In Köln bot die Galerie van der Grinten einen guten Start ins Jubiläumsjahr: mit den Fotodokumentationen von Michael Ruëtz sowie seinem Künstlerkollegen Peter Sevriens aus den 70er und 80er Jahren (»Im Dialog mit Joseph Beuys«). Sie vergegenwärtigen eindrücklich das Wirken des Künstlers als Lehrer, Performer und Arbeiter in der Kunst. Der schöne, verblüffend günstige Bildband mit  Michael Ruëtz’ Fotografien ist quasi das Geburtstagsgeschenk des Fotografen an Beuys (zu beziehen über  die Galerie van der Grinten).

In Düsseldorf, seiner Hauptwirkungsstätte, überschlagen sich in diesem Jahr die Veranstaltungen. Betitelt mit »Jeder Mensch ist ein Künstler« bietet das K20 derzeit eine Ausstellung zum kosmopolitischen Denken von Beuys und veranschaulicht den durch ihn erweiterten Werkbegriff. Den Dialog mit Beuys nehmen  hier zeitgenössische Künstler*innen in der Weise auf, als sie die Aktualität seines Kunstbegriffes befragen.

Zwischen dem Ruhrgebiet und dem Rheinland, nämlich zwischen dem Lehmbruckmuseum in Duisburg und der Bundeskunsthalle in Bonn, kommt es ab 26./27. Juni zu einer Ausstellungskooperation. Für den jungen Beuys war eine Skulptur des modernen Bildhauers Wilhelm Lehmbruck das Schlüsselerlebnis, weshalb das Duisburger Haus die Eigenheit der skulpturalen Bildsprache beider Künstler reflektiert. In Bonn rückt die Frage in den Fokus, welches revolutionäre Potenzial die Kunst in ihrem je­weiligen zeitlichen Kontext haben mag. »Joseph Beuys und die Schamanen« überschreibt sich ab 2. Mai eine Ausstellung im Museum Schloss Moyland, wo die erwähnten Sammler van der Grinten ihre Kunstschätze mit Werken von Joseph Beuys hüten. In Anlehnung an den spirituellen Raum Eurasien, mit dem Beuys den Kontrast von Vernunft und Intuition aufzulösen gedachte, widmet sich die ethno­logisch ausgerichtete Ausstellung dem historischen und zeitgenössischen Schamanismus, wovon Beuys je verschieden beeinflusst wurde.

Geerdeter manifestiert sich sein legendärer Werkbegriff in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach, wo ab 7. Mai »Leere Kisten als plastisches Thema bei Joseph Beuys« und zugleich die Entstehungsgeschichten dieses Multiples zur Anschauung gebracht werden. Zu bewundern etwa eine wandernde, gummierte oder gar mit Schwefel überzogene Kiste aus dem fraglos weiten Installationsrepertoire von Beuys.

Würde man den Blick ins Überregionale weiten, schiene das Beuys-Programm 2021 so endlos wie vielfältig. In Darmstadt wird ab 12. Mai unter dem Titel »Joseph Beuys verlängert im Auftrag von James Joyce den Ulysses um sechs weitere Kapitel« der literarisch interessierte Beuys erlebbar; in Stuttgart wird er als »Raumkurator« manifest — und damit die Schwierigkeit, Beuys Kunst nach seinem Tod überhaupt auszustellen. Viele der bis heute noch unbeantworteten Fragen, etwa wie weit sich nach Joseph Beuys der Kunstbegriff noch erweitern kann, mögen im Laufe des Beuysjahres die wesentlich in NRW organisierten Symposien, Ringvorlesungen sowie Podcasts beantworten.

 

Das gesamte Programm des Land NRW unter dem Titel »beuys 2021. 100 jahre joseph beuys.« unter: beuys2021.de

Auswahl:

»Jeder Mensch ist ein Künstler. Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys«, K21 Kunstsammlung des Landes Nordrheinwetfalen, Düsseldorf, bis 15.8.

»Beuys — Lehmbruck. Denken ist Plastik«, Bundeskunsthalle, Bonn, 25.6.-1.11.

»Lehmbruck — Beuys. Alles ist Skulptur«, Lehmbruck Museum, Duisburg, 26.6.–1.11.

»Joseph Beuys und die Schamanen«, Museum Schloss Moyland, Bedburg-Hau, 2.5.–29.8.

»Leere Kisten als plastisches Thema bei Joseph Beuys«, Villa Zanders, Bergisch-Gladbach, 7.5.–8.8.

»Der Katalysator. Joseph Beuys und Demokratie heute«, Museum Mors­broich, Leverkusen, 2.5.–29.8.

»Kunst = Mensch«, Kunstmuseen Krefeld. Kaiser Wilhelm Museum, bis 1.8.

»Joseph Beuys. Perpetual Motion«, Skulpturenpark Waldfrieden, Cragg Foundation, Wuppertal, bis 20.6.

Jan Bonny & Alex Wissel: »Jupp, watt hamwer jemaht?«, screening, Julia Stoschek Collection Düsseldorf, bis 19.12.