A Black Jesus
»Das soll mir mal einer erklären«, sagt jemand gleich zu Beginn des Films und bringt mit seiner sanft belustigten Skepsis das ganze Dilemma auf den Punkt: In der sizilianischen Kleinstadt Siculiana wird seit Generationen ein Kruzifix angebetet, das aus dunklem Holz gefertigt ist. Während die Bewohner also in opulenten Prozessionen einen schwarzen Jesus durch die Straßen tragen, sind sie aber zugleich ausgesprochen skeptisch gegenüber den schwarzen Männern, die übers Meer in ihre Stadt kommen. Regelmäßig gibt es Demonstrationen gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge; das Auffangzentrum, in dem auch Sprach- und Integrationsunterricht stattfindet, soll geschlossen werden. Die Lage entspannt sich daher nicht gerade, als ein junger Ghanaer beschließt: Bei der nächsten Heiligenfeier will er zu den ausgewählten Männern gehören, die das Kruzifix auf ihren Schultern tragen, um ein Zeichen zu setzen.
Der Vater des Regisseurs Luca Lucchesi selbst stammt aus Siculiana und womöglich hat ihm das einen Vertrauensvorschuss eingebracht — denn sein Dokumentarfilm ist nah dran an den Leuten: den tiefgläubigen Nonnas, die beim Backen in der Küche singen, dem Gemüsehändler, der sich Sorgen um die Zukunft seiner Kinder macht, beim Pfarrer und engagierten Sprachlehrern. Dabei setzt Lucchesi weniger auf Expert*innen-Interviews und Analysen als auf Alltagsbeobachtungen. In für Dokumentarfilme ungewöhnlichen Cinemascope-Bildern und atmosphärischen Drohnenaufnahmen durchstreift er Siculiana, immer zuerst auf der Suche nach den Gemeinsamkeiten: Da ist der Glaube, der die Sizilianer und die Flüchtlinge eigentlich miteinander verbinden sollte. Migrationserfahrungen, die auch in der italienischen Kultur eine große Rolle spielen. Doch je länger »A Black Jesus« läuft, desto häufiger zerschlagen sich Hoffnungen. Mehr und mehr verfestigt sich der Eindruck, dass Siculiana, obwohl seine Situation so absurd anmutet wie in einem Roman von Camus, nur einer von vielen Brennpunkten ist. Folge eines heruntergewirtschafteten Italiens, eines kaputtgesparten Sozialsystems, der vor allem im traditionell ärmeren Süden grassierenden Landflucht. Wenn Lucchesi versucht beide Seiten zusammenzubringen, etwa bei einem Stuhlkreis in der Schule oder einem Treffen mit dem Kirchenkomitee, wirken diese Versuche dementsprechend erzwungen. Aber das spricht gar nicht gegen »A Black Jesus«. Im Gegenteil: Lucchesi entlarvt mit seinem Film die Sinnlosigkeit reiner Symbolpolitik.
(dto)D 2020, R: Luca Lucchesi; 92 Min., filmwelt-digital.de
Sobald es möglich ist, wird der Film auch in den Kinos laufen.