Nippeser Rebellen
In der Nippeser Bezirksvertretung (BV) ist eine neue Ära angebrochen: Von 1975 bis zum vorigen Herbst stellte die SPD den Bezirksbürgermeister. Nun hat die Grüne Diana Siebert den Posten übernommen. Wie in vielen Kölner Bezirken hat ihre Partei bei den Wahlen im September deutlich Stimmen hinzugewonnen, auch in Nippes sind die Grünen stärkste Fraktion. Siebert hat ein ungewöhnliches Fünf-Parteien-Bündnis organisiert — ohne die Wahlverlierer SPD und CDU, die zusammen acht Jahre unter Bernd Schößler (SPD) die Politik im Bezirk bestimmten.
Sieberts Grünen-Fraktion kooperiert lieber mit vier Einzelvertretern ohne Fraktionsstatus: Linke, FDP, GUT und Klima Freunde. Auf acht Seiten hat sich das Bündnis politische Ziele gesteckt. Und auch auf einen respektvollen Umgang haben sich die Partner verpflichtet. »Das Wichtigste bei uns ist: Wir wollen keine Sachen hintenrum machen«, sagt Siebert. Das soll wohl auch heißen: CDU und SPD sollen sich keine Hoffnungen machen, das neue Bündnis spalten zu können.
Sieberts Truppe wirkt bei näherer Betrachtung homogen und harmonisch. Das liegt zunächst an einer großen inhaltlichen Nähe, konsequent ökologisch und links der Mitte, aber auch an der erfahrenen Politikerin an der Spitze und einem jungen FDP-Politiker. Marc Urmetzer wird übereinstimmend als »der Exot« im Bündnis geführt. Persönlich passe das sehr gut, versichern die Beteiligten. Die Distanz rührt wohl eher von den politischen Positionen, die Urmetzers Parteifreunde im Rat, auf Landes- und auf Bundesebene vertreten. »Ich freue mich, dass die FDP endlich mal mit dem Klimaschutz in Verbindung gebracht wird«, sagt Urmetzer über sein Engagement in Nippes. Außerdem habe er sich verantwortlich gefühlt, dem AfD-Vertreter »die Rolle des Königsmachers zu versagen«. Denn dessen Stimme hätte in anderen Konstellationen entscheidend sein können. Der angehende Glasermeister Urmetzer, der im Betrieb seiner Familie arbeitet, scheint im Bündnis derjenige zu sein, der sich am ehesten mit Kompromissen, die er den anderen abgerungen hat, profilieren können wird. Auch Urmetzer betont aber eine »konstruktive Atmosphäre«. Und es gelingt ihm, Gemeinsamkeiten glaubwürdig herauszustellen.
Die auffallend jungen Bezirksvertreter versprühen Aufbruchsstimmung. »Wir sind uns einig, dass sich etwas tun muss«, sagt Bela Schlieper, 19 Jahre alter Bezirksvertreter der Wählergruppe GUT und ansonsten Drummer in einer Metal-Band. Große soziale Unterschiede in der Stadt und der »gelb-braune« Grüngürtel: »Deshalb raufen wir uns zusammen«, sagt Schlieper und meint zum einen das Bündnis, aber zum anderen auch seine Generation. Es sei immer noch nicht selbstverständlich, dass junge Leute in der Politik vertreten seien. »Wir sind aber die, die am stärksten betroffen sind«, sagt Schlieper.
Entschlossen und uneitel wirkt das — ein Kontrast zum parteipolitischen Geplänkel, das bei den Zuschauern in den Bezirksrathäusern sonst oft für Augenrollen sorgt. Hat das neue Bündnis Bestand, dürfte Bürgermeisterin Diana Siebert daran großen Anteil haben. Parteifreunde attestieren ihr großes politisches Geschick und das Talent, Menschen zusammenzubringen. Die 63-jährige Historikerin wohnt mit ihrer Frau in Mauenheim und verortet die Ursprünge des eigenen Engagements in der Sponti-Bewegung der 70er Jahre. Bis 2015 war Siebert Geschäftsführerin der Kölner Grünen. In der Zeit habe sie nicht viel gestalten können, sagt sie. Das will sie offenbar nun nachholen. Auch ihr Parteifreund Horst Thelen, einer der wenigen Älteren, die in der BV aus der vorigen Wahlperiode übrig geblieben sind, freut sich. Er kann auf eine lange Karriere im Stadtrat zurückblicken. Zeitweise war Thelen dort schulpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er sagt, die Nippeser BV habe die vergangenen zehn Jahre schlicht verschlafen und nennt als Grund die »klimaschädliche und autofahrerfreundliche Politik« von SPD und CDU, die in dieser Zeit den Ton angegeben haben. Thelen beschreibt die Autofreie Siedlung und das Bürgerzentrum Altenberger Hof als große Errungenschaften aus der Zeit davor. Daran gelte es nach dem Stillstand anzuknüpfen. Die Wähler hätten schließlich »große Unzufriedenheit« geäußert.
CDU und SPD, letztere in komplett neuer Besetzung, schieben ihr schlechtes Abschneiden auf die bundesweit gestiegene Bedeutung der Umwelt-Themen, und sie beeilen sich zu versichern, dass sie die Ziele des neuen Bündnisses in vielerlei Hinsicht teilten. Doch ihr plötzliches Bekenntnis zur Verkehrswende klingt hohl. Ihr verbissener Kampf für die Verlängerung des Gürtels als Autostraße bis zur Mülheimer Brücke, die sie gar gegen das schwarz-grüne Ratsbündnis durchdrücken wollten, erinnerte eher an das Ideal der Autogerechten Stadt vergangener Zeiten.
Deshalb wundert es nicht, dass die neuen Nippeser Partner nun Pflöcke einschlagen wollen: Die Neusser Straße, florierende Einkaufsstraße im Herzen des Bezirks, ist dabei zentral. Nach mehr als zehn Jahren Planung gibt es zwar Entwürfe für eine Umgestaltung — aber keine verbindliche Beschlusslage. SPD und CDU schieben die Schuld der Verwaltung zu. Ihre Nachfolger sagen, Rot-Schwarz habe nicht genug Druck gemacht.
Die neue Mehrheit hat deshalb in den ersten Monaten die Verwaltung beauftragt, die Pläne komplett zu überarbeiten: mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer, keine eingestreuten Parkplätze mehr, höchstens Tempo 30. Die FDP hat durchgesetzt, dass mögliche Standorte für eine Quartiersgarage geprüft werden, um einen Ausgleich für die wegfallenden Parkplätze am Rand der Einkaufsstraße zu schaffen. Auch den Niehler Gürtel will man zeitgemäß ausbauen: Unter der Hochbahntrasse soll ein auto- und möglichst kreuzungsfreier Radweg angelegt werden. Auf dem bestehenden Gürtelabschnitt in Nippes will man eine Autospur dem Radverkehr zuschlagen.
SPD und CDU geht das alles viel zu weit, vor allem der Neustart für die Neusser Straße. Sie befürchten weitere Verzögerungen und warnen vor »radikalen Schritten«. Ein verkehrsberuhigter Bereich, der vor dem Brauhaus Em Golde Kappes entstehen soll, führe dazu, dass Hauseigentümer an den Umbaukosten beteiligt würden, so ihr Szenario. Auch Lieferverkehr und Buslinien müssten ausweichen, womöglich in Seitenstraßen. Die Verwaltung teilt derweil mit, dass eigentlich der Rat abschließend entscheiden müsse, zur Verwunderung aller Bezirksvertreter.
SPD-Bezirkspolitiker Henning Meier warnt davor, die Menschen aus dem Blick zu verlieren, die auf das Auto angewiesen seien. Er sorgt sich um den Zusammenhalt im Veedel. Auch Ex-Bezirksbürgermeister Bernd Schößler — er gehört der BV nicht mehr an — sieht den in Gefahr: »Es kann sich nicht alles um das Thema Verkehr drehen.« Ihnen wäre wohler mit einer schrittweisen Entwicklung. »Man muss doch realistisch bleiben«, sagt auch CDU-Vertreter Daniel Hanna. Nicht alles an den bestehenden Plänen für die Neusser Straße sei schlecht. Aber wenn der ambitionierte Ansatz des neuen Bündnisses zum Ziel führe, begrüße er das, sagt Hanna.
Der Unterschied zwischen alter und neuer Bezirkspolitik in Nippes ist deutlich. »Kommunalpolitik hat Kontinuität verdient«, mahnt Bernd Schößler. Das neue Bündnis sieht das anders. Man setzt konsequent auf Wandel.