Es rollt einfach nicht
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bereitete ihnen vor zwei Jahren mit einer Novelle der Straßenverkehrsordnung den Weg. E-Scooter sah er als moderne, umweltfreundliche Form der Mobilität. Heute liegen sie im Rhein. Wie Mitte Juni zuerst der WDR berichtete, sind Bautaucher am Grund des Flusses auf Hunderte E-Scooter gestoßen, aus deren Akkus teilweise Flüssigkeit austritt. Vermutlich wurden sie von den Brücken ins Wasser geworfen. Die Politik zeigte sich empört. Die Branchenvereinigung der Verleiher versprach, »die Scooter schnellstmöglich aus dem Rhein zu bergen«.
Es war das jüngste Kapitel einer dürftigen Zwei-Jahres-Bilanz der Leih-Elektroroller in Köln. Die ersten Scooter tauchten im Sommer 2019 auf. Im Mai dieses Jahres brachte mit Bolt aus Estland nun das siebte Unternehmen seine Roller aus. Insgesamt gibt es etwa 8000 Fahrzeuge in Köln. Die Scooter prägen vor allem in der Innenstadt das Bild. Auch dort, wo sie nicht fahren. »Das Abstellen der E-Roller irgendwo in der Landschaft, meistens auf dem Bürgersteig, ist ein Ärgernis«, sagt Martin Theisohn. Der Seniorenbeauftragte der Stadt spricht für viele Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Auch Behindertenverbände kritisieren die wildgeparkten Roller. Theisohn fordert »ordnungsgemäße Abstellplätze« für E-Scooter. Doch ausgewiesene Flächen gibt es nicht. Die Roller können, abgesehen von wenigen Verbotszonen in der Innenstadt, überall abgestellt werden. So sieht es das »Free Float«-Modell der Betreiber vor. Liegt eine Verkehrsbehinderung vor, kann ein Verwarngeld von 15 Euro fällig werden. Zudem hat die Stadt jeden Anbieter auf ein »Qualitäts-Agreement« verpflichtet. Die Anbieter müssen unter anderem für das korrekte Abstellen ihrer Fahrzeuge sorgen. Doch in der Praxis finden sich zahlreiche Scooter, die quer auf Gehwegen, in Parks oder auf Plätzen herumliegen.
»Ich kann nicht nachvollziehen, dass kommerzielle Unternehmen öffentlichen Raum nutzen, um auf Kosten der Allgemeinheit ihr Geschäft zu betreiben«Gunda Wienke, Die Linke
Gunda Wienke ärgert das. »Die Stadt könnte E-Scootern über eine Sondernutzung Flächen zuweisen«, sagt die Verkehrspolitikerin der Linken. Nach Berlin hatte im Juni auch Düsseldorf Abstellflächen für E-Scooter eingeführt. Wienke schlägt vor, Autoparkplätze umzuwidmen, auf denen Anbieter von E-Scootern ihre Fahrzeuge abstellen — gegen Gebühr. »Ich kann nicht nachvollziehen, dass kommerzielle Unternehmen öffentlichen Raum nutzen, um auf Kosten der Allgemeinheit ihr Geschäft zu betreiben«, sagt Wienke. »Der Gastronom muss zahlen, wenn er sein Geschäft auf dem Gehweg betreibt, und der Leihanbieter zahlt nichts?« Die Stadtverwaltung hatte im April eine neue Regelung zum Abstellen der Roller angekündigt.
Christian Beese, Sachkundiger Bürger für die FDP im Verkehrsausschuss, hat im Juni in einer Anfrage an die Verwaltung einen weiteren Punkt aus der Vereinbarung zwischen Stadt und Anbietern aufgegriffen: die Nutzungsdaten. Die Anbieter haben sich verpflichtet, der Stadt etwa mitzuteilen, wie lange eine durchschnittliche Fahrt dauert oder wo am häufigsten Fahrten begonnen oder beendet werden. »Mich interessiert, ob sich jemand ernsthaft mit diesen Daten beschäftigt«, sagt Beese. Die Bedeutung der E-Scooter für die Nahmobilität in Köln lasse sich nur einschätzen, wenn man die Daten auswerte. »Wenn man weiter denkt, kann es für eine Stadt interessant sein, eine Buslinie dort einzurichten, wo heute viele E-Scooter fahren«, sagt Beese.
Viele zweifeln grundsätzlich am Mobilitätswert der E-Scooter. Laut dem Interessensverband Shared Mobility sollen die E-Roller »in KFZ gefahrene Kilometer ersetzen«. Das ist auch das Ziel des Bundesverkehrsministeriums. Die Realität auf Kölner Straßen sieht anders aus. »Ich sehe den Wert für die Mobilität nicht. Dafür muss man sich ja nur anschauen, wer mit den Leihrollern durch die Stadt fährt. Das sind meistens Spaßfahrten!«, sagt Gunda Wienke von der Linken. »Wenn überhaupt, nehmen E-Scooter öffentlichen Verkehr oder Rad- und Fußverkehr weg, niemand steigt vom Auto auf den Roller um.« Die Datenlage für Deutschland ist weiterhin schlecht. Christian Beese von der FDP sieht Potenzial für die sogenannte Letzte Meile, etwa die Fahrt von der KVB-Haltestelle zur eigenen Haustür.
Dass die Scooter auch für Spazierfahrten genutzt werden, hat die Polizei bemerkt. »Es werden regelmäßig Verstöße von E-Scooter-Fahrenden festgestellt, vor allem abends und nachts vor arbeitsfreien Tagen«, sagt Werner Gross von der Kölner Polizei. Die registrierte vergangenes Jahr 45 Unfälle mit E-Scootern. Die Hälfte waren Alleinunfälle, die Dunkelziffer liegt wohl weitaus höher. Zudem beschäftigten die Polizei Ordnungswidrigkeiten und Straftaten: Fahrten zu zweit auf einem Roller, auf dem Gehweg oder unter Alkoholeinfluss. Viele Nutzer, erklärt Gross, seien sich nicht darüber im Klaren oder ignorierten bewusst, dass E-Scooter als Kraftfahrzeuge einzuordnen sind. Nun rückt ein weiterer Straftatbestand in den Fokus der Polizei: Sachbeschädigung von E-Scootern, die in den Rhein geschmissen werden.