Das rettende Ufer
Heiß ist es an diesem Sommertag, fast 30 Grad sind es auf den Poller Wiesen. Aus einem großen Kanister schenkt Jens Kuklik für seine Gäste Wasser in Tassen und setzt sich auf einen Klappstuhl vor seinem Wagen. Es ist ein alter, umgebauter Magirus-Laster: Küche, Schlafzimmer, Arbeitsplatz, alles auf ein paar Quadratmetern. Die Schaltzentrale des »atelier mobile«. Seit einigen Wochen steht Kuklik damit auf einem Platz am rechten Rheinufer, in unmittelbarer Nähe zur Südbrücke. Hier soll in den kommenden Sommermonaten ein neuer Spielort für Künstler*innen entstehen. Die Einzelteile für die große Bühne lässt Jens Kuklik derzeit von einer Schlosserei anfertigen.
»Die Bühne wird dann hier stehen«, sagt er und weist vom Stuhl aus auf eine Fläche, irgendwo auf der Wiese. Dort, wo von fern schon ein kleiner, dunkelbrauner Kasten leuchtet. Die Elektrik hat Jens Kuklik nämlich schon verlegt, unterirdisch, einmal quer vom Radweg zum Platz. Dass er, wie Kuklik von sich selbst sagt, ein Tagträumer sei, mag man ihm angesichts von so viel Pragmatismus nicht so recht abnehmen. Ständig klingelt sein Telefon, ein Lieferwagen rollt heran, der das Kompost-Klo leert. Und zwischendurch erklärt Jens Kuklik seine Pläne einem älteren Herrn, der an den Tisch kommt, um mal nachzufragen, was das hier eigentlich werden soll.
In Eigenregie hat Kuklik schon an mehreren Orten in der Stadt »temporäre Spielstätten« geschaffen, etwa in der Indianersiedlung in Zollstock oder an der Drehbrücke in Deutz. Den Platz in Poll hat Kuklik jetzt vom Schützenverein gepachtet, bis Ende September läuft sein Vertrag. Normalerweise steht hier das Hochwasser, zumindest zu Jahresbeginn. Doch um diese Zeit ist auf dem Platz vor allem grüne Wiese und ein asphaltierter Weg, der wie eine Ellipse verläuft. Aus seinen Unterlagen kramt Jens Kuklik einen Zettel, der eher wie eine Schatzkarte als wie ein Lageplan aussieht. Darauf sind skizzenhaft verzeichnete Skulpturen, Toilettenhäuschen, auch eine Ausgrabungsstelle.
Auch Kuklik selbst wird Ende August eine eigene Produktion auf dem Platz zeigen: »Fragments« heißt ihr Arbeitstitel. Es geht, kurz gesagt, um die »Starlink«-Satelliten von SpaceX, dem US-amerikanischen Raumfahrtunternehmen von Elon Musk, die als Perlenkette über den Nachthimmel ziehen und alles verändern werden. »Einer dieser Satelliten wird hier einschlagen«, sagt Jens Kuklik und deutet mit dem Finger auf den Lageplan vor sich. Ihm schwebt eine große Installation vor, auch ein Floß wird es geben, in Referenz auf das Gemälde des französischen Romantikers Théodore Géricault (1791–1824): Das »Floß der Medusa« als Sinnbild für eine Klimakatastrophe, auf die sich die Menschheit zubewegt, schon jetzt zulasten der Abgehängten und Prekären.
Auch Frederike Bohr ist an diesem Nachmittag zu Gast. Die Regisseurin ist seit 20 Jahren mit Jens Kuklik befreundet und wird im Juli und September hier ihr Stück »Von Mitläufern und Widerstand« zeigen. Es ist eine Hommage an den »Ton Steine Scherben«-Sänger Rio Reiser. »Ich lieb den einfach«, sagt Frederike Bohr, lacht und erzählt von einem Anruf bei Gert Möbius, dem Bruder des Musikers. »Ich musste ihm versprechen, dass ich die Originalzitate nicht im Sinne irgendeines Parteiprogramms nutze«, sagt Bohr. Denn ihr Stück ist eine Collage von Liedtexten, Tagebucheinträgen und Ausschnitten aus der Autobiographie von Rio Reiser. Eine Spurensuche zwischen den Worten, nach dem, was die Protestbewegung der 70er Jahre mit der von heute, der »Fridays for Future«-Bewegung, verbindet. »Macht kaputt, was euch kaputt macht.« Ist das jetzt noch aktuell?
Geprobt wird gerade noch auf der »Osterinsel«, einem Wagenplatz in Lindenthal. Aber schon bald wird die Gruppe umziehen. Die Feinheiten dazu klären Frederike Bohr und Jens Kuklik am Tisch vor dem Magirus-Wagen. Was ist, wenn es regnet? Wenn es für das Publikum auf dem Platz ohne Schatten zu heiß ist? »Ich glaub an die Menschen«, sagt Jens Kuklik lachend. »Die denken mit.« Für ihn zählt vor allem, dass die Nachbarschaft sich beteiligen kann und nicht durch Lärm gestört wird. Deswegen gibt es auf dem Platz viele »Silent Disco«-Formate, also Veranstaltungen, bei denen die Gäste Kopfhörer tragen. Und für Konzerte, etwa von dem Kindermusiker Bummelkasten (15.8.) oder für das Blue-Grass-Festival mit Kontrabass, Geige und Akkordeon im September, wird die Bühne so aufgebaut, dass sie nicht die umliegenden Häuser beschallt.
»Uns geht es ja nicht nur um die Kunst, sondern auch darum, diese freien Flächen in der Stadt wieder zu beleben«, sagt Kuklik. Mit der Stadt ist er im Gespräch über Förderungen, aber weil das Gelände privat verpachtet wurde, ist der Spielort weitestgehend unabhängig von städtischen Auflagen. Allein die Corona-Schutzregeln weiß Jens Kuklik geflissentlich zu befolgen. Er weiß genau, wie viele Quadratmeter ein einzelner Gast braucht, wie die Nachverfolgung geregelt wird. »Und ein frischer Wind«, sagt Jens Kuklik zum Schluss noch, »bläst hier in jedem Fall.«