Frustration und Aufbegehren: Belitzki

Krisenrock

Mit ihrem zweiten Album »In Kreisen« schlagen Belitzki der Depression ein Schnippchen

»Im Imbiss« heißt der Openers des zweiten Albums der Kölner Indiepunk-Formation Belitzki — und beim Hören bleibt einem erst mal die Spucke weg. Denn trotz des unspektakulären Titels entfaltet der Song eine Dynamik und eine Wucht, die einen schlichtweg überrollt. Es beginnt ganz dezent mit einem zurückhaltend nervösen Gitarrenlick, über das im Sprechsingsang eine Pärchensituation geschildert wird, die sich offenbar totgelaufen hat. Es folgt ein virtuoses, jazzig-flamencoartiges Gitarrenintermezzo, dann plötzlich rockt die Band im trocken achteligen Nullerjahre-Style à la Maximo Park nach vorne und die Stimme von Sänger Tom kippt vom Erzählton ins Inbrünstige. Die Nummer schaukelt sich dramatisch nach oben, das Schlagzeug bolzt mit aller Wucht, die Gitarren kreischen, die Stimme verzerrt, Grande Finale, Tusch und aus.

Uff — da bräuchte man erst mal eine Verdauungspause, doch Belitzki lassen sich nicht lumpen und bieten auch mit den folgenden zehn Songs einen wilden Ritt durch punkrockige, poppige und indieprogige Gefilde, bei dem kein Auge trocken bleibt. Dabei kombinieren sie auf clevere Weise Systemkritik mit Introspektion, Frustration mit Aufbegehren, Theatralik mit Melancholie. Doch wer ist diese Band eigentlich?

Benannt haben sich Belitzki nach dem Nachnamen von Schlagzeugerin Riccarda aka Krätz. Was ja schon mal eine coole Ansage ist, denn im Focus steht eher Sänger, Gitarrist und Hauptsongwriter Tom Brandt, der eine Zweitkarriere als Schauspieler verfolgt, bereits festes Ensemblemitglied am Schauspiel Köln gewesen ist und für Andreas Dresen in »Als wir träumten« vor der Kamera stand. Freda Ressel am Bass und Paul Klemm an der Gitarre vervollständigen das Quartett, das großen Wert auf den Kollektivgedanken legt. »Der Chef legt fest, wo das Kollektiv hingeht«, erklärt Paul lachend und berichtigt zugleich: »Das ist natürlich Quatsch. Wir kommen aus dem DIY, und das zieht sich durch alle Bereiche durch. Jede*r hat Sachen, die ihr/ihm liegen und hat da den Hut auf.« Und Freda ergänzt: »Tom kümmert sich vor allen um das Songwriting, Krätzi macht Bookingdinge und Finanzielles — und telefoniert gerne, immer praktisch — , ich kümmere mich um Promo, Social Media, Pressegedöns und anderen Orgakram. Pauli ist kapazitätenmäßig wegen Familie etwas eingeschränkter und vor allem für IT-Dinge der Ansprechpartner.« Auch kreativ betrachtet gibt es bei Belitzki laut Tom keine Alleingänge: »Ganz selten gibt es einzelne Parts, die auch für die anderen Instrumente schon festgelegt sind. Meistens überlegen sich aber alle ihren eigenen Weg in den Song, so dass es am Ende aus vier Köpfen kommt — und oft auch noch neue Ebenen kriegt.« Paul beschreibt es so: »In den meisten Fällen schreibt Tom die Songstrukturen. Freda und Krätzi machen, dass es ordentlich Energie bekommt und ich lege ein Schimmern drüber.«

Auf jeden Fall fällt auf, dass die Dinge im Vergleich zum ersten Album »Jetzt« musikalisch komplexer geworden sind und allgemein eine dunklere, weniger naive Grundstimmung herrscht. »Wir haben alle sehr viel Zeit investiert, um Ideen weiterzuentwickeln, auszuprobieren und so zu schauen, wie man das Album musikalisch gestalten möchte«, erklärt Tom, und Freda ergänzt, dass es bei ersten Album noch eher darum gegangen sei, das Ganze so einzufangen, wie es live klingt: »Jetzt haben wir uns viel mehr Spielereien gegönnt«. Textlich hat sich offenbar die allgemeine, aber auch die individuelle Krisenstimmung bemerkbar gemacht. »Da hat sich das Leben, also unter anderem Ängste, finanzielle Belastungen und Depressionen, mit denen wir seit dem letzten Album bei uns und unserem Umfeld konfrontiert waren, niedergeschlagen«, beschreibt es Tom, betont aber: »Auch wenn außer ›Steine‹, den Freda geschrieben hat, die Texte von mir stammen, sind es nicht immer nur meine Erlebnisse, die da hineinfließen. Wir haben außerdem versucht, bestimmte Themen und Motive auf dem Album immer wieder aufzugreifen und miteinander zu verweben.«

Trotz Krise und anhaltend schwieriger Zeiten für Kulturschaffende — für den Kölner Musikstandort haben Belitzki nur warme Worte übrig: »Im Gegensatz zu Berlin, Magdeburg und Braunschweig, wo ich lange aktiv war, und wo es entweder zu viele Musiker*innen und zu wenig Locations oder einfach insgesamt nicht so viel Interesse an Live-Musik gibt, besteht hier viel eher die Möglichkeit, selber etwas zu organisieren«, findet Krätzi. »Köln hat viel Freiheit, Offenheit und Motivation und vor allem viel Interesse,  auch an dem, was wir machen. Es ist sehr entspannt, es findet sich immer eine Möglichkeit, irgendwo ein Konzert zu spielen.«

Auf die abschließende Frage, weshalb man sich 2021 eigentlich noch als Gruppe in den Proberaum stellt und auf »echten« Instrumenten spielt, anstelle in Ableton coole Sounds zu frickeln, hat Paul eine entwaffnende Antwort: »Für mich ist es einfach das schönste Gefühl der Welt, in einem stickigen Raum mit Leuten zu stehen, die ich furchtbar gerne habe, und einen Song zu spielen. Ich glaube, diese Freude hört man der Musik auch an.« Quod erat demonstrandum.

Tonträger:
»In Kreisen« erscheint am 30.7. auf Disentertainment

Releasekonzert:
30.7. Niehler Freiheit (+ Señor Karōshi)

belitzki.bandcamp.com/album/jetzt