Am Rande der Selbstausbeutung
Vor einem Jahr startete »Alles Außer Alben« : ein Jahr voller EPs und Singles — und ein Versuch den Änderungen des Musikmarktes auf die Schliche zu kommen. »Warum locken alte und neue Kurzformate […] beiderseits des Play-Buttons Künstler:innen und Konsument:innen an?«, so fragte ich im Sommer 2020 an dieser Stelle. Zeit für ein Zwischenfazit.
Man darf gerne insistieren, ob es überhaupt gelungen ist, auch nur wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Ich verhandelte im letzten Jahr die Für und Wider digitaler Vermarktung, neue Distributionswege und den Charme der Formate jenseits der LP — und haben immer wieder Spotify gedisst — zu recht, dabei bleibe ich .
Gemeinsam mit Künstler:innen, Ladenbesitzer:innen und Labelmacher:innen wurde abermals versucht aufzuzeigen, wie sich das Veröffentlichungsverhalten der (Pop-)Musik-Branche verändert hat — und welche Fallstricke diese Entwicklung hat. Eine Frage, die bis dato dennoch zu kurz kam: Wer kann das alles noch vermarkten? Deswegen sprach ich nun mit einer Person aus der Musik-Promotion, die lieber anonym bleiben möchte. »Verantwortlich [für den Anstieg der Kurzformats-Veröffentlichungen] sind die Streamingdienste, für die das einzelne Stück die ›harte Währung‹ ist, und die Künstler:innen gerne dazu auffordern, Musik wie am Fließband zu schreiben, damit der stete Musikzufluss gewährleistet wird«, bestätigt der Promoter den Eindruck, den ich schon hatte. Da könnte man sich glatt freuen: Heißt mehr Musik nicht gleich auch mehr gute Musik?
Skalieren lässt sich das kaum, jedenfalls nicht objektiv. Ganz im Gegenteil, wir haben etwa am Beispiel des Bandcamp Fridays vor einigen Monaten aufzeigen können (oder müssen), dass es immer schwerer wird, von Musik zu leben. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob man seine Platten überhaupt noch angemessen vermarkten kann: Die Platten, die man nicht kennt, kann man auch nicht hören.
»Diese Kurzformen wie EPs und Singles sorgen für eine immer weiter anwachsende Informationsschwemme, die aus allen Richtungen auf die Redaktionen in immer dichterer Taktung einprasselt und die Lenkung der Aufmerksamkeit auf ein Gesamtwerk noch schwieriger macht, als das sowieso schon der Fall war. Die Information wird flüchtiger und gerät schneller in Vergessenheit«, klingt das aus den Reihen der Promotion schon recht resigniert. Am härtesten trifft es derweil jene Labels und Künstler:innen, die als »Ich-AG« und meist am Rande der totalen Selbstausbeutung auch die Vermarktung eigenhändig betreiben. Denn diese können gar nicht erst auf professionelle Strukturen zurückgreifen. »Dazu kommt, dass viele Printmedien auf ganz klassische Weise Alben besprechen, aber keine EPs und Singles; es gibt bei ihnen vielleicht eine kleine Ecke im Magazin, aber diese kann die Vielfalt des Angebots alles andere als abbilden.« Wie halten es also die Online-Angebote, die Print-Magazine und die Feuilletons der Tageszeitungen? Interviews und Features, so unsere Quelle, gebe es meist auf der Basis einer guten »Geschichte«, Kurzformate zeigen sich dafür meist ungeeignet.
So manches Online-Medium nutzt die Misere derweil kreativ. Das Prinzip heißt »Pay 2 Play«, und eine Track-Premiere, die allenfalls kostengünstig ausgespielt wird bei Social Media und der klickträchtigen Soundcloud-Seite, schlägt schnell mal mit 20 bis 70 Euro ins Kontor. Wer will es ihnen verübeln? Auch bei den hiesigen DIY-Magazinen und -Radiostationen wird am Existenzminimum entlang gearbeitet. Das Muster wird derweil klar: Wer es sich leisten kann, steckt halt genügend Geld in verschiedene Media-Outputs — und in die Vermarktung via Streamin-Plattform-Playlist. Der Rest kann schauen, wo er einen der rar gesäten Spots ergattert — per Zufall oder weil man im Zweifel noch ein wenig mehr Selbstausbeutung betreibt als »die Konkurrenz«. Der Unterbietungswettbewerb steht jedermensch offen.
Merke gerade, dass das alles sehr pessimistisch klingt. Ganz so schlimm hat sich das letzte Jahr, abgesehen von einer weltweiten Pandemie und dem Zusammenbruch der Live-Kultur, eigentlich gar nicht dargestellt. Dennoch unumwunden: Die Situation ist für ganz viele Musikschaffende mindestens unbefriedigend und nur mit einer gewissen Mischung aus Selbsttäuschung, Enthusiasmus für die Sache und der finanziellen Absicherung durch einen Zweit- und Drittjob noch stemmbar. Aber: Abhalten lässt man sich ja trotzdem nicht.
Nur, wie lässt sich die Situation noch verbessern? Das ist ganz sicher Stoff für Diskussionen über »responsible consumption« im Musikbereich — also mit Kaufentscheidungen Indies stützen und nicht den Big Playern noch mehr Kohle zuschaufeln. Was in der Kleidungindustrie schon lange unter verschiedenen Schlagworten, wie etwa »Slow Fashion«, verhandelt wird, könnte bald auch immer mehr Platz in unseren Gefilden einnehmen.
Das ist aber nur ein Aspekt, der auch künftig an dieser Stelle beleuchtet wird. Oder man schafft gleich den Kapitalismus und Geld ab — aber das ist nur die Meinung des Autoren dieser Zeilen.