Leere Wohnungen als Geldquelle
Lindenthal, Mayener Straße 14. Ein gepflegt wirkendes Wohnhaus in bester Lage. Hellbraune Fassade, drei Etagen und Dachgeschoss. Nur zwei von acht Klingelschildern tragen die Namen von Mietparteien. Sechs Wohnungen stehen offenbar leer. »Eine Frechheit«, sagt eine Nachbarin. Sie wohne seit 2011 hier. »Schon damals war das Haus größtenteils unbewohnt«, sagt die 36-Jährige. Die Stadt Köln wisse davon. »Die haben bei mir geklingelt und mich befragt.« Das sei vor etwa zwei Jahren gewesen. Katja Reuter, Pressesprecherin der Stadt Köln, erklärt auf Anfrage: »Es wurden bereits Zwangs- und Bußgelder gegen die Verfügungsberechtigte festgesetzt.« Doch die Bußgelder zeigten keine Wirkung. »Es wird nunmehr geprüft, ob und welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden können, um eine Wiederzuführung zu Wohnzwecken zu erreichen«, so Reuter am 14. April.
Wohnraum ohne Grund länger als drei Monate leer stehen zu lassen, ist in Köln untersagt. Es handelt sich um »Zweckentfremdung«. So die Wohnraumschutzsatzung, die 2014 vom Rat der Stadt verabschiedet und 2019 erneuert wurde. Wer gegen die Wohnraumschutzsatzung verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einer Geldbuße von »bis zu 50.000 Euro je Wohneinheit« belegt werden. Kommunen in NRW dürfen derartige Satzungen erlassen. Ermöglicht wird dies durch das »Wohnungsaufsichtsgesetz« des Landes, das 2014 in Kraft getreten ist.
Etliche Eigentümer*innen können offenbar ohne weiteres auf Mieteinnahmen verzichten. Warum? Weil Wohn-Immobilien in wachsenden Großstädten mitunter als Wertspeicher betrachtet werden. Wohnungen und Häuser steigen im Preis, Jahr für Jahr. Denn Boden ist knapp, und die Nachfrage nach Wohnungen nimmt zu. »Mittelfristige Veräußerungsgewinne stehen in Aussicht«, erläutert Branchenexperte Kai Schönbach, Leiter der Stabsstelle Mieterschutz Frankfurt am Main. Und das sei »spannender« als eine aufwendige Vermietpraxis. Hinzu komme: Leer stehende Immobilien erzielen in der Regel höhere Verkaufserlöse. Weil der neue Besitzer dann schalten und walten könne, ohne sich mit Mietern herumzuschlagen, berichten Fachleute wie Schönbach. Entsprechend lautet die Verkaufsanzeige einer Hannoveraner Immobilienfirma im Dezember 2020: »Gründerzeithaus mit 17 Einheiten (strategischer Leerstand). Das Objekt ist, bis auf vier Eigentumswohnungen, bereits vom Eigentümer entmietet worden.« Illegaler Leerstand entsteht auch, wenn das Haus einer Erbengemeinschaft gehört, die sich über die weitere Nutzung nicht einigen kann. Was ebenfalls vorkommt: Der Besitzer ist alt oder krank — und mit der Verwaltung eines Mehrfamilienhauses völlig überfordert.
Wie viel Leerstand gibt es in Köln? »Zurzeit bearbeitet die Wohnungsaufsicht Verdachtsfälle wegen Zweckentfremdung durch Leerstand bezüglich 1012 Wohneinheiten«, antwortet Pressesprecherin Katja Reuter. »Darüber hinaus wird es weiteren Leerstand geben, von denen das Amt für Wohnungswesen keine Kenntnis hat.« Die Stadt werde kontaktiert, »wenn Nachbarn feststellen, dass Wohnungen, ganze Häuser über Jahre leer stehen. Das ist unsere Informationsquelle«, erklärt Josef Ludwig, Leiter des Wohnungsamtes.
Wir bitten das Amtsgericht Köln um Auskunft, wer im Grundbuch als Eigentümer der Mayener Straße 14 eingetragen ist — und damit Verantwortung für den Leerstand trägt. Die Eigentümerin heißt Annemarie W., laut Grundbuch wohnt sie in Köln, Bonner Straße 532. Auf unsere schriftliche Anfrage kommt keine Antwort. Wir fahren hin — und stellen fest: Das Haus Bonner Straße 532 ist eine Ruine. Tür und Erdgeschoss-Fenster sind mit Holzplatten versperrt, der Vorgarten ist überwuchert. Hier wohnt seit Jahren niemand mehr. Also falsche Angaben im Grundbuch? »Es gibt keine Verpflichtung, die Anschrift im Grundbuch aktuell zu halten«, erfahren wir vom Amtsgericht Köln. Und wem gehört die Schrott-Immobilie Bonner Straße 532 laut Grundbuch? Auch hier ist es Annemarie W.
Die Stadtrevue recherchierte zu 25 Immobilien in Köln, die nach unseren Informationen ganz oder teilweise leer stehen — von der Villa in Marienburg mit eigenem Wikipedia-Eintrag bis zum schlichten Backsteinhaus in Niehl, vom Eckhaus in Sülz bis zur ehemaligen Metzgerei mit Wohnungen in Porz-Wahn. Ist die Stadt über den Leerstand informiert? Wenn ja, was hat das Amt für Wohnungswesen bislang unternommen?
Wir erfahren: Mit 20 Häusern habe sich die Stadt bereits beschäftigt. Bei fünf Immobilien räumt Pressesprecherin Katja Reuter ein: »Das Objekt ist der Wohnungsaufsicht bisher nicht bekannt.« Ein »Ermittlungsverfahren« werde eingeleitet. Das bezieht sich auf eine denkmalgeschützte Villa in Nippes, ein ehemaliges Hotel mit Wohnungen in Holweide sowie Wohnhäuser in Holweide, Rondorf und Niehl. Über die Leerstände in Rondorf und Niehl hatte der Kölner Stadt-Anzeiger bereits vor Monaten berichtet — das ging am Wohnungsamt offenbar vorbei.
Bei fünf Immobilien lautet die Auskunft der Stadt: Das Haus — oder einzelne Wohnungen darin — solle umgebaut oder saniert werden, man begleite das Verfahren. Demnach handelt es sich nicht um Zweckentfremdung. Dies gilt für Objekte in Worringen, Ehrenfeld, Niehl und Sülz. Eine ehemalige Metzgerei in Porz-Wahn solle »bis Frühjahr 2022« abgerissen werden. »Danach wird an selber Stelle ein Neubau mit 19 Wohneinheiten errichtet.« Auch dieser Leerstand ist also legal. Überprüft werden zurzeit vier der von uns genannten Immobilien in Marienburg, Niehl, Klettenberg und Nippes. In vier weiteren Fällen kündigt die Stadt an, gegen die Eigentümer vorzugehen.
Zurück zu Annemarie W. — jemand kann uns ihre Telefonnummer geben. Eine offenbar ältere Frau nimmt den Anruf entgegen. »In der Mayener Straße gehört mir nur noch ein Teil«, sagt sie. Drei Wohnungen habe sie verkauft. Warum dort niemand anzutreffen sei? »Das sind Ärzte, die für eine große Organisation im Ausland arbeiten.«
Wir haben Zweifel. Auch das Wohnungsamt erklärt auf Anfrage, dass man vom Eigentümerwechsel einzelner Wohnungen nichts wisse. Und die Ruine in der Bonner Straße 532? »Ich habe das Haus verkauft«, sagt Annemarie W. Aber im Grundbuch stehe doch ihr Name. »Die Käufer möchten noch nicht an die Öffentlichkeit«, gibt sie zur Antwort. Was zunächst als Leerstand erscheint, entpuppt sich zuweilen als, sagen wir, opulente Wohnform. Dies erfuhr die SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Lindenthal.
Sie hatte im Juni 2019 angefragt, ob die Stadt über die Leerstände in der Siebengebirgsallee 120 und 122 informiert sei. Antwort des Wohnungsamtes: Der Eigentümer sei in der Siebengebirgsallee 120 gemeldet. »Nach eigener Aussage bewohnt er beide Objekte, die miteinander verbunden sind.« Dies stelle keinen Verstoß gegen die Wohnraumschutzsatzung dar.
Die Stadt hat auch keine Handhabe, wenn ein Raum »vor Inkrafttreten dieser Satzung und seitdem ohne Unterbrechung anderen als Wohnzwecken diente«. So steht es in der Wohnraumschutzsatzung. Weist die Hausbesitzerin nach, dass die ungenutzten Räume bereits 2014 Hotelzimmer oder Abstellräume waren, kann sie nicht belangt werden. Dies gilt laut Presseamt für ein Haus in Porz-Zündorf und in der Engelbertstraße in der Innenstadt.
Ähnlich der Fall in der Hansemannstraße 49. Ein schmuckes Eckgebäude in gutem Zustand, wenige Schritte vom Bahnhof Ehrenfeld entfernt. Im Erdgeschoss befindet sich ein Eiscafé. Darüber zwei Etagen plus Dachgeschoss — sämtliche Räume stehen offensichtlich leer. 2010 sei zunächst eine Wohnnutzung vorgesehen gewesen, teilt die Stadt mit. Während der Bauphase habe sich das Konzept geändert — »mit der Folge, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung keine Wohnnutzung aufgenommen wurde«. Man plane, das Haus spätestens ab Anfang 2022 für »Beherbergungszwecke« zu nutzen.
Vermietet werde zum Beispiel an Monteure, mal für drei Tage, mal für sechs Monate. Das erklärt der in Gütersloh lebende Eigentümer auf Anfrage. In der Vergangenheit habe es viele technische Probleme gegeben, erläutert der Mann. Die Baugenehmigung liege nun vor, einige Umbauten seien noch zu erledigen.
Außen vor bleiben Immobilien auch, wenn der Leerstand quasi Bestandsschutz genießt. Wenn Haus oder Wohnung bereits vor Inkrafttreten der Satzung und seitdem ohne Unterbrechung leer standen. Dies gilt etwa für ein Gebäude an der Vogelsanger Straße. Das Haus wirkt heute reif für den Abbruch. Die Wohnraumschutzsatzung greift auch nicht bei Schrott-Immobilien wie an der Bonner Straße 532. Wenige Möglichkeiten, um einzugreifen, sieht die Stadt auch bei den drei Wohnblocks an der Friedrich-Engels-Straße in Sülz. Jeweils sechs Etagen hoch, mit Balkonen, zur Anlage gehören ein Tennisplatz und ein Veranstaltungssaal. Erbaut 1974/1975, wurden die rund 80 Wohnungen sowie Büroräume von der sowjetischen Handelsvertretung genutzt. Seit Jahren stehen sie leer. Eigentümer ist der russische Staat, zuständig sei die »Verwaltungsabteilung des Präsidenten«, erklärte die Stadt im September 2019 auf Anfrage der Linken. 2016 habe es eine Besichtigung gegeben. Die Häuser seien marode, es gebe Wasserschäden, Schwarzschimmel, Schadstoffbelastungen, ein undichtes Dach. Es handele sich deshalb nicht mehr um geschützten Wohnraum im Sinne der Satzung. Und was ist mit Anmietung oder Kauf? Die Stadt berichtete im September 2019 von »negativen Erfahrungen mit den Vertretern der Eigentümerin bezüglich einer zuverlässigen und konstruktiven Kommunikation«. Nötig seien »diplomatische Lösungsansätze«.
Kölner Wohnungsaktivist*innen geben sich damit nicht zufrieden. In der Nacht zum 27. März, dem bundesweiten »Housing Action Day«, besetzten sie kurzzeitig das Gebäude Friedrich-Engels-Straße 7. »Leerstand den Obdachlosen!« forderten sie auf einem Banner. Zwei Monate später, am 25. Mai, demonstrierten 30 Menschen vor der Russischen Botschaft in Berlin gegen den Verfall der Häuser an der Friedrich-Engels-Straße. »Ich möchte endlich eine Erklärung, warum die Gebäude so lange leer stehen«, erklärte der Initiator der Demo, der Kölner »Miet-Rebell« Kalle Gerigk. Noch stehe eine Antwort der Botschaft aus. Weitere Aktionen seien geplant, so Gerigk. Der Russischen Föderation gehört auch ein leerstehendes Mehrfamilienhaus in der Classen-Kappelmann-Straße 47 in Lindenthal. Auch hier lebten einst Angehörige der sowjetischen Handelsvertretung. Das Haus habe nie der Kölner Bevölkerung zu Wohnzwecken gedient. deshalb greife die Wohnraumschutzsatzung nicht, erklärt die Stadt Köln.
Um Leerstand zu beenden, setzt das Wohnungsamt vor allem auf »direkte Ansprache der Grundstückseigentümer*innen«, heißt es in einer Stellungnahme. Man biete »kostenneutrale Beratungen und Hilfestellungen in planungs- und bauordnungsrechtlichen Fragestellungen«. Entsprechend selten kommen Zwangsmittel zum Einsatz. »2020 wurden wegen Leerstandes drei Bußgeldverfahren bzgl. 9 Wohneinheiten eingeleitet«, schreibt Pressesprecherin Katja Reuter auf Anfrage. Ausgang offen. Im selben Jahr habe die Stadt 16 Bußgeldbescheide über zusammen 23.500 Euro erlassen — »wegen fehlender Mitwirkung der Beteiligten«. Wie viel davon gezahlt wird, stehe noch nicht fest, sagt Reuter und verweist auf Einsprüche und noch ausstehende Gerichtsverfahren.
Wie viele Frauen und Männer kümmern sich im Wohnungsamt um das Thema? Im Aufgabenbereich »Zweckentfremdung, Wohnungsaufsicht, Mietpreiskontrolle«, zuständig auch für illegale Ferienwohnungen, gab es 2019 insgesamt 16 Planstellen, inzwischen sind es 25. Damit schneidet Köln im Vergleich mit anderen Großstädten nicht schlecht ab. Berlin, fast viermal so groß, kommt auf 54 Planstellen. In Stuttgart sind es sieben, in Düsseldorf elf Stellen, in Frankfurt am Main keine — denn im schwarz-grün regierten Hessen gibt es kein Landesgesetz, das den Kommunen erlaubt, Leerstand zu bekämpfen.
Das schärfste Schwert im Kampf gegen Zweckentfremdung besitzen die Stadtstaaten Hamburg und Berlin: eine Art befristete Enteignung. Wenn alle anderen Maßnahmen nichts gebracht haben, können die Bezirksverwaltungen einen Treuhänder einsetzen, der ein leerstehendes Haus kauft, saniert und wieder vermietet. Die Kosten für die Sanierung streckt das Bezirksamt vor. Anschließend hat der Eigentümer die Möglichkeit, das Haus zurückzukaufen — wenn er alle Kosten erstattet. Doch zeigen Erfahrungen aus Hamburg und Berlin: Auch dieses Verfahren ist langwierig. Denn Immobilienfirmen und private Eigentümer*innen haben viele Möglichkeiten, vor Gericht zu ziehen und den Bezirksverwaltungen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Die NRW-Landesregierung hat inzwischen die Möglichkeiten der Kommunen erweitert. Am 16. Juni verabschiedete sie das »Wohnraumstärkungsgesetz«. Es sieht unter anderem ein höheres Bußgeld vor, bis zu 500.000 Euro pro Ordnungswidrigkeit. Vorübergehende Enteignungen nach Hamburger oder Berliner Modell ermöglicht das Gesetz jedoch nicht. »Von Enteignungen halte ich nichts«, erklärt auch Christine Seiger, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Kölner Stadtrat. Sie begrüßt, dass die Stadt eingreifen könne. Allerdings sei es für die Verwaltung »sehr aufwendig«, Vermieterinnen und Vermieter dazu zu bringen, gegen deren
Interesse Wohnraum erneut zu vermieten — »so dass nicht allen Fällen nachgegangen werden kann«. Christine Seiger plädiert dafür, Eigentümern von dauerhaft leerstehenden Immobilien von Seiten der Stadt nahezulegen, die Liegenschaft zu verkaufen.
Michael Frenzel, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Rat, urteilt: »Wir haben kein Regelungsdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.« Würde die Stadtverwaltung die vorhandenen Möglichkeiten konsequent anwenden, »wären wir im Kampf gegen die Zweckentfremdung deutlich weiter«. Im Stadtentwicklungsausschuss hätten Verwaltung, CDU, FDP und Grüne das Problem stets kleingeredet, sagt Frenzel. Die Stadtspitze kümmere sich »seit Jahren« viel zu wenig um die Wohnungsnot der sozial Benachteiligten.
Michael Weisenstein von der Linken hingegen plädiert für eine »vorübergehende treuhänderische Übernahme von Häusern« wie in Berlin und Hamburg. Mit Blick auf die Stadt Köln beklagt er »fehlendes Personal« und den fehlenden »politischen Willen«, sich mit Vermieterinnen und Vermietern auseinanderzusetzen. Weisenstein erinnert daran, dass die Stadt auf ihrer Webseite ein Formular anbietet, mit dem Bürgerinnen und Bürger eine vermutete Zweckentfremdung melden können. Dieses Formular sei kaum bekannt und solle »offensiver beworben werden«.
Auch Wohnungsaktivist Kalle Gerigk findet, dass Enteignungen nützliche Instrumente sein können. »Die Androhung, zu enteignen, würde ja reichen — dann kommt Bewegung rein«, ist sich Gerigk sicher. Die jetzige Wohnraumschutzsatzung lasse sich leicht unterlaufen. »Die tragen einen Farbeimer von links nach rechts. Mehr passiert nicht. Und schon fällt das Haus raus.« Denn Leerstand wegen Sanierungsarbeiten sei legal. Kalle Gerigk begrüßt, dass das neue NRW-Gesetz 500.000 Euro Bußgeld pro Fall ermöglicht. »Das ist ein starkes Signal.« Allerdings: Kölner Gerichte hätten in der Vergangenheit immer wieder entschieden, die von der Stadt verhängten Bußgelder deutlich zu senken. »Das muss anders werden — damit spekulieren sich nicht mehr lohnt.«