Vom Restaurant ins Testzentrum
Samstag, früher Abend am Brüsseler Platz: Straßen und Terrassen sind voll, das Wetter gut, im indonesischen Restaurant Bali herrscht Hochbetrieb. Aber es soll später wieder gewittern, und so muss jeder Gästegruppe ein Tisch drinnen und draußen zugewiesen werden — für alle Fälle. Während Varuni Siauw, Restaurantleiterin in dritter Generation, die Tischverteilung angeht, bringen die Kellnerinnen im Akkord Getränke nach draußen an die Tische vor der Kirche St. Michael. Ein Kraftakt — körperlich, organisatorisch, psychisch. »Vor Corona hatten wir ein festes Team, viele junge indonesische Studierende, aber auch Köche, die schon über 35 Jahre hier sind«, erzählt Siauw. »Jetzt haben wir nur noch einen Koch aus Bali. Vorher hatten wir zwei.« Deswegen bleibt das Restaurant nun dienstags vorerst geschlossen, sonst hätte der Koch eine Sieben-Tage-Woche. Einen neuen Koch zu finden, sei schwierig. »Spezialitätenköche dürfen höchstens vier Jahre in Deutschland bleiben. Man kann sie aus Indonesien holen, aber dann sind sie ans Restaurant gebunden«, so Siauw. »Lockdown ja? Lockdown nein? Jetzt vorauszuplanen, ist schwierig, aber auf Dauer brauchen wir einen neuen Koch.«
Im Service habe sich die Situation vor allem über den Winter verschlimmert. Zum Ende des Shutdowns im Mai musste Siauw ein neues Team zusammenstellen. »Ich habe jetzt viele junge Leute. Es gibt schon einige, die nach Jobs suchen, aber es war schwierig, gutes Personal zu finden. Bis ein Team funktioniert, dauert es zwei bis drei Monate. Anfangs war es sehr chaotisch, ich musste viele neu anlernen. Die, die wirklich Gastro-Erfahrung haben, sind woanders.« Wo die Fachkräfte wären? »Das frage ich mich auch. Einige meiner Bekannten arbeiten tatsächlich im Impfzentrum. Gastro ist halt Knochenarbeit, da haben sich viele anderweitig umgeschaut.«
Für einen Zehner die Stunde mache ich es nicht mehr Theresa Koch
Eine dieser Fachkräfte ist Theresa Koch. Schon während des Abiturs hat sie in einem familiengeführten Hotel bei Köln gearbeitet, danach eine dreijährige Ausbildung zur Hotelfachfrau im renommierten Schloss Bensberg absolviert, acht Monate im Drei-Sterne-Restaurant Vendôme. »Es war eine harte Schule«, sagt Koch. »Du musst es lieben, sonst tust du dir das nicht an. Du arbeitest immer, wenn Freunde und Familie frei haben, an den Feiertagen und am Wochenende.« Danach war sie zwei Jahre im Ausland; sie habe eine Auszeit gebraucht, sagt Koch. Als sie zurück nach Köln kam, fing sie im Restaurant des Museums Ludwig an, begann ein BWL-Studium. Dann kam die Pandemie und sie verlor ihren Job. »Als die Situation letzten Sommer wieder besser wurde, habe ich dann als Aushilfe in einem anderen Restaurant angefangen. Den Job habe ich dann aber auch wieder durch die Pandemie verloren. Den im Einzelhandel danach auch. Jetzt arbeite ich schon eine Weile in einem Testzentrum.«
Vorerst möchte Koch nicht mehr in der Gastronomie arbeiten. »Seit der Pandemie werden nur noch Aushilfen eingestellt. Aus Kostengründen, und damit man die Leute im Fall eines erneuten Lockdowns schnell wieder loswird«, sagt sie. »Wenn du die einzige Gelernte in einem Laden bist und sonst nur Aushilfen herumrennen, bekommst du irgendwann die Krise.« Falls sie noch mal in der Gastronomie arbeiten werde, habe sie sich geschworen: »Für einen Zehner die Stunde mache ich es nicht mehr. Dafür habe ich nicht drei Jahre die Ausbildung gemacht.« Vielleicht möchte Theresa Koch irgendwann mal selbst ein Restaurant aufmachen — die Liebe zur Gastronomie und den Menschen ist immer noch da. Im Moment tendiere sie aber eher zur Arbeit in einer Nicht-Regierungsorganisation nach dem Studium.
Auch der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga beklagt fehlende Perspektiven für die Branche. Um die Wahrnehmung, dass viele Betriebe Beschäftigte während der Shutdowns verloren hätten, zu untermauern, hat der Regionalverband Nordrhein-Westfalen im Juni 639 Gaststätten und Hotels befragt. 56,5 Prozent der Beschäftigten haben den teilnehmenden Unternehmen coronabedingt gekündigt, vor allem, um in anderen Branchen zu arbeiten. Ein gutes Viertel der Unternehmen musste sich selbst aufgrund der Pandemie von Personal trennen.
Varuni Siauw vom Bali wünscht sich, dass sie ihr neues Team über den Winter halten kann: »Wir müssen das Virus ernstnehmen, aber wir brauchen auch verlässliche Pläne für die Zukunft.« Nur so sei eine Perspektive für alle in der Gastronomie gesichert.