»Sollen wir unser Haus in der Mitte durchschneiden?«: Liane Szczesny und Bert Rondorf

Grenzwertig

Ausgerechnet wegen eines sozialen Bauprojekts könnten einige Zollstocker ihre Häuser verlieren

Liane Szczesny zeigt auf den Streifen, den sie auf den Boden ihrer Wohnküche geklebt hat. Er markiert eine Grenze, die mitten durch ihr Haus verläuft. Schlaf- und Wohnzimmer liegen auf dem Gebiet der als »Indianersiedlung« bekannten Siedlergenossenschaft am Kalscheurer Weg. Küche, Bad und Garten aber befinden sich auf städtischem Grund und Boden. Diese Zweiteilung war bislang nie ein Problem. Szczesny und ihr Mann Bert Rondorf zahlen sowohl Pacht an die Genossenschaft als auch eine monatliche Grundstücksmiete an die Stadt; das Haus selbst gehört ihnen. Bald aber könnte die Grenze den beiden zum Verhängnis werden.

Die Stadt Köln plant, ein rund 22.000 Quadratmeter großes Grundstück zwischen Indianersiedlung und Südfriedhof in Erbpacht an die Mietergenossenschaft Kalscheurer Weg zu vergeben, damit diese dort 110 Sozialwohnungen und eine Kita errichten kann. Die »Integrative Quartiersentwicklung am Kalscheurer Weg« soll eine Wende in der Grundstückspolitik der Stadt markieren. Das Grundstück wurde nicht an den Meistbietenden verkauft, sondern im Rahmen einer sogenannten Direktvergabe an die Genossenschaft vergeben. Sie erhält ein Erbbaurecht mit einer Laufzeit von 99 Jahren. Als »deutschlandweit einmalig« bezeichnete der damalige Vorsitzende des Liegenschaftsausschusses, Jörg Frank (Grüne), das Projekt vor einem Jahr.

Das Bauprojekt gilt als »deutschlandweit einmalig«, jetzt führt es zu Konflikten

Ein paar kleine Flächenanteile kann die Stadt allerdings nicht im Erbbaurecht vergeben, weil sie bereits bebaut sind — zum Beispiel mit dem Haus von Liane Szczesny und Bert Rondorf. Die Häuser auf diesen »Inselgrundstücken« seien ursprünglich Schwarzbauten gewesen, die ein früherer Bewohner der Indianersiedlung vor vielen Jahren ohne Rücksicht auf etwaige Grundstücksgrenzen auf die Wiese gesetzt habe, sagt Georg Brombach. Brombach ist sowohl langjähriger Vorstand der Siedlergenossenschaft, also der Eigentümerin des Geländes der Indianersiedlung, als auch der 2017 eigens für das neue Bauprojekt gegründeten Mietergenossenschaft. Diese kauft nun die Inselgrundstücke von der Stadt, statt sie in Erbpacht zu übernehmen.

Der kombinierte Erbpacht- und Kaufvertrag liege bereits beim Notar, so Brombach. »Es hakt nur noch an technischen Details bei der Finanzierung.« Sobald der Vertrag in Kraft tritt, übernimmt die Mietergenossenschaft auch die bestehenden Mietverträge des Ehepaars Szczesny/Rondorf und anderen Bewohnern des Inselgrundstücks. In ihnen ist eine dreimonatige Kündigungsfrist festgelegt — und das »Entfernen der Aufbauten« auf Kosten der Mieter bei Vertragsende.

In einer E-Mail vom 18. August, die der Stadtrevue vorliegt, hat ein Vorstandskollege Brombachs Bert Rondorf bereits angekündigt, den Vertrag kündigen zu wollen. Dies stehe zwar nicht unmittelbar bevor. Doch sobald es baurechtlich möglich sei, wolle man das Grundstück mit weiteren Sozialwohnungen bebauen. Liane Szczesny ist alarmiert. »Wie soll das gehen? Sollen wir unser Haus in der Mitte durchschneiden?« Weil sie und ihr Mann schon seit längerem mit dem Vorstand zerstritten sind, würden sie ihr Haus am liebsten verkaufen und anderswo neu anfangen. Doch der Vorstand will keinen neuen Mietvertrag mit einem Nachfolger abschließen und auch keinem Untermietvertrag zustimmen. »Die Siedler- und die Mietergenossenschaft haben sich in ihrer Satzung zu sicherer und sozial verantwortbarer Wohnungsversorgung bekannt. Wir aber sollen aus unserem Haus vertrieben werden«, so Szczesny. Selbst die Möglichkeit, ihr Haus zu verkaufen, werde ihr verwehrt.

Brombach gibt zu, dass die Situation für die Familie unglücklich sei. Dennoch halte er an dem Plan fest, das Grundstück zu bebauen. »Dort können weitere zwölf bis fünfzehn Sozialwohnungen entstehen.« Außerdem müsse die Genossenschaft an die Finanzierung denken. »Wir müssen der Stadt allein 760.000 Euro für das Inselgrundstück zahlen.« In die Quartiersentwicklung habe man bereits 850.000 Euro an Planungskosten gesteckt. Brombach verweist auf steigende Materialpreise und die schwierigen Verhandlungen mit den Banken. »Wir schaffen hier aus Überzeugung Sozialwohnungen mit einer Mietpreisbindung von 50 Jahren.« Das sei die Geschichte, über die man berichten solle — und nicht, dass einzelne womöglich ihr Haus nicht verkaufen können.

»Der Vorstand bekommt so viel Gegenwind und gibt trotzdem nicht auf. Das finde ich bewundernswert«, sagt Sabine Pakulat (Grüne), Vorsitzende im Stadtentwicklungsausschuss. Aktuell sieht sie keinen Grund zur Beunruhigung. »Das Grundstück kann erst bebaut werden, wenn der Rest der Siedlung steht.« Der Vorstand selbst rechnet damit, dass dies mindestens vier bis fünf, möglicherweise auch zehn Jahre dauert. Wenn es nach Pakulat ginge, dann würden dort künftig allerdings weder Sozialwohnungen noch die jetzigen Häuser stehen. »Aus Sicht der Stadtentwicklung wäre dort auch eine Freifläche denkbar.«