Vielleicht ein Zeichen der Zeit
Seit ihrem Album »All Mirrors« (2019) hat sich mein Interesse an Angel Olsen erheblich verringert. Nach den formidablen Alben »Burn Your Fire For No Witness« und »My Woman« ging die Indie-Musikerin mit heftiger Schlagseite Richtung Folk hier in eine Phase der Soundfindung über, die sich durch den manchmal beliebig wirkenden Einsatz von Synthesizern auszeichnete. Es folgte im August 2020 »Whole New Mess«, das durch seine Demo- und LoFi-Sound dann doch wieder überzeugt hat: Olsen steht dieses gewisse Maß an Angreifbarkeit und Flüchtigkeit einfach verdammt gut; nicht erst bekannt seit ihren Kooperationen mit Will Oldham und Steve Gunn.
Vielleicht gelingt ihr mit ihrer jüngsten EP »Aisles« ein wichtiger Schritt um das eine, Disparatheit, mit dem anderen, Synthesizer-Hi-Fi-Sound, zu versöhnen. Die titelgebenden »Aisles« sind Supermarkt-Reihen bzw. -Inseln, und alle fünf Lieder sind solide Klassiker im Kaufhaus-Radio. Diese Cover-EP wirkt dennoch nie wohlfeil, da Olsen die Einsamkeit des Nicht-Ortes Supermarkt mit der endlosen Entsozialisierung während Lockdown 1, Lockdown Reloaded etc. pp. verschränkt. Der Auftakt mit Laura Brennigans »Gloria« überrascht besonders dann, wenn man unvorbereitet an dieses Experiment herangeht. Hier ein wenig Hauntologie-Sound, dazu noch SlowMo-Fun und fertig ist eine fast schon Grufti-Version der Disco-Nummer. »Forever Young« ist sowieso unschlagbar, »Safety Dance« hätte man sich vielleicht sparen können. Dennoch: Gerade bei Billy Idols »Eyes Without A Face« ist Angel Olsen so sehr bei sich, dass es fast schmerzt.
Nicht richtig seinen Sound finden — davon kann nicht zuletzt Yves Tumor ein Lied singen. Der ehedem als T.E.A.M.S. in Erscheinung getretene Sean Bowie hat sich in den letzten Jahren von Footwork über Chillwave-Dream-R’n’B hin zum elektronischen Avantgardisten gemausert, dem sogar ein eigenes Meme, »Yves Tumor live vs. Yves Tumor on record«, gewidmet wurde. Seine Fans nennen ihn »ground-breaking and genre-bending«. Nach Michael-Jackson-Vibes, Hyperpop und Krach kehrt er jetzt seinen experimentell eingestellten Fans den Rücken und klingt auf der EP »The Asymptotical World« wie … nunja, wie The Bravery und ähnliche Bands aus den mittleren Nuller Jahren. Vor allen Dingen scheint der Sound des ersten Bloc Party-Albums Pate gestanden zu haben.
Kann das wirklich sein? Kommen »The«-Bands wieder? Das ganz große Bangen muss nicht beginnen: Noch dürfte das Revival von Strokes bis Hives ein paar Jahre entfernt sein. Dennoch darf und muss man erkennen, dass pünktlich zum 20-Jahre-Intervall zwischen Original und Revival die Gitarrenklänge wieder prominenter werden bei den sogenannten Early Adoptern im Targetset. Tortoise-Platten steigen langsam im Preis bei Discogs, Constellation Records wird auch abseits von Godspeed You! unter der Hand wieder als heißer Shit verkauft. Da passt dann eben so eine »off-kilter rock«-Vinyl, wie uns das Label TumorsSound verkaufen möchte, praktischerweise mittenrein. Richtig überzeugend ist das dennoch nicht.
Interessant: Bei Olsen hört man die Lust zur Maskerade nicht nur, auch das Plattencover mit Vokuhila und Make-Up zwischen Klaus Nomi und Vivien Westwood verrät »Fun« an der Sache. Bei Yves Tumor fragt man sich aber bis zum letzten Ton, ob er das ernst meint. Alles wirkt irgendwie abgedroschen. Ein Zitat, über das ich die Tage gestolpert bin, bringt es auf den Punkt. In Theresia Enzensberger Roman »Blaupause« stellt die Figur Luise fest: »Aber vielleicht ist das ein Zeichen unserer Zeit. Niemand möchte mehr einen eigenen Standpunkt beziehen oder etwas ernst meinen.« Das bezieht sich zwar auf die Zeit des Bauhaus, jedoch passt es auch hier und jetzt: Bei Tumor wartet man nach zehn Jahren noch auf einen Song, bei dem man sich sicher ist, dass er (tod-)ernst gemeint ist.
Ganz anders sieht das bei BRIA aus, deren erste EP für Sub Pop zwar den provokanten Namen »Cuntry Covers Vol. 1« (sic!) trägt, aber vor allem eine ehrliche Angefressenheit vermittelt. Die Multi-Instrumentalisten Bria Salmena and Duncan Hay Jennings klingen dabei nicht nur wie Angel Olsens Live-Auftritte — mit Lap-Steel und Cowboy-Krawatte —, sondern in erster Linie wie eine Geschichtsabhandlung über Country und seine Ursprünge — ehedem Musik der Emanzipation und Freiheit, bevor es Soundtrack der heutigen republikanischen Partei in den Staaten und einer bizarren Community in Deutschland wurde.
»Green Rocky Road« von Karen Dalton bildet den Auftakt und zeichnet ein Bild von endlosen Feldern, der Urgewalt Natur und fast unbegrenzter Möglichkeiten. Die Coverversion von John Cales »Buffalo Ballet« hat umwerfende Gesangsparts und »The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore« von den Walker Brothers leiert fantastisch herum. Leicht hätte man sich bei diesen Stücken verheben können. Ach was, es gleicht einem Himmelfahrtskommando, auch nur einen Finger an diese Hits legen zu wollen. Doch BRIA fangen eine einzigartige Stimmung — jene der Corona-Krise — mit einem eigensinnigen Stil ein. Was auffällt: Die scheinen das hier wirklich zu meinen — wenn nicht Wort für Wort, so doch von Ton zu Ton. Vielleicht ist angekommen, dass allem ständig mit Zynismus zu begegnen nicht in den Himmel, sondern bloß in den Mülleimer hinterm Plattenladen führt.
Angel Olsen, »Aisles« (somethingscosmic/Jagjaguwar/Cargo)
Yves Tumor, »The Asymptotical World« (Warp)
BRIA, »Cuntry Covers Vol. 1« (Sub Pop/Cargo)