Raus aus der Misere
Am Ende ging alles ganz schnell. Erst war monatelang gestritten, gebangt und gehofft worden. Hygieneschutzkonzepte wurden erarbeitet, genehmigt und schließlich blieben die Läden trotzdem dicht. 18 Monate lang stand die Club-Branche bundesweit still. Von den paar Ausnahmen, als in Biergärten zu Musikbeschallung dezent gefeiert werden durfte, abgesehen.
Seit Anfang September dürfen die Clubs wieder öffnen. Die Nachricht kam für viele Betreiber unerwartet plötzlich. Im Kölner Odonien, dem ehemaligen Schrottplatz im Gleisdreieck zwischen Pascha und Mediapark, hatte man nicht mal eine Woche, um den Laden wieder herzurichten. Trotzdem ist die Vorfreude und Begeisterung im Team riesig. Die ersten Termine wurden unter den regelmäßigen Veranstaltern verlost, so groß war der Andrang. Vor großen internationalen Bookings scheut man sich aber vorerst, zu unsicher ist die Lage noch.
Daniel Bischoff ist einer dieser Veranstalter und Kopf hinter den Reihen Lichtblick, Ehrenfeld XL und anderen. Kurz vor seinem ersten Termin nach der Pause zeigt er sich noch skeptisch. In der Vergangenheit hätten die Zusagen der Behörden schließlich auch nicht lange gegolten. Bei ihm halten sich deshalb die Vorfreude, endlich wieder kreativ arbeiten zu dürfen, und die Angst vor erneuten Absagen, die Waage. Die mögliche Änderung von 3G auf 2G — Zutritt nur für Geimpfte oder Genesene — löst Bedenken aus: »Ich sehe jedwede sinnlose Segregation von Menschen immer als den falschen Weg. Jemand mit negativem PCR-Test ist, nachdem was ich verstanden habe, ungefährlich. Lieber solle man einfach alle testen lassen, unabhängig vom G-Status. Das würde die größte Sicherheit bringen und vor Spaltung schützen. Denn einige Menschen können oder dürfen sich ja aktuell nicht impfen lassen und sollten trotzdem eine Möglichkeit haben, an Kultur zu partizipieren.« Angesichts der hohen Kosten für einen PCR-Test macht von der Möglichkeit bislang aber kaum jemand Gebrauch.
Während mancherorts schon seit Wochen die Korken knallen, fährt der Rest von Köln noch hoch. Im Jaki etwa hatte man das Septemberprogramm schon gebucht, dann schnellten im August die Inzidenzen wieder nach oben. In Erwartung eines weiteren Monats Zwangspause wurde alles abgesagt, nur um dann in letzter Sekunde doch noch das grüne Licht zu bekommen. Booker Magnus von Welck erinnert sich: »Wir haben uns entschieden, wir lassen uns nicht verrückt machen, nehmen uns lieber noch einen Monat Zeit und machen dafür ein richtig schönes Programm zum ersten Oktober. Das war natürlich trotzdem irre, alles in so kurzer Zeit zu buchen!« Für die nötigen Überstunden waren allerdings alle hochmotiviert. Der immer noch neue Club hatte erst im Oktober 2019 in den Räumen des ehemaligen Studio672 unter dem Stadtgarten eröffnet und war zur Schließung im April 2020 »gerade erst warmgelaufen«, sagt Magnus. »Da steht jetzt ein brandneuer Club, der hat 18 Monate lang keinen Menschen gesehen — absurd!«
Noch länger hätte man sich die Schließung nicht leisten können, sowohl finanziell wie psychisch. »Es ist bitter nötig, dass wir jetzt wieder aufmachen können, auch wenn es schließlich auf die 2G-Regelung hinausläuft. Das ist natürlich ein cleverer Schachzug für die Impfkampagne, aber wir können die Öffnung nicht noch länger hinauszögern«, meint Magnus.
Mit der Rückkehr zum Clubbetrieb startet gleichzeitig das Projekt Précey von Aino DJ, Marie Montexier und Philo. Mit ihrer neuen Reihe möchten sie die Vielfältigkeit der Menschen in der Kölner Szene repräsentieren und dabei lokale aber auch internationale Newcomer*innen unterstützen. Neben dem Statement für mehr Diversität in der immer noch von männlichen, heteronormativen Strukturen geprägten DJ-Szene will man vor allem auch musikalisch begeistern. Philo, Mitbegründerin von Précey und Spezialistin für UK Bassmusic, freut sich auf einen ravigen Genremix zwischen Breakbeat, Electro und Jungle, bei dem BPM-Konventionen keine große Rolle spielen: »Solange die Soundcharakteristiken stimmen, passt es. Für mich kann ein Set gerne mal mit House beginnen und bei Jungle aufhören. Wir wollen auf unserer Party Vielfalt in jeglicher Hinsicht zelebrieren.«
In der DJ-Szene herrscht nach wie vor ein Mangel an Frauen, die sichtbar sind. Gründe dafür gibt es viele. »Es fängt schon mit der Technik an«, erinnert sich Philo, »ich hatte Angst, etwas kaputt zu machen. Das kommt auch aus der heteronormativen Erziehung. Jungs wird per se eine Technikaffinität zugeschrieben, Mädchen sollen lieber mit Puppen spielen und kommen dadurch seltener mit Technik in Berührung. Das äußert sich ja in ganz vielen Sparten«. Besonders strukturell würden einem als Frau nicht so einfach die Türen geöffnet.
Solche Erfahrungen hat auch Mitbegründerin Marie Montexier gemacht, die mittlerweile deutschlandweit und international gefeiert wird. Beide kennen die Situation, dass Frauen hinter den Decks nicht wirklich ernst genommen werden. Man würde oft nur als »die Freundin von…« gesehen werden und nicht als eigenständige Künstlerin. Manchmal gebe es sogar Anfragen, bei denen offensichtlich nur eine »Frauen-Quote« erfüllt werden soll, ohne sich wirklich für die Künstlerin dahinter zu interessieren.
Das Jaki aber hatte die Akteurinnen von Précey aufgrund ihres Talents schon jede für sich auf dem Radar. »Umso besser, sie machen einen eigenen Abend daraus«, sagt Magnus. »Musikalisch ist es genau das, was wir im Jaki am Wochenende zeigen möchten!« Neben einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis weist das Oktober-Programm des Clubs besonders viele regionale Acts auf. Auch das ist kein Zufall: »Wir haben uns in der Pause Gedanken gemacht, möglichst viele Kölner*innen und Acts aus NRW einzubinden. Vor ein paar Jahren war es noch schwierig, die Leute auf lokaler Ebene zu finden. Das ist jetzt anders.« Vielleicht auch ein Effekt der Corona-Zeit, in der internationale Bookings kaum möglich sind: Der Fokus verschiebe sich mehr auf die Lokalheld*innen, meint auch Magnus. Gerade dieses Stärken der eigenen Szene habe Köln in der Vergangenheit gefehlt. Das Samstagabendformat Tom-Tom Club soll dabei der lokale Szene-Hangout werden. Gleichzeitig zeigt hier das Programm, wie weit die Eckpunkte des elektronischen Kosmos doch voneinander entfernt sein können, ohne sich dabei ganz aus den Augen zu verlieren. Da ist der Abend mit den Jungs von Aroma Pitch, die auf Hardware-Synthesizern improvisieren, dann die an HipHop geschulten Beatfrickler Hulk Hodn und Glenn Astro, und schließlich das Special zur Week Of Surpise mit Selektorin Kampire aus Uganda, deren Crew Nyege Nyege das wichtigste Event für elektronische Musik in Ostafrika hostet.
Solche Highlights soll es weiterhin geben, aber eben »akzentuiert«: nicht jedes Wochenende teure Headliner, dafür lieber mehr Locals. Das unterstützen auch die Kuratorinnen von Précey Philo, Marie Montexier und Aino DJ: ihre erste geladene Gästin, DJ Frank kommt aus Wuppertal und hat sich mit ihren genreübergreifenden Sets im dortigen Club Mauke einen Namen gemacht.
Weil es die erste Party für viele seit langem wird, rechnen sie bei Précey mit einer wilden Stimmung. Gleichzeitig wird aber von Anfang an klar kommuniziert, das diskriminierendes, sexistisches oder gewaltsames Verhalten jeglicher Art auf keinen Fall toleriert wird. Alle Veranstalterinnen und das gesamte Club-Personal seien ständig ansprechbar, sollte es zu übergriffigen Situationen kommen. »Précey ist ein Raum in dem sich frei entfaltet werden kann. Wir möchten einen geschützten Raum kreieren, in dem sich alle sicher fühlen können«, stellen sie vorab fest. Vor allem aber wird es auch endlich wieder ein Raum voll von Musik und Nebelschwaden werden, in dem man sich ganz vom Sound umgeben und in diesem verlieren kann. Willkommen zurück im Club.