Nach der Flut
Nach der Flutkatastrophe im Kölner Umland steht nun der Wiederaufbau im Fokus. Die Menschen wollen nach vorne schauen.
Doch es bleiben Fragen: Warum darf man, wie in Blessem, Kiesgruben in Überschwemmungsgebiete bauen? Wie gut ist die Region gegen künftige Unwetter gewappnet? Und wie groß ist die Gefahr eigentlich in Köln?
Von einem Jahrhunderthochwasser zu reden, ist maßlos untertrieben. Bernd Bucher, Erftverband
Erftstadt-Blessem, acht Wochen nach der Flut. Eine Postbotin schiebt ihr Fahrrad von einem Einfamilienhaus zum nächsten, vorbei an grauen Schaltkästen, an denen sich Techniker zu schaffen machen. Eine Haustür steht auf, dahinter stapeln sich Umzugskartons im Treppenhaus.
Es ist ein ruhiger, sonniger Vormittag. Nur ein paar Schuttcontainer in den Vorgärten erinnern noch an das dramatische Hochwasser, das Erftstadt im Juli international bekannt machte. Doch das Bild ändert sich, je näher man zur Erft kommt.
Auf jede Haustür hat die Feuerwehr Zeichen gesprüht. Der Kreis bedeutet: das Haus kann stehen bleiben. Das Kreuz: Es ist kein Mensch mehr darin, der evakuiert werden müsste. Die Fenster sind weit aufgerissen, man blickt in Rohbauten, sieht nackte Backsteinwände, sonst nichts. Bautrockner dröhnen, ein muffiger Kellergeruch dringt bis auf die Straße. Wer hier wohnte, hat alles verloren.
Plötzlich ist die Straße abgesperrt. Dahinter sieht man zwei Häuser, und dann — ein gigantisches Loch. Am 15. Juli hat es vier Häuser, Autos, Straßen und viele Hektar Land verschluckt. Die Erft hatte den Damm gebrochen, war in die benachbarte Kiesgrube geschossen und hatte dort eine solche Sogwirkung entwickelt, dass die Böschungen erodierten und der Krater sich bis ins Dorf hineinfraß. Später mussten noch vier weitere Häuser abgerissen werden.
»Es war wie in einem Horrorfilm«, sagt Toni Faber (Name geändert), der mit dem Fahrrad Werkzeug zu seinem Haus bringt. Sein Haus ist jetzt das letzte an der Straße, direkt am Abgrund. Am Morgen des 15. Juli, erzählt Faber, sei er aufs Dach gestiegen. Wo vorher Dorf war, sah er nur noch Wasser. Dann habe er Hilfeschreie gehört.
»Da saß ein alter Mann in seinem Jeep, das Wasser stand ihm bis zur Brust. Er sagte, er wolle in die Werkstatt fahren.« Faber habe ihn angeschrien: »Was machst du hier, bist du bescheuert?« Dann habe er den Mann aus dem Auto gezerrt, sich mit ihm am eisernen Zaun der gegenüberliegenden Burg Blessem festgeklammert und die Straße hinauf gehangelt.
Faber erzählt weiter: wie er einen Hubschrauber kommen sah, der seine Eltern, deren Haus nur wenige hundert Meter entfernt liegt, vom Dach rettete. Elf Nächte verbrachte Faber in der Notschlafstelle im Gymnasium in Liblar. Schlafen konnte er kaum. Sobald er die Augen schloss, tauchten die Bilder wieder auf. Faber wohnt jetzt bei einer Bekannten. »Die Ärzte sagen, ich habe ein Trauma, okay, kann natürlich sein.« Seit kurzem darf er sein Haus tagsüber wieder betreten. Noch ist nicht klar, ob es wirklich stehen bleiben darf, aber Faber arbeitet schon darin, er will so schnell wie möglich wieder einziehen. »Meine Familie wohnt hier seit fünf Generationen, würden Sie das etwa aufgeben?«
Toni Faber zeigt, wo früher die Straße weiterging, er erzählt vom Taubenschlag seines Vaters, den das Loch verschluckt hat. Vor dem Hochwasser habe ihn keiner gewarnt, sagt er, aber aufregen will er sich darüber nicht, er hat auch so schon genug zu tun. Schuld an der Katastrophe sei ohnehin die Kiesgrube. Sie sei immer näher an die Erft herangerückt. »Ich habe schon vor zwanzig Jahren in der Kneipe gesagt: Das Ding bringt uns mal um. Da waren an manchen Stellen ja nur noch 30 Meter zwischen Erft und Loch.« Dann verabschiedet sich Faber. Eine Helferin hat ihm Kuchen gebracht, er will ihn jetzt essen.
Gegenüber, im Hof der Burg Blessem, essen die Helfer gerade zu Mittag. Andreas Negro, der mit seiner Familie, Verwandten und Mietern in der Burg wohnte, führt über das Gelände. Ein Anbau und eine Reithalle wurden von der Flut weggerissen, Pferde ertranken, hektarweise Land wurden vom Krater verschluckt. Die Burg steht jetzt an einer Steilkante. Auch hier stehen die Fenster weit auf, das Parkett ist herausgerissen, die Wände nackt. In einem offenen Schuppen stehen antike Möbel, Kinderbetten und ein Klavier, um zu trocknen.
»Die Betreiber der Kiesgrube wollten uns immer Land abkaufen«, erzählt Negro. Vor vielen Jahren sei schon einmal ein Stück Land in die Kiesgrube gerutscht. »Das haben wir dann verkauft. Wir konnten ja eh nichts mehr damit anfangen.« An der Abbruchkante arbeiten Menschen mit Messgeräten, sie kämen von der Polizei, sagt Andreas Negro. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen Unbekannt, es geht um den Verdacht der Baugefährdung. »Wir fanden die Kiesgrube immer gruselig«, sagt Negro.
Die Grube wechselte 2012 den Betreiber und wird seither von den Rheinischen Baustoffwerken, einer RWE-Tochter, betrieben. »Das ist kein leichter Gegner. Das Bergrecht sticht alles.«
Andreas Negro erzählt, wie in der Flutnacht die Feuerwehr bei ihnen geklingelt habe. Es bestehe Lebensgefahr, sie müssten sofort weg. Sie hätten dann die Familie und Mieter mit Geländewagen über das Parkgelände herausgefahren, weg von der Erft, weg von der Grube. Dass die Menschen auf der anderen Straßenseite derweil weiterschliefen, habe Negro nicht gewusst. »Ich dachte, die Nachbarn wären alle längst weg.«
Die Kiesgrube in Blessem hätte niemals genehmigt werden dürfen. Dirk Jansen, Bund
Zwei Straßen weiter, Richtung Ortskern, unterhält sich ein junger Mann mit Nachbarn. Seit der Flut wohnt der Mann mit seiner Familie bei Verwandten. Er wird nicht nach Blessem zurückkehren. »Nicht nach den Erfahrungen, die ich hier mit der Verwaltung gemacht habe.« Nicht nur, dass es keine Warnungen vor dem Hochwasser gab. Auch mit den Schäden werde er allein gelassen. Seine Ölheizung sei beim Hochwasser ausgelaufen. In den ersten Tagen habe die Feuerwehr einfach alles in die Kanalisation gepumpt, ohne Rücksicht auf Umweltschäden. Dabei habe er nicht mitmachen wollen. Er habe wochenlang herumtelefoniert, niemand habe sich für irgendetwas zuständig gefühlt, beim städtischen Krisenstab habe er niemanden erreicht. Öl und Fäkalschlamm musste er auf eigene Kosten entfernen lassen. »Aber es gibt doch jetzt die Hilfen vom Bund! Und die Spenden!«, ruft der Nachbar. »Das reicht doch nicht mal für ’ne neue Heizung«, sagt der Mann hinterm Gartenzaun. Seit der Flut sei seine Mutter im Krankenhaus. »Sie ist beinahe hops gegangen bei der ganzen Aufregung.« In ihr altes Haus wird sie nach der Entlassung nicht zurückkehren.
Die Stadt Erftstadt muss sich schweren Vorwürfen stellen. Eine Anfrage der Stadtrevue ließ die Bürgermeisterin Carolin Weitzel mit Hinweis auf die »weiterhin hohe Arbeitsbelastung innerhalb der Verwaltung« unbeantwortet.
Auch Marion Sand hat Fragen an die Stadt. Am Morgen des 15. Juli stieg sie auf ihr Fahrrad und versuchte sich ein Bild von den Ortsteilen zu machen, die noch befahrbar waren. »Mir wurde berichtet, dass noch im Laufe des Donnerstagvormittags Autos auf die Bundesstraße, die schon längst unter Wasser stand, gefahren sind, weil sie viel zu spät abgesperrt wurde. Wie kann das sein?«, fragt Marion Sand. Sie sitzt für die Grünen im Stadtrat von Erftstadt. »Alle Indizien deuten darauf hin, dass der Katastrophenschutz in Erftstadt nicht funktioniert hat.«
Es wird immer noch so geplant und gebaut, als gäbe es kein Morgen. Dirk Jansen, Bund
Die zuständigen Ministerien, Landesämter und Behörden schieben sich bei der Frage der Verantwortung den Schwarzen Peter zu. Der NRW-Landtag hat nun mit den Stimmen von Grünen und SPD einen Untersuchungs-Ausschuss beschlossen. Die Erfstädter Grünen verweisen auf ein Gespräch mit der britischen Hydrologin Hannah Cloke, die dem deutschen Katastrophenschutz und Hochwasser-Management »monumentales Systemversagen« attestiert. Cloke war maßgeblich am Aufbau des europäischen Flut-Frühwarnsystems EFAS beteiligt, das nach den Hochwasser-Katastrophen 2002 an Elbe und Donau gegründet wurde. Bereits am 10. Juli wurde eine erste Warnung an die nationalen Behörden gegeben. Laut Cloke seien mehr als 25 Warnungen abgesetzt worden. »Es lagen von höchster Ebene Warnungen vor, aber die Warnketten haben nicht funktioniert«, so Marion Sand.
Marion Sand hat viele Fragen: Warum hat die Bürgermeisterin erst in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, also 24 Stunden zu spät, das Technische Hilfswerk einbezogen, wie sie selbst in einer Reportage auf Spiegel online erzählte? Warum hat der Landrat erst um 13 Uhr den Katastrophenfall ausgerufen, nachdem alles überflutet war und die Menschen sich auf eigene Faust gerettet hatten? Und: »Warum wurden die Erftstädter nicht spätestens in der Nacht, als der Damm in Horchheim geflutet wurde, evakuiert?« Die Feuerwehr im angrenzenden Weilerswist rief um 4.18 Uhr den Großalarm aus, in Erftstadt geschah nichts. Die Flutwelle rollte gegen 6 Uhr morgens auf die Häuser zu, während die Erfstädter schliefen. Erst um 8.50 Uhr gab die Feuerwehr in Erftstadt Großalarm. Da waren die Wohngebiete in Bliesheim, Blessem und Liblar längst von der Flut erfasst worden.
In Blessem sind viele immer noch nicht wieder an die Kanalisation oder ans Telefonnetz angeschlossen, sie leben in Wohnwagen oder bei Bekannten. Sie beantragen jetzt Geld, Bund und Länder haben 30 Milliarden Euro bereitgestellt. Sie wollen wieder aufbauen, nach vorne schauen. Doch während sie Putz abklopfen und Handwerker abtelefonieren, bleibt die Frage: Wie konnte es, keine zwanzig Kilometer vor Köln, zu dieser Katastrophe kommen? Und: Wie kann man sich, in Zeiten des Klimawandels, vor weiteren Ereignissen dieser Art schützen?
»In den Medien war vielfach von einem Jahrhunderthochwasser die Rede. Das ist maßlos untertrieben«, sagt Bernd Bucher, Vorsitzender des Erftverbands am Telefon. Der Verband mit Sitz in Bergheim ist für die Wasserwirtschaft im Einzugsgebiet der Erft, von ihrer Quelle im Ahrgebirge bis zur Mündung in den Rhein bei Neuss, verantwortlich, und damit auch für den Hochwasserschutz. »Wir hatten 150, teilweise 180 Liter Niederschlag pro Quadratmeter, das haben wir bislang noch nie gemessen.« Nicht nur die Erft, auch Zuflüsse wie die Swist und der Veybach seien »in die extremen Abflüsse gegangen«. Hunderte Kilometer Gewässer sind schwer beschädigt, ganze Landstriche verwüstet. Der technische Hochwasserschutz in Deutschland ist darauf ausgerichtet, ein hundertjährliches Hochwasser zu bewältigen. An der Erft aber sei es zwei- bis dreimal so viel Wasser gewesen, so Bucher. Die technischen Schutzeinrichtungen, also Talsperren und Regenrückhaltebecken, seien so ausgelegt, dass sie auch ein zehntausendjährliches Hochwasser schadlos überstehen. In Horchheim jedoch lief das Wasser über die Dammkrone, der Damm wurde stark beschädigt. »Wir haben uns stellenweise oberhalb eines zehntausendjährlichen Ereignisses bewegt.«
Natürlich kennt Bernd Bucher den aktuellen Weltklimareport, der eine noch schnellere Erderwärmung, eine noch schnellere Zunahme von Wetterextremen vorhersagt. In den Jahresberichten des Erftverbands kann man schon jetzt nachlesen, wie die Zahl der Starkregenereignisse in der Region Jahr für Jahr zunimmt. Muss man da nicht den Hochwasserschutz grundsätzlich anders angehen?
Es war wie in einem Horrorfilm. Wo vorher Dorf war, sah ich nur noch Wasser. Toni Faber, Blessem
»Man wird da mehr tun müssen«, sagt Bucher. »Aber ich warne davor, nur an den technischen Hochwasserschutz zu denken. Wir wissen nicht, wie das größtmögliche Hochwasser aussieht. Das nächste kann immer noch größer sein.« Je größer man etwas baue, je höher man die Dämme ziehe, desto größer seien die Schäden beim Versagen. »Sie bauen nicht nur einen Schutz, sondern auch ein gewisses Rest-Risiko. Das muss man sorgfältig abwägen.«
Während in Euskirchen, Weilerswist und Erftstadt die Häuser vollliefen, blieben die Anlieger der Erft ab Kerpen weitgehend verschont. »Dort kann sich das Wasser auf großen Flächen natürlich ausdehnen und versickern«, so Bucher. Man müsse dem Fluss auch anderswo ermöglichen, bei extremen Niederschlägen seine komplette Aue in Anspruch zu nehmen. Die Erft aber ist überwiegend ausgebaut. Aufgabe des Erftverbands ist auch, den Fluss zu renaturieren, also den geradlinigen Ausbau wieder rückgängig zu machen. Aber von den 105 Erft-Kilometern hat der Verband erst wenige Kilometer renaturieren können. »Die Flächen sind knapp. Aber wenn wir den natürlichen Hochwasserschutz stärken wollen, müssen wir auch bereit sein, dem Fluss die Flächen zur Verfügung zu stellen, die ihm gehören.«
Neben technischem und natürlichem Hochwasserschutz brauche es auch eine »weitergehende Vorsorge«, sagt Bucher. Weniger in Auen bauen, das Warnsystem verbessern — und die Menschen schulen, wie sie sich ab welchem Pegelstand zu verhalten haben. »Bei Extremereignissen, wenn der technische Schutz nicht mehr viel hilft, entscheidet dieses Wissen darüber, wie viele Menschenleben man zu beklagen hat.« Bernd Bucher sieht nicht nur angesichts des Klimawandels Eile geboten. Die Region steht vor einem weiteren Umbruch: Dem Ausstieg aus der Braunkohle. Um die Kohle aus Hunderten Meter Tiefe herausholen zu können, wird seit Jahrzehnten großflächig Grundwasser abgepumpt, bis zu 500 Meter tief. Die Auswirkungen der »Sümpfung« sind bis nach Köln und Holland zu spüren. Der niedrige Grundwasserspiegel habe somit das Hochwasser sogar noch abgemildert, so Bucher — weil die entleerten Grundwasserleiter viel Wasser aufnehmen konnten. Das bedeutet aber auch, dass nach dem Ende der Braunkohle und dem Wiederanstieg des Grundwassers die Hochwasser-Gefahr an der mittleren und unteren Erft wieder größer wird.
Ohne die Grundwasserabsenkung für die Braunkohle wäre die Kiesgrube in Blessem ein Baggersee gewesen. »Wenn eine Nassabgrabung überschwemmt wird, ist die Gefahr der rückschreitenden Erosion deutlich geringer.« Das bedeutet: Ohne die Braunkohle hätte sich in Blessem nie ein solch gigantischer Krater gebildet.
»Die Kiesgrube in Blessem hätte niemals genehmigt werden dürfen«, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND in Nordrhein-Westfalen. In Blessem wird seit den 70er Jahren Kies abgebaut; 1998 wurde die Grube erstmals erweitert. »Schon damals haben wir und andere Naturschutzorganisationen Bedenken geäußert, weil sie in einem Überschwemmungsgebiet liegt«, so Jansen.
Die Politik wie auch die Bergbaubehörde hätten sich über diesen Einwand hinweggesetzt. »Im Bergrecht wird im Grunde alles genehmigt. Es kennt keine ergebnisoffenen Prüfungen.«
Die Regenfälle vom 13. und 14. Juli seien ein außergewöhnliches Wetterereignis gewesen, sagt auch Jansen. Die katastrophalen Folgen aber seien zum großen Teil »hausgemacht«. Kommunen hätten potenzielle Überschwemmungsgebiete bebaut, »obwohl sich jeder Lokalpolitiker die Hochwasser-Risikokarten im Netz anschauen kann.« Durch die forcierte Zersiedelung könne der Boden seine Wasserspeicherfunktion nicht mehr erfüllen. Jansen sieht die Fehler aber nicht nur bei den Kommunen, die die Bebauungspläne ausweisen. Auch die Regionalplanung müsse sich ändern. Hierfür ist der Regionalrat Köln verantwortlich, dem Jansen eine »entfesselte Industrie- und Gewerbegebietspolitik« bescheinigt. Die Grundlage für Regional- und Kommunalplanung legt jedoch die Landesregierung mit dem Landesentwicklungsplan. Diesen hat die aktuelle CDU/FDP-Landesregierung unter Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vor zwei Jahren geändert: Die Vorgabe der rot-grünen Vorgängerregierung, bis 2020 höchstens fünf Hektar pro Tag zu versiegeln und langfristig auf einen Netto-Null-Verbrauch zu kommen, wurde gestrichen. Zurzeit werden in NRW täglich rund zehn Hektar Freifläche versiegelt. »Ich sehe nicht ansatzweise, dass die Politiker auf allen Ebenen die Klimakrise und ihre Auswirkungen ernst nehmen«, so Jansen. »Es wird immer noch so geplant und gebaut, als gäbe es kein Morgen.«
Gerade an der Erft habe man besonders viele Neubau- und Gewerbegebiete in die Auen gebaut, weil sie wegen der Grundwasserabsenkung trocken waren. Auch die nun für ungewisse Zeit wegen Hochwasserschäden gesperrte Autobahn A 61 führt durch die Aue. »Wenn hier ein natürliches Wasserregime herrschen würde, wäre niemand auf die Idee gekommen, da etwas hinzubauen.« Nun brauche man schleunigst einen Mechanismus, um an Flächen zu gelangen, damit die Erft renaturiert werden kann.
Auf kaum einem Feld aber zeigt sich die Politik so unbeweglich, wie wenn es um Flächen geht. Diese Erfahrung machte Friedrich Jeschke von der Partei Volt. Im März zog Jeschke in den Regionalrat ein, also die politische Vertretung des Regierungsbezirks Köln, wo er mit einer Vertreterin der Linkspartei eine Fraktion bildet. Aufgabe des Regionalrats ist vor allem die Abstimmung über den Regionalplan: Wo entstehen neue Siedlungen und Industriegebiete, wo werden neue Straßen gebaut oder erweitert, wo ist der Platz für Kiesabbau? Die junge Partei Volt steht für einen pragmatischen Politikstil, sie orientiert sich an Best-Practice-Beispielen und will — wie auch im Kölner Ratsbündnis — gerne mitgestalten, ohne sich dabei groß fürs traditionelle Links-Rechts-Schema zu interessieren. Im Regionalrat aber fand sich Jeschke auf einmal in der klassischen Oppositionsrolle wieder.
»Wenn wir über Flächennutzung entscheiden, müssen wir verschiedene Schutzgüter gegeneinander abwägen: Mensch, Tiere, Pflanzen, biologische Vielfalt, Boden, Wasser, Klima, Luft, Landschaft, kulturelles Erbe«, erläutert Jeschke. Tatsächlich aber finde diese Abwägung kaum statt. Der Regionalrat muss über Vorlagen der Bezirksregierung entscheiden, die häufig Böden, Umwelt, Gewässer oder ein anderes Gut als gefährdet einstufe. Trotzdem stimme der Regionalrat der Flächenänderung — etwa der Umwidmung in ein Gewerbegebiet — in beinahe allen Fällen zu. Wirtschaftliche Interessen hätten Priorität. »Nicht einmal ein Austausch von Argumenten ist gewollt«, sagt Jeschke. Die Kiesgrube in Blessem ist für ihn das traurige Beispiel, wie wirtschaftliche Interessen über alle anderen Schutzgüter gestellt werden, in diesem Fall den Hochwasser- und Umweltschutz. »Bereits 2012 gab es die Forderung im Ausschuss für Stadtentwicklung der Stadt Erftstadt, zum Schutz von Blessem weitere Retentionsflächen im Erft-Oberlauf zu schaffen«, so Friedrich Jeschke. Man sei sich der Hochwasserproblematik also bewusst gewesen. Trotzdem habe man 2019 dem Plan der RWE-Tochter Rheinische Baustoffwerke zugestimmt, die Kiesgrube erneut zu erweitern. Die Bezirksregierung Köln wiederum lehnte das Ansinnen wegen »mangelnder Ergiebigkeit« ab — und, weil es sich um eine »Tabuzone Überschwemmungsgebiet« handele. Trotzdem hielten CDU, FDP und Freie Wähler in Erftstadt an ihrer Forderung fest und baten noch im November 2020, die Erweiterung der Kiesgrube erneut zu prüfen. Die endgültige Entscheidung steht noch aus.
Im Kölner Rathaus nimmt man hingegen für sich in Anspruch, die Anforderungen des Klimaschutzes erkannt zu haben. Der Stadtrat rief im Juli 2019 den »Klimanotstand« aus. Neben Maßnahmen zum Klimaschutz ist damit verbunden, dass in allen Verwaltungsvorlagen gekennzeichnet sein soll, wie sie sich auf den Klimaschutz auswirken. Umweltorganisationen kritisieren jedoch, dass sich eigentlich nichts geändert habe und das Tempo beim Klimaschutz viel zu langsam sei.
Vor kurzem haben die Initiative Klimawende Köln und die Rheinenergie einen Kompromiss ausgehandelt.
Ab 2035 soll der städtische Energieversorger Strom und Wärme nur noch klimaneutral produzieren. Ein Eckpunktepapier soll bis Ende des Jahres im Rat verabschiedet werden. In der Initiative ist man gespalten, ob das reicht. Der neue Dezernent für Klima und Umwelt, William Wolfgramm, kündigt im Gespräch weitere Maßnahmen an, nennt die gesteckten Ziele allerdings auch ehrgeizig. Köln ist spät dran.
Die Hilfen reichen doch nicht einmal für eine neue Heizung. Anwohner aus Blessem
Sebastian Mayer ist Mitglied des Koordinationsteams der Scientists for Future in der Region Köln/Bonn. Er ist der einzige Vertreter einer Initiative im Kölner Klimarat, in dem seit vergangenem Jahr Vertreter der Stadtverwaltung und der Kölner Wirtschaft zusammenkommen. Mayer sagt: »Es ist ernüchternd, wie langsam wir nur vorankommen – und das nach zwei Jahren Klimanotstand.« Man habe sich bislang erst auf Zwischenziele für die Klimaneutralität bis 2040 einigen können. Nun gehe es aber um 2035. Wie kann das gelingen? Selbst bei der Anpassung an den Klimawandel gehe es ja kaum voran, findet Mayer. Flächen werden weiter versiegelt.
Auch in Köln gingen am 14. Juli, als das Unwetter über die Region zog, und am Tag darauf bei der Feuerwehr etwa 6000 Notrufe ein. Bis zu tausend Einsatzkräfte von Feuerwehr, THW und Hilfsorganisationen rückten aus. Zwei Menschen starben in ihren Kellern. Wie gut ist Köln gewappnet?
Hohe Pegelstände des Rheins, die noch 1993 und 1995 für erhebliche Schäden sorgten, stellen heute keine größere Gefahr mehr dar. Die in der Folge durchgeführten Schutzmaßnahmen wirken weitgehend. Bis zu einem Pegel von 11,30 und teils 11,90 Meter gilt Köln als hochwassergeschützt. Die Hochwassergefahrenkarten zeigen, welche Gebiete wie stark gefährdet sind. »Man sieht auch, dass es noch ungeschützte Bereiche gibt«, sagt Birgit Konopatzki, Sprecherin der Stadtentwässerungsbetriebe Köln (StEB). In Rodenkirchen und Poll stehen ab 6,70 Meter die Campingplätze unter Wasser. Kasselberg im Norden ist ab 8,30 Meter umspült. Mitte dieses Jahres gab es das höchste Sommerhochwasser seit 1983. »Dass wir sowohl im Winter als auch im Sommer in der Höhe Hochwasser haben, ist schon ungewöhnlich«, sagt Birgit Konopatzki.
Immerhin ist das Rheinhochwasser gut zu prognostizieren. Schon Tage zuvor kann die Stadt sich darauf vorbereiten. Das ist bei kleineren Flüssen und Bächen anders. Hier steigen die Pegel bei Starkregen oft urplötzlich an. »Größere Schäden konnten aber wie auch in der Vergangenheit verhindert werden«, sagt Konopatzki. »Der Hochwasserschutz an den rechtsrheinischen Bächen funktioniert insgesamt gut.« Auch große Wassermengen könnten in den rechtsrheinischen Randkanal, der bei Stammheim in den Rhein fließt, abgeschlagen werden. An den Kölner Bächen betreuen die StEB zwei große Hochwasser-Rückhaltebecken.
Auch in Köln gibt es noch ungeschützte Bereiche. Birgit Konopatzki, Steb
Zurzeit wird das Hochwasserschutzkonzept für die Bäche wegen der EU-Wasserrahmenrichtlinie zur Renaturierung überarbeitet. Renaturierungen verbesserten grundsätzlich den Hochwasserschutz, sagt Konopatzki. »Naturnahe Bachgestaltung bezieht in der Regel die angrenzenden Auenbereiche mit ein und schafft zusätzliche Überflutungsflächen.« Aber nicht überall sei das möglich. »Die Strunde führt in künstlicher Hochlage teils entlang dichter Bebauung«, so Konopatzki. »Da ist wenig Platz für Renaturierung.« Die linksrheinischen Bäche hingegen sind durch die Grundwasserabsenkung für den Braunkohleabbau fast vollständig versiegt. Auch die rechtsrheinischen Bäche fallen im Sommer teilweise trocken — allerdings wegen der Hitze. Und mit der Hitze geht oft Starkregen einher. Dann steigt nicht nur der Pegel der Bäche, sondern auch Straßen, Unterführungen und Keller laufen voll. Grund dafür ist die starke Versiegelung, vor allem im Zentrum der Stadt. Das Regenwasser kann nicht mehr ablaufen.
Doch immer noch werden auch in Köln weiter Flächen versiegelt — für Wohnhäuser, Gewerbeflächen, Straßen. Der Bündnisvertrag von Grünen, CDU und Volt im Stadtrat nennt zwar das Ziel, Flächen zu entsiegeln. Aber es finden sich kaum Maßnahmen, außer der Erstellung eines »Entsiegelungskatasters« oder der Ausweitung bestehender Programme, die sich an Privatleute richten. Sie werden bei der Entsiegelung etwa von Höfen finanziell unterstützt .
Klima-Dezernent William Wolfgramm, gerade im Amt, will jetzt Tempo machen. Dabei ist er auf seine Amtskollegen in den Dezernaten für Bauen und Planen sowie Wirtschaft und Stadtplanung angewiesen. Im Gespräch betont Wolfgramm die gute Zusammenarbeit mit Baudezernent Markus Greitemann. Bei der Bauleitplanung müsse besser auf Klimaschutz geachtet und Versiegelung vermieden werden, es müsse »kompakt und auch in die Höhe gebaut werden, etwa in Gewerbegebieten.«
Die Koordinationsstelle Klimaschutz werde gestärkt, kündigt Wolfgramm an. Dort sollen alle Maßnahmen zum Klimaschutz und der Klimafolgenanpassung zusammenlaufen. Seit Monaten ist die Leitung jedoch unbesetzt. Das werde sich alles sehr bald ändern, sagt Wolfgramm. Die Stelle werde gestärkt. »Die einzelnen Maßnahmen in der Verwaltung für den Klimaschutz müssen besser koordiniert werden.« Für die Beschlussvorlagen der Verwaltung will Wolfgramm ein Monitoring und Controlling einrichten. »Es muss quantifizierbar werden, was geschieht und wo wir es noch besser machen können.« Klimaschutz sei eine Querschnittsaufgabe, sagt Wolfgramm. »In vielen Ämtern läuft das sehr gut, in anderen bislang nur gut.« Aber gut ist offenbar beim Klimaschutz nicht gut genug.
Was für einige Ämter in der Verwaltung gilt, gilt auch für den Klimarat. Sebastian Mayer, der für Scientists for Future dort sitzt, ist gespannt auf die Initiativen von William Wolfgramm, der nun die Leitung übernimmt. Für die bisherige Lage hat Mayer ein Bild: »Man steht in der Raucherecke zusammen und redet darüber, dass Zigaretten krank machen und dass man eigentlich aufhören sollte.«