»Was geht, muss auf den Gehweg«
Frau Grose, warum ist der Fußverkehr als Verkehrsmittel kaum etabliert?
Viele Menschen nehmen ihre Füße nicht als Fortbewegungsmittel wahr, obwohl man gerade in Städten Strecken bis fünf Kilometer effizient zu Fuß zurücklegen kann. Zudem wird Fußverkehr oft in Verbindung mit Radverkehr aufgeführt — als »Rad- und Fußverkehr«. Gemeint ist meist Radverkehr.
Hilft das nicht auch dem Fußverkehr?
Fahrradverkehrsmaßnahmen sorgen zwar oft indirekt auch für bessere Bedingungen für Fußgänger, etwa an den Ringen, wo der Fußverkehr mehr Platz bekommen hat, als man die Radfahrer auf die Straße gelassen hat. Aber Fußgänger sind meist eine Restmenge. Ihnen wird ein Vorteil zum Nachteil: ihre Flexibilität. Wenn ein Auto auf dem Gehweg parkt oder ihnen jemand mit dem Rollator entgegenkommt, wird von ihnen Flexibilität erwartet.
Verkehr ist nicht nur etwas Technisches, sondern etwas Soziales — gerade der Fußverkehr Anne Grose, FUSS e.V.
Es geht also um gerechte Verteilung von Verkehrsraum.
Natürlich! Vereinfacht gesagt: Alles, was fährt und parkt, muss auf die Straße, und alles, was geht, auf den Gehweg.
Wie sieht ein gerechter Straßenquerschnitt aus?
Ein Gehweg braucht 2,50 Meter Breite — jeweils 80 Zentimeter für zwei Menschen, die sich begegnen, dazu Abstand zur Wand und zur Straße. Davon ausgehend kann man die Straße von außen nach innen planen. Das kann bedeuten, dass am Ende in der Mitte nur eine schmale Fahrspur übrigbleibt. Aber meist verknappt vor allem Parkraum den Platz. Ein Beispiel ist der Ehrenfeldgürtel. Die Autos haben zwölf Meter Platz, davon sechs Meter fürs Parken. Der Radverkehr hat 1,60 Meter, der Fußverkehr zwei Meter. In kleinen Straßen in den Veedeln, die oft Einbahnstraßen sind, ist es noch extremer: Die sind rechts und links zugeparkt, zum Gehen bleibt ein kleines Stück am Rand. Dort sollte man mindestens eine Seite von den parkenden Autos befreien.
Ende Oktober veröffentlichte der ADAC die Ergebnisse einer Fußgänger-Umfrage. Demnach fühlen sich Fußgänger in keiner deutschen Großstadt so unsicher wie in Köln. Woran liegt das?
Viele Fußgänger fühlen sich von Radfahrern verunsichert. Dazu kommen Abbiegesituationen, bei denen sich Fußgänger von Autofahrern bedrängt fühlen. Aber der wichtigste Punkt sind Querungen. Im Kernbereich der Neusser Straße in Nippes gibt es zum Beispiel auf einer Strecke von 250 Metern keinen gesicherten Übergang. Zwischen den gegenüberliegenden Gehwegen liegen zwei Auto-Parkstreifen, zwei Radspuren und zwei Autospuren. Man macht es sich zu leicht, wenn man sagt: Dann sollen Fußgänger halt die Ampel nehmen! Wenn ein Fußgänger auf die gegenüberliegende Seite einer Kreuzung möchte, muss er bis zu 200 Meter gehen, wenn er die Ampeln nähme. Ein Auto kann bei grün überall hin abbiegen. Dasselbe könnte man für Fußgänger einrichten, nennt sich »Diagonalquerung mit Rundumgrün«. Fußgänger haben grün, alle anderen warten. Am Friesenplatz würde das zum Beispiel hervorragend funktionieren. Es gäbe keine Abbiegeunfälle mehr, Fußgänger würden sich sicherer fühlen.
Im November ist eine Novelle der Straßenverkehrsordnung in Kraft getreten, unter anderem mit höheren Bußgeldern für Gehwegparken. Was erhoffen Sie sich davon?
Parken ist erlaubt, wo es nicht verboten war. Unerlaubtes Gehwegparken wurde kaum geahndet oder nur mit einer niedrigen Geldbuße belegt. Die Strafen ziehen nun deutlich an. Aber da man sollte vorsichtig sein. Es wird einen Kulturkampf befeuern, wenn ein Knöllchen 55 oder 100 Euro kostet. Es war lange selbstverständlich, dass man sein Auto kostenlos auf die Straße stellen kann.
Sie sind gegen Sanktionen?
Nein, aber das Grundproblem ist, dass es zu viele Autos gibt. Ich vermisse kreative Maßnahmen, etwa eine offensiv beworbene Mobilitätsberatung, die Menschen motiviert, ihr Auto abzuschaffen und zu Alternativen berät. Die vielen Autos sind ja nicht bloß ein Problem für den Fußverkehr — auch für Klima, Klimafolgen oder Ästhetik und nicht zuletzt für die Aufenthaltsqualität.
Straßen werden meist nach ihrer Verkehrsleistung bewertet.
Dabei sind sie Orte, an denen sich Menschen aufhalten und begegnen. Vor allem Straßen wie die Venloer oder Neusser Straße, an denen zahlreiche Geschäfte und Gastronomie liegen, die Zentrum des Veedels sind. Auf Gehwegen spielt sich öffentliches Leben ab. Zu Fuß gehen ist permanente Begegnung. Da braucht es Kommunikationsinseln. Und je langsamer die Geschwindigkeit, desto mehr Geld bleibt auch in den Geschäften.
Die Stadtverwaltung soll einen Fußgängerbeauftragten bekommen. Löst ein Posten das Problem?
Was keinen Namen hat, existiert nicht. Deshalb ist ein Fußverkehrsbeaufragter wichtig. Man denkt den Fußverkehr mittlerweile mit, aber in der Umsetzung passiert sehr wenig. In Mülheim wurde die Peter-Huppertz-Straße neu gemacht. Der Gehweg ist 1,70 Meter breit, daneben sind Parktaschen, obwohl es nebenan ein großes Parkhaus gibt. Da fehlt es an Verständnis. Viele Städte, auch Köln, sind bei der Suche nach einem Experten phantasielos. Man sucht Ingenieure. Doch Stadtsoziologen, Verkehrspsychologen, überhaupt Sozialwissenschaftler könnten den Fußverkehr genauso gut entwickeln. Verkehr ist nicht nur etwas Technisches, sondern etwas Soziales — gerade der Fußverkehr.