»Barrierefreiheit hilft allen Menschen«
Frau Tomše, was haben Sie sich als neue Behindertenbeauftragte vorgenommen?
Mein Ziel ist, dass Menschen mit Behinderung in ihrer Teilhabe mehr unterstützt werden und dass das viel mehr zur Normalität wird. Ich denke, dass Köln gute Voraussetzungen hat, weil hier mit Vielfalt und Weltoffenheit grundsätzlich gut umgegangen wird.
Bitte ein Beispiel: Wie kann Teilhabe gelingen?
Etwa, indem Projekte und Vorhaben — und damit meine ich nicht nur baulich Projekte — ganz selbstverständlich bei Planung und Durchführung immer darauf gecheckt werden, ob sie barrierefrei sind. Das wird oft noch als zusätzliche Aufgabe wahrgenommen. Aber Barrierefreiheit sollte von Anfang an mitbedacht werden — mehr noch: Menschen mit Behinderung müssen in den Prozess einbezogen werden. Es ist zwar gut, wenn sich auch Menschen ohne Behinderung überlegen, was gut wäre. Aber wichtig ist, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt beteiligt und gehört werden.
Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen haben durchaus unterschiedliche Bedürfnisse.
Sie als homogene Gruppe zu betrachten ist falsch. Sie sind in ihren Lebensentwürfen und Bedürfnissen so vielfältig wie Menschen ohne Behinderung. Auch hier ist der offene Diskurs aller Beteiligten wichtig. Ein Leitsystem auf dem Gehweg für Menschen mit Sehbehinderung zum Beispiel kann für jemanden, der auf den Rollstuhl angewiesen ist, ein Problem sein — weil die Rillen des Leitsystems so tief sind, dass der Rollstuhl dort hängenbleiben kann...
Gibt es eine Lösung?
Der Arbeitskreis Barrierefreies Köln ist ein sehr gutes Beispiel für ein gutes Vorgehen. Seit 2001 besteht dieser Kreis aus Expert*innen mit unterschiedlichen Behinderungen und arbeitet zu konkreten Projekten aus den Bereichen Verkehr, öffentliche Gebäude und Bauvorhaben. Er ist in Köln eine wichtige Beratungsinstanz für Verwaltung, Politik, KVB und externe Stadtplaner*innen. Für das eben angeführte Leitsystem auf Gehwegen ist zum Beispiel eine tolle Lösung herausgekommen: Die Rillen wurden ein wenig abgeflacht, sodass der Rollstuhl nicht mehr hängenbleibt, aber das Leitsystem noch ertastbar bleibt. Ich meine, wenn alle Personen offen miteinander umgehen und sich ernst nehmen, wird sich immer eine Lösung finden.
»Machen wir uns nichts vor:
Es geht um eine Sensibilisierung, aber auch um Geld«
Es gibt aber sicher doch auch problematischere Fälle.
In Köln schreitet die Verkehrswende voran. Der Druck auf den vielfach sehr engen öffentlichen Raum ist groß und die Interessen sehr unterschiedlich. Konflikte sind da vorprogrammiert. Es wird etwa immer mehr verkehrsberuhigte Zonen geben, immer mehr Fahrradzonen, die auch von E-Rollern genutzt werden können. Aber E-Roller sind schnell und für manche Menschen nicht gut wahrnehmbar. Auch dass abgestellte Roller Gehwege versperren, ist ein Problem.
In der Corona-Krise wurde der Gastronomie mehr Fläche für Außengastronomie zur Verfügung gestellt. Das traf auf viel Zustimmung. Allerdings gab es auch Klagen, dass mancherorts Gehwege dadurch enger würden und Menschen mit Einschränkungen Nachteile hätten.
Auch hier wäre es wichtig, dass Wirtinnen und Wirte und Menschen mit Behinderung zusammenkommen und diskutieren, wie es gehen kann. Viele kennen die Nöte nicht, an einem Tisch oder Stuhl vorbeikommen zu müssen. Ich glaube, dass es in der Gastronomie viel Verständnis gibt, aber der direkte Dialog hat eben noch nicht ausreichend stattgefunden.
Die Menschen werden immer älter, das geht oft mit Einschränkungen einher. Haben Sie die auch im Blick?
Ja! Wobei viele Menschen eine Einschränkung haben, sich aber nicht als Menschen mit Behinderung definieren. Aber auch sie profitieren von Barrierefreiheit. Wenn etwa Museen die Texte zu ihren Ausstellungen in Einfacher Sprache abfassen, ist das eine Erleichterung für alle Menschen! Barrierefreiheit hilft nicht nur Menschen mit Behinderung.
Es geht bei Barrierefreiheit also auch um den Zugang zu Informationen. Das betrifft auch die Serviceangebote der Stadt Köln.
Unbedingt! Beispielsweise müssen PDFs angepasst und barrierefrei zur Verfügung gestellt werden. Ich sehe das als große Herausforderung. Denn die Stadt Köln stellt sehr viele Informationen in sehr vielen Formaten zur Verfügung. Aber auch hier treten wir in den Dialog.
Sie wollen Vorurteile abbauen und sagen, dazu müsse man in Dialog treten. Braucht man dazu eigentlich einen bestimmten formalen Rahmen?
Nein. Man kann über Themen sprechen, aber es geht auch um Begegnungen. Aber nicht nur solche, die künstlich herbeigeführt werden. In der Stadt sollte es mehr Möglichkeiten geben, sich zu begegnen, zum Beispiel bei Sport und Kultur, auf der Arbeit, im Kindergarten und in der Schule... Damit Menschen mit Behinderung sichtbarer werden. Es sollten Räume geschaffen oder so genutzt werden, dass eine Teilhabe ganz normal wird. Diese Normalität gibt es heute noch nicht, aber es gibt viele gute Ansätze. Etwa, Menschen mit sogenannten Lernschwierigkeiten den Ersten Arbeitsmarkt zugänglich zu machen. Der Bedarf hierfür ist groß und ein Ausbau auch eine Investition in die Zukunft.
Wenn man etwa auf einen Rollstuhl angewiesen ist, macht es wenig Spaß in einem Club ein Konzert zu verfolgen. Weder dass man gut sieht noch dass man über die Theke gucken kann, um ein Bier zu bestellen. Wie wollen Sie da kulturelle Teilhabe fördern?
Machen wir uns nichts vor: Es geht um eine Sensibilisierung, aber auch um Geld. Wenn Wirt*innen oder Konzertbetreiber*innen nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, Gebäude barrierefrei umzubauen, ist das problematisch. Die Frage ist, ob es andere Gebäude gibt, wo man das ermöglichen kann. Mancherorts gibt es auch einen Telefonservice, bei dem man melden kann, welche Unterstützung man benötigt. Aber das muss man erst mal wissen. Da geht es wieder um barrierefreie Informationen. Bei Restaurants und Kneipen ist es ähnlich.
Oft hört man: Wir sind nicht barrierefrei, aber helfen gern.
Das ist schön. Aber oft geht es um Selbstbestimmung und die freie Wahl, ob man Hilfe haben möchte oder nicht.
Im Alltag ist es manchmal schwierig, das herauszufinden, oder?
Eigentlich nicht. Aber auch hier ist Kommunikation wichtig. Menschen ohne Behinderung sind oft verunsichert. Ich selbst bin beispielsweise auf Gehhilfen angewiesen, und manchmal falle ich hin. Das sieht oft schlimmer aus, als es ist. Für mich ist es dann wichtig, selbst wieder aufzustehen. Wenn jemand hilft, kann mir das wehtun, aber das können andere Menschen nicht wissen. Es ist wichtig, zu fragen und die Antwort zu akzeptieren, um dann die »richtige« Hilfestellung zu geben.
Welche Wörter die richtigen seien, um Menschen nicht zu diskriminieren, darüber wird leidenschaftlich debattiert. Seit kurzem hat die Stadt einen »Leitfaden für eine wertschätzende Kommunikation«. Wie schlimm ist es, jemandem im Rollstuhl zu sagen: »Gehen Sie bitte einmal zu meiner Kollegin...«?
Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen. Das hat in den letzten Jahren viele Themen betroffen, eben auch das Thema Behinderung. Wenn wir bewusst Sprache einsetzen, können wir vermeiden, Menschen zu verletzten und stattdessen respektvoll miteinander umgehen. Häufig ist es nicht abwertend gemeint, weil es Floskeln sind. Aber wie die Worte ankommen, wird häufig nicht thematisiert, ist aber wichtig.
Die richtige Sprache zu benutzen, sind viele Menschen gewillt. Es ist aber auch leichter, als Kontakte zu Menschen mit Behinderung zu suchen. ...
weil die Begegnungsräume nicht automatisch da sind! Es gibt noch zu viele Barrieren. Die VHS bietet etwa Veranstaltungen ausdrücklich für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung an. Aber es braucht auch Menschen, die Lust haben, das zu erleben. Ich würde mir wünschen, dass man sich irgendwann nicht mehr eine Veranstaltung extra heraussuchen muss, um Menschen mit Behinderung zu begegnen. Sondern, dass das alltäglich ist.
Ein großer Traum, oder?
Nein. Nicht, wenn man auch die kleinen Ziele angeht und nicht bloß darauf wartet, dass das ganz große Ziel erreicht ist. Es bedarf vieler Wege, um alle Menschen mitzunehmen — mit dem Kopf und dem Herzen. Inklusion benötigt beides.