Zwischen Tumor und Techno
Wem angesichts des Titels ein schaurig-schönes Gruselkabinett vorschwebt, der sei, je nach Blickwinkel, erleichtert oder enttäuscht. Im Fokus der aktuellen Jahresausstellung in Haus Mödrath »When We Were Monsters« steht zwar das »Ungeheuerliche«, jedoch nicht als krude Fantasiegestalt, sondern in Form multipler Facetten und Fehlstellen des Individuums selbst.
In seiner bisher umfassendsten Präsentation trägt der Künstler und Kurator der Schau James Richards zahlreiche eigene Werke bei, in denen er unterschiedliches Quellenmaterial in bewegte filmische Arrangements überführt, deren Spannung und Anziehungskraft durch eindringliche Soundcollagen gesteigert werden. Zusammen mit den Arbeiten der eingeladenen Künstlerkolleg*innen verschränken sie sich zu einem metaphorisch aufgeladenen Sinnzusammenhang, der um brüchige Identitäten kreist.
In diesem vielschichtigen Parcours schreitet man abwechselnd durch Black Box-Bereiche und tageslichthelle Zimmer — wobei der Gang durch die vier Etagen des herrschaftlichen Hauses zu einer Gratwanderung zwischen Hell und Dunkel wird. Einer Reise, die Abseitiges und Abstoßendes streift und ganz nah an die eigenen Abgründe heranführt. Schon im ersten Raum begegnet man einer Ansammlung von Gegenständen, die kein einheitliches Bild ergeben, darunter ein Stapel Portraits eines Mannes, Fotografie-Zeitschriften, Aufnahmen erotischer Posen, Chemikalien, eine schmuddelige Ledermatratze, ein Laboranten-Kittel, schwarze Stöckelschuhe, aufgereihte Lippenstifte. Es ist die individuelle, mit intimer Bedeutung aufgeladene Hinterlassenschaft eines anonymen Verstorbenen, die Adrian Hermanides hier ausbreitet. In der Verquickung von professioneller Ausstattung und privatem Zubehör schimmern zwei Seiten einer Persönlichkeit durch.
Die Ausstellung wirkt als Gesamtinstallation. Im Erleben der einzelnen Werke scheinen ihre Grenzen aufgehoben, sie verschmelzen zu einem elektrisierenden Erfahrungsstrom. Insbesondere die grandiosen Videos von Richards dehnen sich aus zur fließenden Landschaft, in der sich der Körper als Ort des Austausches — von Flüssigkeiten, Gedanken, Nährstoffen — und der Auflösung herausstellt. Es vermischen sich deformierte Körperkonturen, vorbeiziehende Wolken, Vögel, Fingerkuppen und Mikroorganismen mit Berghain und Technokapitalismus zu einem epischen Bilderreigen, der mitunter an die ekstatischen Visionen von David Lynch erinnert. Begleitet vom Rhythmus pulsierender Elektrobeats wachsen Wunden und Wucherungen, im ewigen Zyklus zwischen Fruchtbarkeit und Fäulnis, Gott und Plankton.
Es scheint, als ob wesentliche Bestandteile des Lebens in einer rauschhaften biologistischen Choreographie tanzen. In diesem Tanz ist Wasser ein essentielles, immer wiederkehrendes Element, welches zur geradezu erlösenden Auflösung von Grenzen beiträgt. Ein Aquarium, das Richards mit einem Modell der ehemaligen Industriellenvilla ausstattet und in der ehemaligen Schwimmhalle platziert, bettet die wechselvolle Geschichte von Haus Mödrath (u.a. als Wöchnerinnenheim, Nazi-Schulungsheim, Flüchtlingshaus) in diesen Kontext von Vergänglichkeit und fließender Übergänge ein. In der tranceartigen Durchlässigkeit intensiv flackernder, flirrender Filmbilder wird das/der Andere zum Eigenen.
»Will you be proud to be my version«, fragt eine Stimme. Verstecktes, Verborgenes, ja Verbotenes tritt in diesem mitreißenden Fluß an die Oberfläche. Zu einem harschen Stakkato-Sound erscheinen in Richards »Rosebud« Aufnahmen mit explizit sexuellen Handlungen, u.a. von Robert Mapplethorpe. Die Vorlagen stammen aus einer Bibliothek in Tokio und wurden von pikanten Details »bereinigt«. An den entsprechenden zerkratzten Stellen tritt, als Zeichen der Verletzung, das nackte, aufgeraute Papier zutage. Hier hinterlässt die staatlich implementierte Moral monströse Spuren. Auch die schamlosen Zurschaustellungen von Albrecht Becker sind als Ausdruck dunkler Leidenschaft aufzufassen. In den 30er Jahren von der Gestapo wegen homosexueller Handlungen unter Strafe gestellt, entdeckte er als Kriegsfreiwilliger an der Ostfront das autoerotische Potenzial von Tätowierungen. In der Folge inszenierte er ein intimes Theater, das er in Sequenzen zusammengeführter Einzelaufnahmen dokumentiert. Die Collagen demonstrieren verschiedene Zustände seiner »Verwandlung« vom biederen Anzugträger zum am ganzen Körper tätowierten, vor Männlichkeit strotzenden Bad-Boy, in der extreme, bisweilen verunstaltende Eingriffe in den Körper sichtbar werden.
Im Strudel zwischen Zuständen und Identitäten wird das Ungeheuerliche, das Schreckliche zum entscheidenden Mittel der Selbsterkenntnis. So hallt ein Satz aus der Poetik von Aristoteles lange nach, den James Richards in einem Film zitiert: »Wir haben Freude daran, schreckliche Bilder zu sehen, weil wir dabei lernen, Bedeutungen zu sammeln.«