»Scheiße am Ärmel der Kunst«
»Ich persönlich lese keine Theaterkritiken«, sagte Karin Beier, vielfach ausgezeichnete Intendantin am Hamburger Schauspielhaus und von 2007 bis 2013 in Köln, vor einigen Wochen. Im Interview mit dem Deutschlandradio erklärte sie, Theater und Kritiken würden sich nicht auf demselben Niveau bewegen — und schlechte Kritiken klebten an einem »wie Scheiße am Ärmel der Kunst«. Ob sie denn überflüssig seien, fragte die Reporterin im Interview nocheinmal ungläubig nach, worauf Baier lachte und sagte: »Ja, wenn Sie mich so fragen...«
Ein Skandal? Weil sich der Theaterbetrieb nach außen abschottet? Oder bl0ß das Symptom eines schon immer schwierigen Verhältnisses? Immerhin wetterte schon Goethe: »Tausendsackerment! Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent.« Die Reaktionen auf Karin Beiers Aussagen ließen nicht lange auf sich warten. Es »liege nahe, dass Beier das Spiel der Demokratiezersetzung« betreibe, weil sie das Prinzip des beobachtenden Journalismus ablehne, schrieb Theaterkritiker Jan Keveler in der Zeitung Die Welt.
Theaterkritiker Tobi Müller sieht in der Tatsache, dass Beier so etwas öffentlich sagen könne, hingegen ein tiefer liegendes Problem: Die Abwertung der Kritik durch die Medien selbst. Seit Jahren wird der Platz für Theaterkritiken in den Feuilletons gekürzt, in vielen Lokalzeitungen fehlen sie mittlerweile gänzlich. Und die Bezahlung? »Ein Theaterkritiker verdient heute die Hälfte von dem, was er vor 20 Jahren verdient hat«, sagt Müller. Die Theaterkritik spielt in den Medien eine immer geringere Rolle und das verleite Theaterschaffende offenbar dazu, sich »feudaler« zu verhalten.
Es stimmt: Der Einfluss von Berufskritiker*innen, die noch bis in die 80er Jahre gigantische Meinungsmacht besaßen, hat sich spätestens mit sozialen Netzwerken relativiert. Ihre Rolle als Gatekeeper, die vom Hochsitz der Feuilletons aus Geschmacksurteile abgeben, ist zurecht fragwürdig geworden.
Was Kritiker*innen jedoch auch heute noch leisten können, ist die Anstrengung einer Übersetzung: Was passiert auf der Bühne und wofür könnte das gut sein? Ein Theater, das so selbstrefferentiell ist, dass es sich mit dieser Auseinandersetzung, dem fremden Blick auf die Bühne, nicht beschäftigen will, kann seinem eigenen Anspruch nicht gerecht werden: nämlich dem, zugänglich und verständlich zu sein, für Menschen jenseits des Abonnement-Publikums.