Ballernde Bücherwürmer

Gunpowder Milkshake

Navot Papushado erzählt von drei Killer-Bibliothekarinnen und mixt Pop Art mit Popcorn

Anfang der 2010er Jahre machte das Regie-Duo Aharon Keshales und Navot Papushado zuerst mit »Rabies«, dann mit »Big Bad Wolves« in Genrefestival-Kreisen schwer auf sich aufmerksam: Selten nur wurden Israels Gewalttraumata mit einer solchen satirischen Schärfe seziert. Ergebnis: Egal, wer was tut, irgendwann wird eine massenmörderische Kettenreaktion ausgelöst. Nach achtjähriger Pause tauchen sie nun wieder auf, jeder mit einem eigenen Film — wobei sie auf der Buch- wie Produktionsebene weiterhin zusammenarbeiten. In die hiesigen heiligen Hallen kommt nur Papushados in Babelsberg gebauter »Gunpowder Milkshake«, Keshales’ »South of Heaven« muss man für sich finden. Schade, da die Projekte wie Auslotungen der Extrempunkte ihrer Idee von Kino erscheinen: Papushado geht voll auf Allegorie, Pop Art wie Popcorn und Surrealismus im Giallo-Wuxia-Westerngewand, während Keshales stoisch Americana, Noir, Southern Gothic und Realismus mixt.

Beide erzählen von gewaltigen Organisationen mit massivem Kapitalverkehr und minimalen Skrupeln. Von Leuten, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Von absurden Unfällen mit grotesken Todesfolgen, sowie Rachemaschinerien, die man nur mit monumentalen Massakern stoppen kann. In »Gunpowder Milkshake« besteht diese Organisation allein aus Männern, die sich eine Armee aus Eliteauftragsmörderinnen halten, die sich wiederum gegen ihre Brotherren wenden, als diese sie loswerden wollen. Allegorie soweit klar: Feminismus besiegt Kapitalismus – Clara Zetkin umgedreht. Toll, dass die Killerinnen sich als Bibliothekarinnen tarnen und ihre Waffen in protofeministischen Klassikern verstauen. Als eine von ihnen stirbt, gibt’s statt Bibelzitat die erste Strophe von Charlotte Brontës »On the Death of Anne Brontë«. Ja, man darf in den drei Oberbibliothekarinnen durchaus die Brontë-Schwestern sehen, die die Welt auf eigenwillige Weise neu beschreiben. Bei allem streng farbkodierten Regie-Furor und leger Rock-getragenen Action-Bravado, bei aller audiovisuellen Wucht und cinephilen Zitatvielfalt in Bild wie Musik: Papushado arbeitet seine Fantasie von den Unterdrückten, die sich allem Theoriebewusstsein zum Trotz erst unter Druck ihrer wahren Situation stellen und die notwendigen Veränderungen handfest herbeiführen, mit angenehm klarer erzählerischer und gestalterischer sowie intellektueller Ernsthaftigkeit durch. Das schlaueste Multiplex-Konzept-Kino-Stück des Jahres,  überhaupt seit langem. Da verzeiht man auch die paar architektonisch peinlichen Berlin-Außenmotive.

 

F/ USA 2021, R: Navot Papushado,
D: Karen Gillian, Lena Headey,
Carla Gugino, 114 Min.,
Start: 2.12.